Die Kritiker: «Operation Zucker»

Das eindringliche Kriminaldrama nähert sich dem Thema Kinderhandel auf erschreckend glaubwürdige Weise.

Inhalt
Die Eltern des zehnjährigen rumänischen Mädchens Fee glauben, sie würden ihrer Tochter zu einer Zukunft voller Möglichkeiten verhelfen, als sie das Kind in die Hände unbekannter Männer geben, welche versprechen, sie nach Westeuropa zu schaffen. Aber die Fremden haben nicht Fees Wohlsein im Sinn: Sie reichen sie bei einer Auktion an den Berliner Kinderhändler Ronnie weiter, der sie an ein als Singleclub getarntes Kinderbordell in der Hauptstadt verkauft. Dort landete erst kürzlich auch der Waisenjunge Bran, der später von einem Freier nicht nur sexuell missbraucht, sondern auch brutal geschlagen wird.

Zu den pädophilen Kunden des Berliner Junggesellentreffs zählen viele hoch angesehene Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Justiz, die ihr Doppelleben erfolgreich verheimlichen und sich gegebenenfalls dank ihrer engen Kontakte zu Machtinhabern aus der Schlinge der Ermittlungen befreien können. Diese Erfahrung muss auch die ambitionierte Kommissarin Wegemann machen, die den Berliner Club schon lange im Visier hat und eifrig Beweise sammelt, jedoch immer wieder gegen bürokratische Windmühlen läuft. Als sie einen bekannten Richter unter den Besuchern des Bordells ausmacht, behält sie diese Information deswegen für sich – und dennoch werden die Betreiber und Kunden rechtzeitig vor der Razzia gewarnt, weshalb Wegemann nur Fee aus dem Club retten kann.

Als sich Mittelsmann Ronnie Wegemann und Staatsanwältin Lessing, die unter großem Schrecken erfahren muss, dass sie einen der Kunden des Kinderprostitutionsrings persönlich kennt, stellt, um aus dem Geschäft auszusteigen, sehen die beiden Frauen ihre Chance gekommen. Allerdings traut die Justiz Ronnies Informationen nicht, was die Zusammenarbeit zwischen Ermittlern und Spitzenzeugen enorm erschwert ...

Darsteller
Nadja Uhl («Die Sturmflut») als Karin Wegemann
Senta Berger («Unter Verdacht») als Dorothee Lessing
Anatole Taubman («Die Säulen der Erde») als Uwe Hansen
Uwe Preuss («Polizeiruf 110») als Dirk Baalke
Paraschiva Dragus («Glück») als Fee
Adrian Ernst («Ki.Ka-Krimi.de») als Bran
Stefan Rudolf («Die Chefin») als Ronnie
Gernot Alwin Kunert («Schicksalsjahre») als Johannes Guthen

Kritik
Es gibt sie also noch, die vorab viel besprochenen ARD-Degeto-Filme, die ihren Versprechungen gerecht werden. «Operation Zucker» fand sogar seinen Einzug in die «Tagesschau» und ist ein früher Kandidat für diverse Fernsehpreise des Jahres. Das Thema der Kinderprostitution ist längst kein Tabu mehr für deutsche Fiction, in unregelmäßigen Abständen begegnet es den «Tatort»-Kommissaren oder auch den Protagonisten unterschiedlicher fürs Fernsehen erdachter Krimininaleinzelfilme – manchmal sind diese Erzählungen bodenständig und rau, in anderen Fällen beugen sie sich den Publikumserwartungen ans Genre und zaubern bloß mit etwas weniger Humor als gewohnt ein leicht verdientes Ende herbei.

«Operation Zucker» zählt nicht bloß zur ersten Kategorie, sondern auch zu ihren stärksten, da eindringlichsten Vertretern: Autor Philip Koch erzählt, nach einer Idee von Gabriela Sperl und Rolf Basedow, ohne jegliche Schnörkel in nüchternem Tonfall einen fiktionalen, wirklichkeitsnahen Beispielfall über den immerwährenden, schwierigen Kampf gegen Kinderprostitution. Es steht keine flammende Systemkritik im Vordergrund, welche in Form eines Spielfilms schnell den Handlungsfluss überfrachten kann, das bedrückende, wichtige Thema wird durch keine Stilübungen in Sachen deprimierende Charakterzeichnung verwässert – Koch nimmt beispielhafte Fakten über Opfer, Täter, Ermittler und Ermittlungsprobleme und spinnt aus ihnen einen angemessen schwer verdaulichen Fernsehfilm.

Die nachhallende Wirkung dieses düster-realistischen Kriminaldramas rührt nicht allein aus der unaufgeregten, authentischen Erzählweise, sondern zu großen Stücken auch aus Rainer Kaufmanns Inszenierung. Kaufmann unterstreicht die beunruhigende Glaubwürdigkeit des Drehbuchs durch eine semi-dokumentarische Kameraarbeit, die den Zuschauer in die Position eines heimlichen Beobachters versetzt. Im Gegensatz zu anderen sich auf ihren visuellen Realismus verlassende Kriminalfilme hält die Handkamera hier jedoch weitgehend still, lässt das Gezeigte und nicht das Rumgewackel sprechen. Zusätzlich unterstreicht Kaufmann die karge Thematik seines Films durch behutsam gewählte Momente, in denen er durch subtile Bildmetaphern die in der Erzählung liegende Emotion kommentiert – das Dokumentarische von «Operation Zucker» geht somit nie verloren. Szenen, wie etwa Fees erster Dienst am Kunden bleiben realistisch, aber durch sachtes Spiel mit der Unschärfe und die Entscheidung, das Bild durch einen Kettenvorhang zu verhängen und statt auf explizite Darstellung auf Implikationen zu setzen, bleiben sie auch sensibel – zu viel Authentizität könnte den Film nämlich auch umkippen lassen, so dass er unnötig schockt.

Die Darstellungen des Ensembles sind allesamt akzentuiert und stellen sich in den Dienst der Geschichte: Die Hauptdarstellerinnen Uhl und Berger verzichten darauf, zu dramatisch zu agieren und das Leid ihrer Rollen in den Vordergrund zu drängen, sind weniger um Identifikationsmomente bemüht als um Plausibilität. Die Degeto hat mit «Operation Zucker» also alles in allem einen Ausnahme-Fernsehfilm geschaffen – zumindest in der ungekürzten Fassung. Aufgrund seiner FSK-Freigabe ab 16 Jahren musste die für 20.15 Uhr angesetzte Ausstrahlung um drei Minuten gekürzt werden – da allerdings keine Gewaltspitzen, sondern eine aussagekräftige Handlungswende der Schere zum Opfer fiel, wird die Absicht der Filmemacher durch den Schnitt herb untergraben.

Das Erste entschied zwar, dennoch auch zur besten Sendezeit auf den Film zu setzen, um das relevante Thema zu dieser Zeit ansprechen zu können, dennoch sei dringlich die Nachtwiederholung empfohlen.

Das Erste zeigt «Operation Zucker» am Mittwoch, den 16. Januar 2013, um 20.15 Uhr in einer gekürzten Fassung sowie in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag um 0.20 Uhr in der Originalversion.
15.01.2013 10:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/61490