Kritiker: «The Vice Reports: Europas frustrierte Jugend»

Adrenalinsüchtige Reporter unterwegs um die verrücktesten Reportagen zu produzieren.

«The Vice Reports» ist quasi die Fortsetzung von «Die Welt von Vice» und hat sich ebenfalls wie der Vorgänger auf die Fahnen geschrieben, die „verrücktesten, lustigsten und fertigsten Geschichten“ zu zeigen.

Gleich in der ersten Folge geht es um Europas Jugend, vornehmlich aus Spanien, Griechenland und Portugal. Dort wo die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen um die 50 Prozent und die Aussicht auf Besserung - wenn überhaupt - in weiter Ferne liegt, gehört der Protest mittlerweile zum Alltag.

Was aber tun, wenn man als Jugendlicher in einer solchen Situation aufwächst, ohne Geld, ohne Jobs und ohne Zukunft? Viele Möglichkeiten bleiben nicht. Entweder man zieht wieder zu den Eltern, oder verlässt gleich ganz das Land und baut sich an einem anderen Ort ein neues Leben auf, oder aber man geht auf die Straße und kämpft für seine Rechte und die Zukunft. Die Reporter von „Vice“ machen sich auf und versuchen, jede dieser Optionen aus einer ganz persönlichen Perspektive zu beleuchten.

Hierzu reisen die Reporter zur Zeit des Generalstreiks nach Athen und finden sich im Nu inmitten von Aufständen und Ausschreitungen verschiedenster Gruppierungen wieder. Hier sieht man mal, wie solch‘ ein Protest abläuft. Der Kommentar des Reporters „Das ist wie Bürgerkrieg“ trifft so ziemlich auf den Punkt. Die Bilder der Krawalle, Molotowcocktail-werfenden Protestlern und mit Knüppeln schlagenden Polizisten werden mit lauter Thrash-Metal-Musik unterlegt, was fast den Anschein erweckt, man schaue sich ein solches Musikvideo an. Fraglich, ob das dazu beiträgt, solche Krawalle als cool zu erleben oder eher abzulehnen.

Leider bleiben die Hintergründe beziehungsweise die Motivation und Absichten der Protestler oder auch die der Regierung im Rahmen der Reportage oft unklar und nur oberflächlich betrachtet. Eine oftmals etwas einseitige Berichterstattung ist die Folge. Klar identifiziert sich ein jugendliches Magazin mit den jugendlichen Protestlern, aber lässt den Zuschauer eben im Dunkeln über dessen Beweggründe und Ziele. Was bleibt ist ein Krawall-Video mit lauter Musik.

Was allerdings gut gelingt, ist, die Alternativen zum gewalttätigen Protest zu zeigen. In Spanien zum Beispiel begleitet man Jugendliche, die Häuser besetzen, um für obdachlos gewordene Familien wenigstens ein Dach über den Kopf zu organisieren. Selbstlos, aber auch,weil es die Situation und die Menschlichkeit nun mal erfordert. Auch die Möglichkeit, das Land zu verlassen und sich eine neue Zukunft aufzubauen, wird im Interview mit einer aus Spanien ausgewanderten jungen Frau hinterfragt. Wer hat diese Möglichkeiten denn überhaupt?

Ein großer Fortschritt von «The Vice Reports» gegenüber «Die Welt von Vice» ist der Moderator Jo Schück. Wo beim Vorgänger noch Chefredakteur Tom Littlewood im Rahmen der An- und Zwischenmoderationen mit sonorer Stimme und emotionslosem Gesichtsausdruck den Zuschauer langweilte, ist nun ein Profi am Werk. Jo Schück macht seine Sache hier sehr gut. Nicht nur, dass er zwischen den Reportagen kurz und knapp überleitet, nein, er führt auch persönlich Interviews und wirkt dabei nicht teilnahmslos, sondern interessiert und aufrichtig.

Wenn «The Vice Reports» da weitermacht, wo «Die Welt von Vice» aufgehört hat, dann kann und sollte man sich diese Reportagen durchaus anschauen. Ganz egal, ob man zur jugendlichen Zielgruppe gehört oder nicht. Qualitativ hochwertig und immer irgendwie interessant sind die Eigenschaften, welche die „Vice“ Reporter auszeichnen. Aufgrund des geringen zeitlichen Umfangs sollte man sich jedoch darauf einstellen, vor oder nach der Sendung nochmal selbst zum Thema zu recherchieren und sich einen Überblick zu verschaffen, wenn man alle Blickwinkel verstehen möchte.

ZDFkultur zeigt «The Vice Reports» am Freitag, dem 15. Februar 2013, um 22.50 Uhr.
14.02.2013 13:17 Uhr  •  Martin Stanchly Kurz-URL: qmde.de/62090