Popcorn und Rollenwechsel: Die «Rocky Horror Picture Show»-Vorführung

Sommerzeit, Zeit für besondere Kinovorführungen. Wie etwa für den «Rocky Horror Picture Show»-Zirkus.

Die «Rocky Horror Picture Show»-Vorführung.
„Liebling, such die kaputten Strapse raus, die meine Oma dir letztes Weihnachten geschenkt hat! Der «Rocky Horror» is' bald wieder im Kino“, tönt es. Erst erwidert die Gefährtin des am Laptop sitzenden, das Kinoprogramm studierenden Filmfreundes diesen kuriosen Satz mit einem verwirrten „Häääh?!“ Doch ein entschlossener Blick auf den Bildschirm lässt es bei ihr langsam dämmern. „Ach, dieses Musical mit Tim Curry in Strapsen, wo dieses … dieses … äh … 'Time Warp' herkommt?“ Er nickt, merkt an, dass man bei diesem Film unter anderem mit Klopapier schmeißen darf und reserviert zwei Karten.

Die «Rocky Horror Picture Show»-Vorführung.
Eine Rolle Klopapier, eine Packung Reis, Konfetti und selbstredend auch noch Partytröten sowie eine Scheibe Toastbrot. Sonst noch was? Tage vor der Vorführung wird eifrig das traditionelle Zubehör gesammelt, um standesgemäß mit dem Film interagieren zu können. Einheitliche Listen lassen sich im Web nicht finden, und die Seite des Kinos, in dem der Wahnsinn demnächst stattfindet, schweigt sich geflissentlich aus. Ihm schwindet langsam die Lust, kann er doch nicht mehr exakt planen. „Da kauf ich schon den ganzen Scheiß, und dann weiß ich nicht einmal, ob ich den korrekt einsetze“, klagt der Planer. Sie steht währenddessen vor dem Spiegel und trägt ihr Outfit Probe – es ist skurril, sexy und auffällig. Nun ist sie Feuer und Flamme auf den Kinogang.

Die «Rocky Horror Picture Show»-Vorführung.
Nervosität macht sich breit. „Sollen wir wirklich gehen?“, wimmert er. Immerhin hat die «Rocky Horror Picture Show» solch eine eingeschworene Fangemeinde, dass es nur all zu gut möglich ist, dass diese extrovertierten Freaks mit ihren auswendig gelernten Riten und krassen Outfits keine Novizen in ihren Reihen dulden. Bekommt man vom Film überhaupt etwas mit, wenn doch dauernd alle dazwischenquaken? Das wird doch nur alles raus geschmissenes Geld sein, oder?

Die «Rocky Horror Picture Show»-Vorführung.
Auf den letzten Metern vor dem Kino versammeln sie sich schon: Bucklige Butler, entnervt dreinblickende Hausmädchen, Rotschöpfe in Glitzerjacken und jede Menge Kerle in hohen Hacken, löchrigen Strumpfhosen sowie dicker Schminke. Die Stimmung im Foyer ist ausgelassen – sowie ungeheuerlich freundlich. Die Leute gratulieren einander, wenn sie die Filmfiguren gut treffen, blicken anerkennend an, wenn sie wen entdecken, der in einem ganz eigenen Outfit daherkommt, das den Geist des Filmes trifft. Staunende Zivilisten, die sich schüchtern an ihre Mitmachtüten krallen, werden gemächlich ins Gespräch eingebunden. „Was habt ihr denn so dabei?“ „Aha, ja, da braucht ihr noch Luftschlangen, Moment, ich gebe euch ein paar ab!“ „Seht ihr ihn erstmals im Kino?“ „Also, ich habe mich damals gar nicht vorbereitet. War auch eine originelle Erfahrung!“

Die «Rocky Horror Picture Show»-Vorführung.
Das Licht im gut gefüllten, bebenden Saal verdunkelt sich. Der eine klammert sich an seine selbstgemachte Liste mit Mitmachregeln, der nächste am im Kino ausgeteilten Flyer. Da drüben sitzt eine Gruppe, die gar nichts mithat, dort hinten eine noch größere Gruppe, die einen ganzen Sack voll Spielkram dabei hat und die draußen vorm Saal prahlte, zum zehnten Mal zu gehen und nun erstmals ohne Spickzettel mitzumachen. Während des ersten Songs baut sich eine gigantische Anspannung auf. Wird es Spaß machen? Verpasse ich meine Einsätze?

Die «Rocky Horror Picture Show»-Vorführung.
Der Reis fliegt im hohen Bogen durch den Saal, man hört fast schon, wie ein Grinsen das Gesicht eines jeden Besuchers erhellt. Man kommt kaum hinterher, „WeissSSSSS“ zu rufen, und der Kerl schräg vor einem sucht alle drei Minuten mit seinem Knicklicht panisch seinen Spickzettel ab, um rauszufinden, was als nächstes ansteht. Vom Erzähler bekommt man zunächst nicht ein einzelnes Wort mit, weil jeder meint, die „Boring!“-Rufe fortzusetzen, sobald sie sich im Inbegriff befinden, abzuklingen. „Also, bei uns macht man das hier aber nicht!“ „Hehe, das ist aber eine coole Idee!“ Es pendelt sich sich ein: Die stillschweigende Abmachung, den Film in Interaktion nicht zu ersticken, wird nach kurzen Anlaufschwierigkeiten geachtet. Jeder verfolgt leicht andere Mitmachregeln, so dass die einheitliche, kraftvolle Masseninteraktion durch einzelne, unerwartete Dinge aufgelockert wird. Ein willkommener Bruch der Konvention.

Die «Rocky Horror Picture Show»-Vorführung.
Ein Kinobesuch wie kein anderer. Ein Publikum, wie man es noch nie hatte. Eine Mordsgaudi, und manche Kinogänger bekommen sogar die liberale Botschaft des Films mit. Doch vor allem: Es ist ein durchgeknalltes Gemeinschaftserlebnis.

Die «Rocky Horror Picture Show»-Vorführung.
Don't dream it – be it!
01.07.2013 08:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/64657