Fußball-Talk «Mittendrin»: Wontorra macht Überstunden

Ein erfrischender Plausch über die wichtigsten Fußball-Themen des Wochenendes oder einfach nur ein «Doppelpass» light? Unser Fazit zur neuen Sport1-Sendung «Mittendrin» mit Jörg Wontorra…

Hertha BSC ist Tabellenführer – nein, nicht im Tischtennis oder in der 2. Liga, sondern in der ersten Fußball-Bundesliga. Am Wochenende zum ersten Spieltag holte der Aufsteiger den höchsten Sieg und setzte sich an die Tabellenspitze, wurde so zu dem Gesprächsthema unter Fußballbegeisterten. Auch beim neuen Talk «Mittendrin», der am Sonntagabend um 21.45 Uhr bei Sport1 startete und eigentlich die beiden Sonntags-Partien ausführlich behandeln will. Jörg Wontorra eröffnete die erste Sendung aber mit eben jener Hertha, die bereits am Vortag gespielt hatte.

Schalke, Hamburg, Stuttgart, Mainz – die vier Sonntagsduellanten mussten warten, bis sie bei Wonti zur Sprache kamen. Einfacher Hintergrund: Sport1 besitzt nicht die Erstverwertungsrechte für die Sonntagsspiele, darf erst ab 22.15 Uhr Bilder aus den Partien zeigen. Bis dahin ist es wahrlich ein abgespeckter «Doppelpass», den Fußballfans geboten bekommen: Neben der Hertha behandelt man noch den Liga-Start von Dortmund und Bayern; es ist bezeichnend, dass sogar ein O-Ton aus dem wenige Stunden zuvor gezeigten «Doppelpass» selbst eingespielt wird.

Die Themen werden in den 75 «Mittendrin»-Minuten deutlich hastiger als im Talk-Klassiker am Sonntagmorgen durchgehechelt, der über zwei Stunden senden darf. Ein Nachteil muss dies nicht sein: Wer Meinungen kompakter bekommen will, ist hier besser bedient. Und wer vielleicht andere Gäste zu den Liga-Themen hören will als im morgendlichen Talk: Zur «Mittendrin»-Premierensendung waren Karl-Heinz Riedle, Reinhold Beckmann und Dieter Hoeneß eingeladen. Letzterer passte als ehemaliger Manager von Hertha BSC ideal zum Überraschungsthema des ersten Spieltags. Spannender wäre ein Experte zu einer der vier Sonntags-Mannschaften gewesen, denn dafür ist die neue Sport1-Sendung eigentlich da.

Gegen 22.15 Uhr geht «Mittendrin» in seine erste Werbepause, die auch den inhaltlichen Schnitt markiert: Anschließend darf man die Sonntags-Spiele zeigen und darüber diskutieren – nun gibt es endlich auch den grünen Rasen zu sehen, Angriffskombinationen und Tore. Allerdings in einem enttäuschenden Verhältnis: Zu viel Talk und zu wenige Spielszenen lassen den Eindruck erwecken, Sport1 erwarte vom Zuschauer, dass dieser die Spiele oder ihre Zusammenfassungen schon gesehen hat. Hat er dies nicht, so bekommt er Gespräche zu einem Inhalt geliefert, von dem er sich selbst noch kein Bild gemacht hat.

«Mittendrin» lockert den Talk auch kaum anderweitig auf, wie es beispielsweise der «Doppelpass» tut: Dort werden mehrere Clips zum Liga-Geschehen eingestreut, darunter die legendäre Rubrik „Schwarz auf Weiß“. «Mittendrin» begnügte sich mit einem kurzen Hintergrundbericht zur Hertha. Immerhin: Zuschauermeinungen aus dem Netz werden immer wieder eingestreut, aktuelle Informationen oder Spielerpostings weitergegeben (beispielweise zu Julian Draxlers Verletzung). Neu macht dieser Talk dennoch fast nichts. Einziges hinzugefügtes Element: Man zeigt Spielerbenotungen der Sonntags-Partien, die User vom Sport1-Internetportal vergeben haben.

Moderator Jörg Wontorra führt gewohnt souverän durch die Sendung, sorgt für eine lockere Stimmung und bringt sofort die gemütliche «Doppelpass»-Atmosphäre zu seinen Zuschauern. Damit aber erweckt sich auch der generelle Eindruck eines «Doppelpass» light, den Sport1 hier anbietet – und die Frage aufkommen lässt, wen der Sender mit «Mittendrin» überhaupt erreichen will? Ungeduldige, zahlungskräftige Fußballverliebte haben sich vermutlich am Vorabend bereits die Gesprächsrunde «Sky90» angesehen, die deutlich tiefgründiger und detailreicher daherkommt als der neue Free-TV-Talk. Und die aufgrund der hauseigenen Experten vermutlich oft die besseren Gäste haben wird, dazu ausführliche Spielberichte. Analytiker und Statistiker schalten ebenfalls bei «Sky90» ein oder am Montagabend in der Sport1-«Spieltaganalyse», die sich unter Fußballfans einen Namen gemacht hat. Und wer echte Zusammenfassungen der Sonntagsspiele haben will, schaltet um 21.45 Uhr entweder die Öffentlich-Rechtlichen ein oder um 23 Uhr die Bundesliga-Zusammenfassung – wiederum bei Sport1.

«Mittendrin» macht zu wenig neu, um sich Profil inmitten dieser Formate zu verschaffen. Und bietet zu wenig echten Fußball vom Sonntag, um für diejenigen Fans interessant zu sein, die sich erstmals über die Partien informieren wollen. Es bleiben wohl als Zielgruppe jene Zuschauer, die von den ARD-Zusammenfassungen zu Sport1 rüberschalten. Oder jene, die unbedingt weitere Stimmen zu den Begegnungen wissen wollen. «Mittendrin» wird nach der lauen Auftaktsendung vor allem dann seine Stärke beweisen müssen: Wenn spannende, entscheidende Partien mit Dortmund, Bayern und anderen Titelfavoriten am Sonntag anstehen, kann man eine echte Lücke schließen. Dann, wenn Fußballdeutschland aufgrund der großen Duelle gar nicht aufhören will zu diskutieren.

Und es bleiben als Zuschauer selbstverständlich jene Fanatiker, die ohnehin jeden TV-Schnipsel verschlingen, der sich um das runde Leder dreht. Schließlich redet man hier nicht über irgendwas – sondern über: (Quoten-)König Fußball.
12.08.2013 08:26 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/65459