Die Kino-Kritiker: «Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt»

Benedict Cumberbatch fasziniert in einem wortgewaltigen Kinofilm, der den Aufstieg und Fall von WikiLeaks nacherzählt.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Bill Condon
  • Drehbuch: Josh Singer
  • Musik. Carter Burwell
  • Kamera: Tobias A. Schliessler
  • Schnitt: Virginia Katz
  • Mit: Benedict Cumberbatch (als Julian Assange), Daniel Brühl (als Daniel Domscheit-Berg), Anthony Mackie (als Sam Coulson), Moritz Bleibtreu (als Marcus) und David Thewlis (als Nick Davies)
Von mühevoll gemeißelten Hieroglyphen über kunstvoll gedruckte Flugblätter hin zur traditionellen Tageszeitung sowie zu fesselnden Radioberichten und bildgewaltigen Fernsehbeiträgen: Regisseur Bill Condon zelebriert die Entwicklung des Journalismus im Vorspann zu «Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt» in kunstvollen, stilisierten Bildern. Doch dieser Kniefall vor der schreibenden Zunft ist nur das Vorspiel zu einer weniger feierlichen Passage in der Geschichte der Berichterstattung: Der Aufstieg des Internets und der modernen Digitaltechnologie zwingt einige Printmedien in die Knie, so dass stylische Apps und unschlagbar aktuelle Webfeeds en vogue werden. Der klassische, hart arbeitende Investigativjournalismus bleibt bei all den raschen, doch teils oberflächlichen Internetberichten allerdings auf der Strecke. Nicht nur online, sondern ebenso in den etablierten Redaktionen. Weil das Internet die wirtschaftliche Rentabilität von Printmagazinen immer stärker begrenzt, müssen Chefredakteure und Geschäftsführer harsche Einsparungen machen, wobei es den kostspieligen, auf ausgedehnte Recherearbeiten fußenden Investigativzweig als Erstes trifft.

In dieser schwachen Phase des Journalismus, der so genannten vierten Gewalt, welche der Politik kritisch auf die Finger schauen sollte, betritt eine neue Macht das Feld der Informationspolitik. Im Dezember 2006 startet die Webseite WikiLeaks.org, auf der Menschen, die über geheime Dokumente verfügen, diese der Welt zugänglich machen können. Dank ausgefeilter Sicherheitstechnik ist es unmöglich, die Identität der „Whistleblower“ zu verfolgen, womit sich WikiLeaks als ideale Plattform für den Kampf gegen wirtschaftliche oder politische Ungerechtigkeiten versteht. Nach außen hin kristallisiert sich rasch der weißhaarige Australier Julian Assange als federführende Persönlichkeit bei WikiLeaks heraus.

Der exzentrische Ex-Hacker und energische Kämpfer für mehr Transparenz und Freiheit ist es auch, der im November 2007 den Deutschen Daniel Domscheit-Berg als Mitarbeiter rekrutiert. Dieser aufgeweckte und integre Informatiker ist es anschließend auch, der Assange tatkräftig dabei unterstützt, zugespielte Dokumente auf ihre inhaltliche Genauigkeit zu überprüfen und WikiLeaks populärer sowie effektiver zu machen. Bald darauf überschlagen sich die von WikiLeaks verbreiteten Enthüllungen über Wirtschaftskorruption und fragwürdige politische Machenschaften, was Nick Davies, einen ambitionierten Reporter bei der britischen Tageszeitung Guardian, auf das Portal aufmerksam macht. Mit aller Macht will er eine Kooperation mit WikiLeaks in die Wege leiten, doch Assange blockt die Anfragen der seiner Ansicht nach veralteten, trägen Medienwelt ab.

Während WikiLeaks unaufhaltsam an Bedeutung gewinnt, beginnt es hinter den Kulissen zu brodeln: Zunehmend ist Domscheit-Berg von der brüchigen Infrastruktur des spendenfinanzierten Unternehmens sowie von Assanges despotischen Gehabe frustriert, darüber hinaus zeichnen sich grundlegende Meinungsverschiedenheiten über die Kernziele von WikiLeaks ab. Soll das Portal die vollkommene Transparenz sämtlicher Informationen anstreben oder eher den effektiven Kampf gegen herrische Systeme, einhergehend mit einem umfassenden Schutz für Informanten und Aktivisten?

Aus diesen interpersonalen Konflikten zwischen Assange und seinem einst engsten Mitarbeiter einerseits, dem Wettstreit der vierten mit der fünften Macht andererseits, sowie aus den durchaus komplexen Wertefragen spinnt Regisseur Bill Condon mit «Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt» ein facettenreiches Stück filmischer Zeitgeschichte. Basierend auf einem Drehbuch des «The West Wing»-Autoren Josh Singer, das Aspekte aus Domscheit-Bergs Enthüllungsbuch über WikiLeaks mit Passagen aus einem Tatsachenbericht der Guardian-Journalisten David Leigh und Luke Harding vermengt, erschafft Condon eine fesselnde Gegenüberstellung sämtlicher Blickwinkel auf die Webseite. Gelungen balanciert der von Assange vorab aufs Schärfste kritisierte Film Kritik, Ehrwürdigung und Indifferenz aus, ohne dadurch den Eindruck zu erwecken, er wolle es allen Zuschauern zugleich recht machen.

Stattdessen präsentiert Condon durch eine intelligente Konstruktion aus Fakt und narrativer Dramatisierung die Positionen der einzelnen handlungsrelevanten Personen, woraufhin er durch indirekte Fragen und teils provokativ-plakativer Selbstbeweihräucherung der Figuren den Zuschauer förmlich dazu drängelt, für sich selbst ein endgültiges Urteil zu fällen. So weit dies nun überhaupt bereits möglich ist – immerhin kommt diese Mischung aus Journalismus-/Polit-Thriller und Charakterdrama in die Kinos, obwohl weltpolitisch das letzte Wort über Assange noch nicht gesprochen ist.

Wenn Condons insgesamt sehr selbstsichere und galante Inszenierung oder Singers wortgewaltiges Drehbuch zwischendurch nachlassen, sei es während des halbseiden umgesetzten Romantik-Subplots oder den nicht voll ausgekosteten Visualisierungen der WikiLeaks-Arbeitswesise, kann sich die Produktion voll und ganz auf Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch verlassen. Während das stilistisch zwischen «The Social Network» und «Die Unbestechlichen» angesiedelte Projekt in seiner Gesamtheit letztlich doch ein paar Plattitüden zu viel umfasst, um sich auf Augenhöhe mit seinen Vorbildern zu begeben, ist Cumberbatchs Performance makellos. Mit fast hypnotischer Präzision zeichnet er Assange als einen sensiblen sowie begabten Netzaktivisten, der seine Ambitionen und Traumata nicht unter Kontrolle hat. Als kühl-kalkulierender Despot mit unnachgiebigem Antrieb, für mehr politische Transparenz und Fairness zu kämpfen, ist Cumberbatchs Assange ebenso Held wie Fiesling, mit seinen durch nervöse Ticks unterstrichenen Unsicherheiten ist er genauso bemitleidenswert, wie er aufgrund seiner herrisch-abwertenden Blicke verabscheuungswürdig gerät.

Daniel Brühl setzt gegen den «Sherlock»-Star seinen Bübchencharme mit pausbackigem Lächeln ein. Obendrein hat er als Domscheit-Berg in einigen hitzigen Sequenzen, dem Drehbuch sei dank, die fundierteren verbalen Argumente auf seiner Seite. An seine großartige Darbietung in Ron Howards Rennfahrerdrama «Rush» kann Brühl trotzdem nicht ganz anknüpfen, dafür legt der Brite David Thewlis in seine Performance als britischer Reporter Nick Davies umso mehr Feuer hinein. Effektiv sind auch die als Randnotizen ins Storykonstrukt geflochtenen Plots um diverse, charismatisch verkörperte Politiker und Botschafter, deren Tätigkeiten durch WikiLeaks beeinflusst werden.

Der denkwürdigste Moment bleibt dennoch Cumberbatch alias Assange vorbehalten, der hier den bei Filmen über wahre Begebenheiten obligatorischen Texttafel-Epilog unterbricht. Es ist ein selbstreferenzieller Moment, der als kleiner Stilbruch mit dem vorher gesehenen Thrillerdrama ebenso effekthascherisch wie kongenial ist. Der semi-fiktionale, aktuelle Kommentar zum Film findet noch vor dem Abspann den Weg ins Kino – wäre Assange ob der bloßen Existenz dieser internationalen Koproduktion nicht dermaßen beleidigt, hätte er vielleicht sogar Gefallen daran.

«Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt» ist ab dem 31. Oktober 2013 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
29.10.2013 08:30 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/67017