Die Kino-Kritiker: «Blue Jasmine»

Cate Blanchett gibt in Woody Allens humorigem Drama «Blue Jasmine» die beste Performance ihrer Karriere ab.

Über den Filmtitel

Jasmin-Blüten sind üblicherweise weiß oder gelb, optimistische Farben, die von der Titelfigur auch bevorzugt getragen werden. Charakterlich ist Cate Blanchetts Figur dagegen eher melancholisch, trübsinnig, spießig sowie (was sie sich selbst niemals eingestehen würde) jemand mit überaus derber Sprache. Und all dies wird im englischen Sprachraum als "blue" beschrieben.
Meisterregisseur Woody Allen wird nicht müde – und an Biss verliert der mehrfache Oscar-Preisträger (der sich herzlich wenig um die Academy Awards schert) auch nicht. Seit 1977 findet Jahr für Jahr eine neue Regiearbeit des neurotischen New Yorkers ihren Weg in die Lichtspielhäuser dieser Welt, und nach einer kurzen Durststrecke nach der Jahrtausendwende finden Allens neue Werke auch wieder großen Anklang bei Kritikern, Cineasten und Freunden des kleinen, feinen Kinofilms. Auf den meisterlichen Frankreichausflug «Midnight in Paris» folgte 2012 zwar der durchwachsene Italo-Episodenfilm «To Rome With Love», dafür legt der nimmermüde Filmemacher mit «Blue Jasmine» eine weitere Glanzleistung nach.

Allmählich stellt sich die berechtigte Frage, weshalb Allen bei all der Belastung nicht längst einen Nervenzusammenbruch erlitt – doch ein Blick auf sein dramatisches Charakterstück «Blue Jasmine» genügt, um sich die Antwort zu erahnen: Denn vor der Kulisse des sonnigen, urbanen San Francisco demontiert Allen genüsslich Arroganz, Gier, Doppelmoral und alles weitere, was zur Scheinwelt der Schönen und Reichen gehört. Und ganz nebenher verortet er Falschheit und Selbstvorwürfe als Auslöser für arge Nervenprobleme – wen soll es da noch wundern, dass der konstant seinem filmischen Handwerk nachgehende Allen bei solch einer Einstellung munter und tüchtig bleiben kann?

Im Mittelpunkt von Allens grimmen Psychogramm steht die frisch aus der New Yorker High Society gefallene Jasmine (Cate Blanchett). Bankrott, desillusioniert und vom Gedanken, sich nun mit dem Pöbel abgeben zu müssen, angewidert, zieht sie nach San Francisco, wo sie vorerst bei ihrer Adoptivschwester Ginger (Sally Hawkins) unterkommen soll. Doch statt sich darauf zu konzentrieren, die Scherben ihres Daseins zusammenzukehren und eine neue Existenz aufzubauen, rümpft sie nur ob des Umgangs ihrer Schwester die Nase und verweigert sich „schmutziger“ Arbeit. Einen Großteil ihrer Zeit verbringt Jasmine indes mit Träumereien von ihrem früheren Leben als Gattin des erfolgreichen Geschäftsmanns Hal Francis (Alec Baldwin) und mit dem Wunsch, Innenarchitektin zu werden. Rasch wird Jasmine zur Last für Ginger und ihren Verlobten Chili (Bobby Cannavale), der sich stets Gehässigkeiten der Wodka schlürfenden, zeternden Ex-Reichen anhören muss. Diese denkt aber nicht daran, sich stärker für eine eigenständige Zukunft ins Zeug zu legen. Nicht allein aus Faulheit – sie weiß es einfach nicht besser. Und ihr Nervenkostüm ist auch nicht gerade sonderlich belastungsfähig …

Ist üblicherweise Woody Allens markanter Schreibstil der Star in den Regiearbeiten des Filmemachers, gebührt dieses Mal die meiste Aufmerksamkeit sowie das lauteste Lob der sensationellen Darbietung Cate Blanchetts. Die Academy-Award-Gewinnerin kreiert eine unvergessliche, snobistische Zicke, die sich nahezu Szene für Szene ein abfälliges Augenrollen vom Kinopublikum erarbeitet – und die trotzdem nicht auf die Nerven fällt, sondern kontinuierlich einen Hauch von Sympathie aufrecht erhält. Oder für die zumindest ein Minimum an Mitleid empfunden werden kann. Blanchetts Spiel ist einfach zu packend, die von ihr mit Inbrunst vermittelten Stimmungsschwankungen zu glaubwürdig und mitreißend, als dass man sich von Jasmine abwenden könnte. Und wenn Blanchetts magnetische Anziehungskraft und Allens effektive, zurückhaltend-bestimmende Regie erst einmal den Blick auf das nervliche Wrack gelenkt haben, dann ist es nahezu unmöglich, all die Selbstzweifel und Selbstvorwürfe unter den überheblichen Phrasen und dem Schickimicki-Gehabe zu erkennen. Selten war eine Leinwandfigur gleichzeitig so widerlich und so bemitleidenswert wie die abseits der oberen Zehntausend lebensunfähige, sich ihrer selbst schämenden Jasmine.

Wie Perlen auf einer Schnur reiht Allen Stationen in Jasmines San-Francisco-Aufenthalt aneinander: Ihre Ankunft in der sie anwidernden Wohnung der quirligen, einfachen Ginger. Ihre erste Begegnung mit Chili und seinen Freunden, deren Freundlichkeit und Offenheit Jasmine erzürnen. Ihre unbeholfenen Versuche, als Empfangsdame bei einem Zahnarzt zu arbeiten. Zwischendurch gibt es Rückblicke auf die in Goldschimmer getauchten Jahre, in denen Jasmine an der Seite eines betrügerischen Millionärs fern aller Sorgen in den Tag hineinlebte. Diese Szenen sind in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung, zeigen sie doch nicht bloß, weshalb Jasmine so ein verzogenes Gör Mitte 40 geworden ist, sondern erläutern nach und nach auch, dass ihr löchriges Nervenkostüm zum Teil auf Selbsthass beruht. Denn wie sich allmählich zeigt, macht sich Jasmine auch Vorwürfe, dass sie nicht viel früher die Machenschaften ihres Gatten durchschaut hat.

Die weiteren Darsteller dienen in «Blue Jasmine» vornehmlich als erzählerische Mittel zum Zweck: Engagiert, doch aufgrund des auf Jasmine liegenden Fokus des Films in ihren Möglichkeiten beschränkt, spielt das restliche Ensemble all jene Menschen, die von der dauergenervten Titelfigur unentwegt missverstanden werden. Besonderes Lob verdienen sich Bobby Cannavale als jetziger Verlobter und Andrew Dice Clay als Ex-Mann von Jasmines Schwester, die beide mit ihrer bodenständigen, emotionalen Art den ehrlichen, einfachen Mann repräsentieren und ein raues Charisma versprühen, durch ihre grobschlächtige Erscheinung aber auch problemlos vermitteln, weshalb sie nie zur grazilen Jasmine durchzudringen vermögen.

Alles in allem ist Woody Allens bitteres, dank seiner amüsanten Spitzen gegen die feine Gesellschaft dennoch äußerst kurzweiliges und pointiertes Charakterstück eine überaus sehenswerte Verschmelzung aus verspielter Reichen-Satire und nachhallendem Drama über eine Frau, die sich in ihrem Leben nicht mehr zurechtfindet. Cate Blanchett liefert die ergreifendste und facettenreichste Performance ihrer bisherigen Karriere ab – und Woody Allen erinnert daran, dass er ja auch ernste Stoffe beherrscht.
07.11.2013 11:30 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/67204