Dschungelcamp 2014 - Authentizität ist unerheblich

Das Dschungelcamp ist längst zu einer fiktionalen Mini-Serie geworden, die sich nicht mehr auf tatsächliche Ereignisse, sondern auf das Erzählen von spannenden Geschichten konzentriert. Und das ist gut so!

Was Larissa innerhalb eines Tags für einen Shitstorm losgetreten hat – dafür hat selbst Markus Lanz drei Folgen «Wetten, dass..?» gebraucht.
Daniel Hartwich
Als am Samstagabend Melanie Müller zur neuen Dschungelkönigin gekürt wurde, endete nicht nur die aktuelle Staffel von «Ich bin ein Star, holt mich hier raus!», sondern auch eine Zeit, in der küchentischpsychologische Analysen Hochkonjunktur hatten. Während der vergangenen zwei Wochen, so hatte man das Gefühl, wurde innerhalb und außerhalb der Presse und Medien ausgiebig untersucht, welche Kandidaten sich wie und warum verhalten haben, wer eine Taktik verfolgt, wer den Titel am meisten verdient und vor allem, wer sich am authentischsten präsentiert hat. Das alles mag zwar zu vielen spannenden Diskussionen geführt haben, verfehlte jedoch den Kern des Formats. Ebenso könnte man darüber streiten, warum Jack Dawson am Ende von «Titanic» sterben musste – ganz einfach, weil dies für den Film ein emotionales und dramatisches Finale darstellte.

Ähnliche Mechanismen greifen genauso beim Dschungelcamp, welches das Genre der Realityshows längst verlassen und sich stark der fiktiven Unterhaltung angenähert hat. Dabei meint fiktiv nicht, dass es feste Drehbücher gibt, nach denen die Kandidaten agieren oder Aktionen vollständig gestellt sind. Vielmehr bezieht sich dieser Ausdruck auf eine deutlich betonte Narration der Sendung, denn vorrangig werden in ihr Geschichten erzählt. Geschichten, die sich vielleicht so zugetragen haben, vielleicht aber auch bewusst zugespitzt, dramatisiert und zuweilen sogar konstruiert waren. Was tatsächlich im Camp geschehen ist, lässt sich als Zuschauer nicht einschätzen, da man lediglich Abbilder von den Geschehnissen und Protagonisten erhielt.

Erzeugt wurden diese vorrangig durch die Auswahl der Bilder. Egal wie aktiv beispielsweise ein Teilnehmer sein mag, wenn für die Tageszusammenfassung nur solche Bilder genutzt werden, in denen er in der Hängematte liegt, bleibt selbst bei einem ADHS-Kranken der Eindruck eines Langweilers zurück. Das ist natürlich keine neue Erkenntnis, die zudem auf nahezu alle TV-Reihen zutrifft. Gleichermaßen verhält es sich mit dem durchdachten Einsatz von Schnitten und Musik, der gezielten Einstreuung von Interviews sowie den Formulierungen der Moderationstexte. Zusätzlich greifen Zeitpunkt und Auswahl der jeweiligen Dschungelprüfungen massiv in das Geschehen ein. Ebenso leisten die Einzelinterviews einen entscheidenden Beitrag zur Fiktionalisierung der Produktion. Schon allein die Fragen, die den Kandidaten dabei gestellt werden, können Situationen maßgeblich beeinflussen. Wenn dann die Aussagen gezielt unter die Bilder aus dem Camp gestreut werden, lassen sich je nach Belieben entweder Bestätigungen oder Entlarvungen des Verhaltens erreichen.

All das kann und wird systematisch eingesetzt, um einerseits die Gruppe der Campbewohner in bestimmte Richtungen zu lenken und andererseits Eigenschaften und Handlungsweisen von einzelnen Kandidaten zu betonen. Das wird von RTL nicht einmal bestritten. Inszenatorisch griffen die Macher damit auf die vollständige Bandbreite der fiktionalen Gestaltungsmittel zurück – und zwar in einem Rahmen, der über eine schlichte Untermalung, Verdichtung oder Dramatisierung weit hinaus ging. Es wurden von den Kandidaten nämlich Rollen kreiert, ähnlich wie man es aus Romanen und Filmen kennt.

Wie hervorragend das funktioniert, wurde in den vergangenen Tagen am Beispiel von Larissa deutlich. Sie wurde zunächst sehr massiv als verwöhnte, tollpatschige Zicke eingeführt, die sämtliche Antipathien auf sich zog. Im Laufe der Wochen wandelte sich das Bild maßgeblich und sie stieg zum Publikumsliebling auf, der sich in bedrohlichen Situationen beweisen konnte. Sie durchlief damit die klassische Geschichte des Underdogs. Ein Motiv, das so alt wie das Geschichten erzählen selbst ist und das von «Star Wars» über «Herr der Ringe» bis zu «Rocky» immer wieder aufs neue funktioniert. Ein Stoff, der dank Michael Hirte, Susan Boyle und Paul Potts auch im Casting-Genre für hohe Quoten sorgte. Die Entwicklung von Larissa erfolgte allerdings nicht (nur) aus ihr selbst heraus, sondern wurde hauptsächlich durch Auswahl der Bilder, Schnitte und Musik inszeniert, sodass das kleine Märchen tatsächlich stattfinden konnte.

Dem könnte man entgegnen, dass die Zuschauer mit ihren Anrufen, entscheidend auf das Geschehen der Sendung einwirken und dass schon deshalb ein unvorhersehbares Moment verbleiben muss. War das wirklich so? Ist es nicht denkbar, dass die Zuschauer exakt so abgestimmt haben, wie es für die (festgelegte) Dramaturgie am besten war? Damit soll den Machern keine Manipulation des Votings unterstellt werden, wohl aber ein absichtliches Nahelegen wie abzustimmen sei, dem offenbar bereitwillig gefolgt wurde. Oft ließen die ersten beiden Beiträge bereits erkennen, in welche Richtung die Zuschauer jeweils gelenkt werden sollten. Als beispielsweise Gabby fällig war, wurden in der betreffenden Ausgabe ausführlich ihre Lästereien gezeigt.

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Wenn der Wendler nicht will, dass Kameras auf ihn gerichtet sind, dann soll er wieder zum «Echo» gehen, da hat er das Problem nicht.
Sonja Zietlow
Ganz unbeteiligt sind die Kandidaten an dieser Wirkungsweise nicht, denn auch ihnen ist bewusst, dass sie Rollentypen erfüllen sollen und müssen. Die ehemalige Dschungelkandidatin Ingrid van Bergen brachte dies kürzlich bei «Markus Lanz» auf den Punkt. Sie sagte, dass sie schlicht einen Vertrag unterschrieben hatte, den es zu erfüllen gab. Sie hätte daher strikt das gemacht, was man von ihr erwartet hätte. Selbst wenn nicht alle Bewohner derart abgeklärt mit ihrer Teilnahme umgegangen sind, sollte jedem bewusst gewesen sein, dass die eigene Außenwirkung entscheidend ist und man diese gezielt beeinflussen kann. Schon allein aus diesem Grund ist die Frage nach Authentizität und Ehrlichkeit hinfällig. Vor einer laufenden Kamera verhält sich niemand unverfälscht, sondern zeigt stets nur ein Abbild von sich selbst. Dass man die ständige Beobachtung irgendwann vergisst, kann angesichts der ständigen Befragungen vor sichtbaren Kameras und der Präsenz von kompletten Kamerateams bei Schatzsuche und Dschungelprüfung nur bedingt ernst genommen werden.

Solange das clever gemacht ist, ist dies alles überhaupt nicht verwerflich oder zu bemängeln. Im Gegenteil, gerade diese Konzentration auf das Erzählen von Geschichten macht den hohen Unterhaltungswert des Formats aus. Diese Eigeninitiative beim Konstruieren von Storys und Figuren hat sie ähnlichen Konzepten, die stärker darauf warten, dass etwas passiert, weit voraus. Fiktionale Komödien erzeugen im Kino auch das größte Gelächter. Dass ein Programm einem gezielten Ablauf verfolgt (egal ob nun mit ausformuliertem Drehbuch oder nicht), steht dem Entertainmentgrad nicht im Wege. Vielmehr lassen sich auf diese Weise amüsante Momente viel effektiver erzeugen. Der Mensch möchte gern Geschichten erzählt bekommen und das Dschungelcamp erfüllt diesen Wunsch sehr gezielt – eben nur in einer etwas anderen Form als es klassische Serien oder Seifenopern tun. Im Kern sind die Prinzipien dennoch die gleichen.

Was über die Fernsehbildschirme gelaufen ist, war lediglich das Bildnis von Larissa, Melanie und Co. Es waren Figuren, die in einem Theaterstück auftraten. Niemand, der die Lebensverhältnisse halbwegs überblickt, würde Christian Bale ernsthaft als Batman ansprechen oder glauben, dass Jan-Josef Liefers tatsächlich etwas von Obduktionen versteht, weil diese Menschen eben nur Figuren abbilden. Sicherlich, die Darstellung erfolgt durch andere Mittel und wahrscheinlich viel bewusster, aber auch die in ihren Filmen verkörperten Rollen haben meist wenig mit ihnen als Menschen gemein. Das gleiche gilt für das Dschungelcamp. Vielleicht hatten die Rollenzuschreibungen von Mola, Winfried und Jochen etwas mit ihren tatsächlichen Charaktereigenschaften zu tun. Zuweilen kommt das bei fiktiven Serien ebenfalls vor. Man denke nur an die Rollen von Charlie Sheen. Vielleicht waren sie jedoch frei erfunden. Vielleicht wurden die Kandidaten nur genau deswegen ausgewählt, um auf eine der gewünschten Rollen zu passen. Daher ist es müßig, sich darüber zu streiten, wer authentisch ist, ob jemand wirklich langweilig, tollpatschig oder gehässig ist.

Selbst wenn diese These extrem erscheint, lässt sich kaum verneinen, dass die Grenzen zwischen Realität und Inszenierung bei «Ich bin ein Star, holt mich hier raus!» sehr fließend und oft nicht zu erkennen sind. Sie verschwimmen so stark, wie bei keiner anderen Produktion. Warum dann nicht so konsequent sein und sie nicht mehr als Show oder gar als Reality bezeichnen, sondern schlicht als fiktionale Mini-Serie mit improvisierten Dialogen? Letztlich ist es beim Dschungelcamp ähnlich wie bei den Oscars. Es gewinnen diejenigen, die am besten ihre dargestellten Rollen ausfüllen können.
03.02.2014 09:02 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/68801