Ein Jahr Originalkanäle: Wie YouTube funktioniert

Im November 2012 starteten in Deutschland von YouTube mitfinanzierte, professionelle Channels. Nach einem Jahr fällt die Bilanz gemischt aus: Echte YouTuber sind höchst erfolgreich, TV-Firmen fehlen die Abonnenten.

Abozahlen der Originalkanäle (gerundet)

  • Ponk: 490.000
  • High5: 142.000
  • Motorvision: 77.000
  • HuHa: 61.000
  • Onkel Bernis Welt: 60.000
  • zqnce: 49.000
  • Survival Guide: 45.000
  • Trigger.TV: 42.000
  • Shortcuts: 31.000
  • What's for (b)eats?: 30.000
  • eNtR berlin: 13.000
  • boneless: 8.000
Stand 27.11.2013
Sie heißen Joyce, Barbie, C-Bas und Cheng, die Stars vom YouTube-Kanal „Ponk“, sie werden hunderttausendfach angeklickt. Knapp eine halbe Million Abonnenten hat man im ersten Jahr gewonnen. Ponk ist der mit Abstand erfolgreichste der zwölf Originalkanäle von YouTube, die im November 2012 an den Start gegangen sind und zeigen sollten, wie das Videoportal sich die Zukunft auch vorstellt: weg vom Amateur-Image, hin zu professioneller Unterhaltung, werbefinanziert und userorientiert.

Dafür hat YouTube die Kanäle mit eigenem Kapital angeschoben. Auch Ponk, das offenbar vieles besser – oder anders – macht als die restlichen Originalkanäle. Fünf Mal pro Woche erscheinen Videos, an jedem Tag zu einer anderen Rubrik: Donnerstags wird zum Beispiel Streetcomedy veranstaltet, samstags gibt es eine Show, in der die Zuschauerschaft – die Community – einbezogen wird. Die Formate richten sich an ein sehr junges Publikum, an die „digital natives“, die eher YouTube ansurfen anstatt den Fernseher einzuschalten. Bei Ponk ist kein Witz, keine Aktion zu infantil, es muss vor allem laut und unberechenbar zugehen. Der Erfolg gibt den Ponks recht.

Mit knapp 150.000 Abos ist der Originalkanal „High5“ – übrigens mit einem ähnlichen Konzept wie Ponk – ebenfalls recht erfolgreich im Geschäft, danach dünnen sich die Zahlen aus: „What’s for Beats?“ mit Starkoch Steffen Henssler und „Shortcuts“ mit Nilz Bokelberg kommen auf 30.000 Abonnenten, beide Kanäle werden von einer Tochterfirma des Fernsehproduktions-Giganten Endemol hergestellt. Deren „Survival Guide“ zählt 45.000 Abos. Ähnlichen Zuspruch finden bisher die von der UFA produzierten Channels: „eNtR Berlin“, das die urban culture der Hauptstadt ergründet, hat rund 13.000 Abos und „Trigger.TV“, das Kriminalität zum Thema macht, immerhin 42.000. Ordentliche Zahlen, aber kein Vergleich zu Ponk.

Ernüchternder sind die reinen Abrufe der Kanäle, die alle Klicks registrieren, egal ob von einem Abonnenten oder nicht – wichtig ist diese Unterscheidung im Netz, weil bestimmte Videos viral gehen können und dann extrem viele Klicks erhalten. Auch hier liegt Ponk insgesamt weit vorn, mit mehr als 60 Millionen Klicks. Noch erfolgreicher ist der Kanal von Motorvision, der zwar nur 80.000 Abonnenten zählt, aber über 70 Millionen Klicks. Die Channels der TV-Produktionsfirmen kommen meist nur auf eine bis vier Millionen in diesem ersten Jahr. Warum diese Zahlen wichtig sind? Klicks bedeuten Aufmerksamkeit, und Aufmerksamkeit ist die Währung des Internets – je mehr davon, desto mehr Geld kann fließen. Das weiß auch YouTube, das in den USA bereits viele subventionierte Originalkanäle eingestellt hat: Vor einem Jahr hat man rund 60 Prozent der Programmdeals beendet, die restlichen 40 Prozent wurden noch intensiver finanziert.

Langsam lässt YouTube die Initiative, in die rund 300 Millionen Dollar investiert wurden, auslaufen; in Deutschland wird vermutlich bald auch kein Geld mehr fließen. Die Portalseite, von der aus man zu den Originalkanälen kam, wurde mittlerweile in den USA und hierzulande vom Netz genommen. Ein Eingeständnis des Scheiterns? Keineswegs, denn viele Channels, vor allem in den Staaten, finanzieren sich mittlerweile selbst. Und YouTube wie seine Produzenten haben aus dem Experiment gelernt – die Erfolgsfaktoren für viele Klicks sind heute klarer als noch vor zwei Jahren.

Auf der nächsten Seite: Was den YouTube-Erfolg ausmacht und was ein amerikanischer YouTuber aus seinen Originalkanälen gelernt hat.

Der amerikanische YouTuber Hank Green, der zwei Originalkanäle startete und von YouTube Geld erhielt, schrieb im Frühjahr 2013 über die Lehren aus seinem Projekt: Er stellte fest, dass erstens mehr Geld pro Sendeminute nicht höhere Klicks bedeuten. Es gehe nicht darum, wie gut etwas aussehe (Stichwort Produktionskosten), sondern wie gut es gemacht sei. Damit kritisiert Green auch die YouTube-Politik, durch Geld seien erfolgreiche Kanäle wahrscheinlicher. Das Unternehmen selbst hat dies mittlerweile eingesehen, greift seinen Nachwuchsproduzenten auch anders unter die Arme: In sogenannten "Creator Spaces" finden die YouTuber das nötige Equipment und die Kulissen, um ihre Inhalte professioneller herzustellen. Außerdem soll durch die gemeinsamen Arbeitsräume mehr Zusammenarbeit unter den Produzenten und eine kreative Atmosphäre gefördert werden.



Zweitens stellt Green fest, dass Menschen, die Webvideos produzieren (also echte YouTuber), dies besser können als TV-Produzenten. Dies ist auch bei den deutschen Kanälen sichtbar: Die zwei mit Abstand erfolgreichsten haben keinen TV-Hintergrund. Im Gegenteil, Ponk ist erwachsen aus Y-Titty, dem mittlerweile erfolgreichsten deutschen YouTube-Kanal überhaupt. Produziert werden Ponk und Y-Titty – sowie weitere Ableger wie ApeCrime, das frühere Ponk-Mitglieder zeigt – von Mediakraft Networks, einer rein auf Webvideos spezialisierten Produktionsfirma. Mediakraft ist so etwas wie die RTL- und ProSiebenSat.1-Gruppe zusammengenommen: der absolute Marktführer im Netz, mit einem eigenen Talentenetzwerk und internationaler Ausrichtung. Weit über hundert Millionen Abrufe zählen die Mediakraft-Kanäle – pro Monat. Vermutlich hätte also Ponk auch ohne YouTube-Hilfe einen ähnlichen Erfolg, dennoch gilt umso mehr: Sollte das Videoportal nochmals Geld in neue Channels investieren, ist klar, dass es bei Fernseh-Produktionsfirmen nicht besonders effizient aufgehoben ist. Echte YouTuber sollten mehr gefördert werden.

Und drittens folgert Green, dass sich die Inhalte nicht mehr an Werbekunden anpassen (wie oft im TV), sondern umgekehrt. Denn der User hat durch die zahllosen Kanäle eine unbegrenzte Auswahl, und damit ist derjenige erfolgreich, der am besten seine User (oder Zielgruppe) anspricht. Die Werbewirtschaft muss sich dem beugen und hat weniger Einfluss – sprich: Ein zweites „14 bis 49 Jahre“ wird es im Internet nicht geben. Wie Werbung funktionieren kann, zeigten jüngst Videos von Ponk: Die Ponk-Stars brachen in Teams zu einer Reise-Challenge auf, in der es darum ging, möglichst viele Kilometer zurückzulegen. Die Teams hatten 100 Euro und ein wenig Proviant in der Tasche, zudem ein neues Samsung-Handy, mit dem sie ihre Reise dokumentierten und nützliche Apps vorstellten. Rund 150.000 Menschen haben diese Videos mit Produktwerbung innerhalb eines Monats gesehen.

Einen vierten Punkt hat Green vergessen, wenn es um die Erfolgsfaktoren bei YouTube geht: Viele der erfolgreichsten Kanäle, darunter auch Ponk, setzen auf die direkte Interaktion mit ihren Zuschauern bzw. der Community, die Einfluss auf Inhalte erhält. Derzeit werden jede Woche Nachwuchs-YouTuber in die sogenannte Ponk-WG eingeladen und dürfen sich vorstellen. Regelmäßig gibt es Aktionen, in denen die Community Inhalte produziert, die dann bei Ponk erscheinen. Allzu oft geht man mit der Kamera auf die Straße und trifft die eigenen Zuschauer. Userkommentare werden vorgelesen und Ideen aufgegriffen – zumindest gibt man der Community dieses Gefühl. Schon mehrmals gab es innerhalb des Gründungsjahres Unmut bei den Ponk-Fans, mehrmals wurde der Kanal für tot erklärt: im Mai 2013, als die ersten Gründungsmitglieder das Format verließen, und im Oktober, als der letzte originale Ponk-Star ging.

Mittlerweile ist die Besetzung komplett ausgewechselt, dennoch wächst der Kanal weiter und bleibt erfolgreich. Denn der eigentliche Star, so scheint es, ist die Community selbst. Dies vermitteln auch die Ponk-Mitglieder, die kein Gefälle herstellen zwischen Zuschauer und Produzent: Sie verkörpern das normale Leben der Internetgeneration authentisch, unprätentiös und dem YOLO-Motto folgend.



Längst hat man dort verstanden, worauf es ankommt beim erfolgreichen YouTuben. Kurz gesagt: Dieses neue Medium funktioniert nach eigenen Regeln, Fernsehen ist hier kein Vorbild. Sondern eher ein Schimpfwort.
29.11.2013 11:45 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/67615