Die Kritiker: «Dreiviertelmond»

Elmar Wepper begeistert in dieser tragikomischen Geschichte über eine ungewöhnliche deutsch-türkische Freundschaft.

Inhalt

Hinter den Kulissen

  • Regie & Drehbuch: Christian Zübert
  • Produktion: Dieter Ulrich Aselmann & Robert Marciniak
  • Kamera: Jana Marsik
  • Musik: Annette Focks
  • Schnitt: Mona Bräuer
Der fränkische Taxifahrer Hartmut ist ein grantiges Original: Er kennt Nürnberg wie seine Westentasche und erlaubt sich aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung im Beruf auch eine gewisse Arroganz gegenüber jüngeren Kollegen, die in der Stadt Orientierungshilfe brauchen. Außerdem ist der getrennt von seiner Frau lebende Hartmut im Straßenverkehr überkorrekt: Falschparker oder Verkehrsteilnehmer, die es mit den Vorfahrtsregeln nicht so genau nehmen, bringen den sonst gemütlichen alten Herren ununterbrochen zur Weißglut.

Seine raue Schale bekommen gelegentlich auch seine Kunden zu spüren: Als er die sechsjährige Hayat mitsamt ihrer Mutter Gülen vom Flughafen aus zu ihrer kaum Deutsch sprechenden Großmutter fährt, ernten seine unbedarft-intoleranten Kommentare scharfzüngige Antworten. Dabei ist Hartmut kein ideologisch überzeugter Fremdenhasser, sondern eher jemand, der seinem Unverständnis und seinen Unmut zu direkt, zu polternd Luft macht – was ihn aufgrund seines Vokabulars viel böser klingen lässt als er wirklich ist.

Seinen gutherzigen Kern muss Hartmut dann auch bald darauf unter Beweis stellen: Weil Hayats Oma, die auf sie aufpassen soll während Gülen eine lang erwartete Kreuzfahrt macht, plötzlich ins Krankenhaus muss, steigt das kleine, nun unüberwachte Mädchen kurzerhand ins Taxi des Nürnbergers. Sobald Hartmut bemerkt, dass Hayat niemanden mehr hat, der auf sie aufpasst, nimmt er sie widerwillig bei sich auf – was seine Bekannten und auch seine erwachsene Tochter Verena sehr befremdlich finden …

Darsteller
Elmar Wepper («Kirschblüten - Hanami») als Hartmut Mackowiak
Mercan-Fatima Türköglu als Hayat
Ivan Anderson («Danni Lowinski: Selbstbestimmung») als Gülen
Katja Rupé («Ringstraßenpalais») als Christa Mackowiak
Marie Leuenberger («Draußen ist Sommer») als Verena Mackowiak
Özay Fecht («Eine Jugendliebe») als Großmutter Nezahat
Siegfried Terpoorten («Stadt, Land, Mord!») als Thorsten Seiler

Kritik
Die Inspiration für die Tragikomödie «Dreiviertelmond» holte sich der Regisseur und Autor Christian Zübert (verantwortlich für den Kulthit «Lammbock») in seinem Alltagsleben: Als Ehemann einer türkischstämmigen Frau hat Zübert gelegentlich mit kleinen Missverständnissen und Kommunikationsproblemen in seiner Beziehung zu tun, zudem aber auch sehr oft mit Vorurteilen von außen zu kämpfen. Gemeinsam mit seiner Gattin Ipek Zübert erarbeitete er daher eine Filmgeschichte, deren Grundgerüst an viele andere Kinoproduktionen erinnert: Zwei Fremde, zwischen denen kaum Gemeinsamkeiten bestehen, lernen sich aufgrund einer Kette von Ereignissen besser kennen und nähern sich daher an. Dieser Plot wurde in Film und Fernsehen bereits unzählige Male verarbeitet, aber oft genug leben diese Storys von Plattitüden und Stereotypen.

Das Ehepaar Zübert nutzte seine realen Erfahrungen, um sowohl eine glaubwürdigere Variante dieses Standardplots zu bieten, als auch die deutsch-türkische Beziehung zu thematisieren, ohne sie zu problematisieren. So entstand ein mühelos wirkender, erfrischender und leichter, dennoch scharfsinniger und bedeutungsvoller Film, der die deutsch-türkische Verständigung würdigt, dabei aber nie zu aufdringlich ist. Lobenswert ist auch der Verzicht auf den solche Verständigungsgeschichten oft genug begleitenden Aspekt der Romantik: In «Dreiviertelmond» ist es keine aufkeimende Liebe zwischen zwei Fremden, die für mehr Respekt zwischen beiden Fronten sogt. Stattdessen werden im Laufe der Handlung durch fürsorgliche Gefühle allmählich die Grundlagen für mehr Verständnis geschaffen.

Entscheidend ist auch, dass der begnadete Elmar Wepper mit seinem eigenbrötlerischen Taxifahrer keinen Rassisten spielt, sondern einen ignoranten Misanthropen, der gegenüber jeder Person grantig wird, die ihn in seiner Gemächlichkeit stört. Ob Deutscher, Türke oder Deutsch-Türke: Hartmut macht keine Unterschiede aufgrund von Kultur oder Herkunft, er lehnt alles ab, was ihn überfordert. Bei seinen Beschimpfungen geht er jedoch stets den einfachsten Weg, weshalb er die aus fremden Kulturen stammenden Freizeitbeschäftigungen seiner Frau und seiner Tochter ob ihrer Namen verballhornt oder einem farbigen Taxifahrer-Kollegen, der eine Hauptstraße nicht findet, die Hilfe verweigert – vermeintlich aufgrund seiner unklaren Aussprache. Eigentlich toleriert Hartmut aber lediglich nicht, dass dieser Taxifahrer seinen Job nicht ohne Hilfe erledigen kann. All dies macht Hartmut wahrlich nicht zu einem vorbildhaften Zeitgenossen, allerdings repräsentiert er so einen weit verbreiteten Menschenschlag: Ignoranten, die über alles den Kopf schütteln, was ihnen lästig ist. Solch eine Einstellung ist zuweilen nah am Fremdenhass angesiedelt, jedoch ideologisch weniger tief verwurzelt: Es ist nicht das Unbekannte, was von diesen Personen irrational angefeindet wird, sondern alles, was ihnen missfällt – egal woher es stammt. Auch dies ist ein Toleranzproblem, aber es ist viel weiter verbreitet und zugleich leichter zu beheben.

Dieser Sache nimmt sich «Dreiviertelmond» ebenso leichtfüßig wie clever an. Züberts Regie und Buch sowie Weppers mit rauem Charme und unaufdringlichem Witz versehenes Spiel zeigen auf, wie einfach ein cholerischer Charakter und mangelnde Kompromissbereitschaft in Intoleranz münden oder als Fremdenfeindlichkeit gedeutet werden können. Doch während eine fremdenfeindliche Ideologie bei all ihrer Unsinnigkeit schwer zu bekämpfen ist, lassen sich diese charakterlichen Probleme mittels positiver Erfahrungen überraschend widerstandslos überwältigen. Exakt solch eine Wandlung macht Weppers authentisch gespielter Einzelgänger durch – nicht mit einem Schlag, sondern in einem gemäßigtem Tempo und mit gelegentlichen Rückschlägen. Diese sind teils emotional und dramatisch, teils von unschuldigem, gar liebenswerten Humor, der zum Beispiel zu Tage kommt, wenn Wepper mit traurig-überfordertem Blick Sonnenblumenkerne oder scharfen Döner zu essen versucht.

All dies führt dazu, dass Weppers Figur trotz Schubladendenken sympathisch bleibt, was wiederum Hartmuts Wandlung plausibel erscheinen lässt. Anfangs ist der Taxifahrer von allem Fremden und Unerwarteten überfordert, in seinen Augen blitzt während der garstigen Schimpfereien teils sogar Versagensangst auf. Dass dieser Protagonist durch seine Odyssee, die goldige Hayat wieder in verlässliche Obhut zu geben, mehr Selbstvertrauen erhält und so auch mehr Toleranz erlernt, wirkt dank der beiläufigen Inszenierung und Weppers Performance lebensnah.

Gleichzeitig ist «Dreiviertelmond» eine wunderbare, stille Komödie. Gelegentlicher, behutsamer Slapstick und wirklichkeitsgetreuer Wortwitz lockern die Stimmung des Films in einem angenehmen Maße auf und machen ihn so zu einem unterhaltsamen Stück Völkerverständigung.

«Dreiviertelmond» ist am Montag, dem 6. Januar, um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
05.01.2014 10:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/68278