Neu im Kino: Ficki Ficki in Kenia

Neben einer 50-jährigen Sextouristin stehen bei den Neustarts dieser Woche ein depressiver Enddreißiger und Jack Reacher im Mittelpunkt.

«Jack Reacher»
Die Bewohner der US-amerikanischen Stadt Indiana werden von einem Amoklauf erschüttert, bei dem ein Scharfschütze fünf unschuldige Passanten erschossen hat. Es dauert nicht lange, bis der vermeintliche Täter gestellt werden kann. Für den ermittelnden Polizisten Emerson (David Oyelowo) und den Staatsanwalt Alex Rodin (Richard Jenkins) spricht alles dafür, dass James Barr (Joseph Sikora) der skrupellose Täter ist. Dieser verweigert jedoch die Aussage, so lange nicht ein gewisser Jack Reacher (Tom Cruise) die Ermittlungen an dem Fall übernimmt. Man bemüht sich daraufhin tatsächlich, diesem Wunsch nachzukommen, doch der ehemalige Militärpolizist ist unauffindbar - bis er eines Tages plötzlich auf wundersame Weise auftaucht. Reacher hat jedoch ganz gewiss nicht vor, dem Mann aus der Patsche zu helfen, der bei seiner Army-Zeit im Irak schon einmal Amok lief und nur aus politischen Gründen ungeschoren davon kam. Ist er anfangs noch davon überzeugt, Barr problemlos hinter Schloss und Riegel zu bekommen, fallen dem erfahrenen Reacher allerdings schnell Ungereimtheiten auf, die auf eine große Verschwörung hinweisen...

Der neueste Actionspaß mit Tom Cruise kommt bei den Kritikern insgesamt recht gut weg. Björn Becher von filmstarts.de ist angetan von der "One-Man-Show" des Filmstars, auch wenn man mit der "extrem herausgestellten Coolness" der Hauptfigur "bisweilen nur haarscharf an der Karikatur" vorbeischramme. Doch dank "Cruise' Starpräsenz funktioniert diese Überzeichnung", zumal es im Film "so spannend und rasant zugeht, dass gar keine Zeit bleibt, groß über inhaltliche Zusammenhänge nachzudenken". Die ganz großen Höhepunkte bleiben jedoch aus. Andreas Günther vom Mediendienst teleschau lobt insbesondere die Arbeit von Regisseur Christopher McQuarrie und Kameramann Caleb Deschanel, durch welche "Spannungsunterhaltung der Spitzenklasse" abgeliefert werde. Deshalb seien auch "ein schwächelndes letztes Drittel und Werner Herzog als wenig überzeugender Bösewicht verzeihlich". Bei movie-infos.net ist man über den starken Beginn begeistert, denn die Eröffnungssequenz "hat es absolut in sich und baut eine tolle Atmosphäre auf". Allerdings habe «Jack Reacher» "gar nicht so viele Actionsequenzen, wie der Trailer vielleicht vermuten ließ". Viel eher besteche der Streifen "durch seine Spannung, coole Atmosphäre und die vielen ruhigen Momente". Das positive Gesamtbild dieses "guten Actionfilms alter Tage" trübe jedoch die Tatsache, dass er "mit steigender Spieldauer etwas abbaut".

OT: «Jack Reacher» von Christopher McQuarrie; mit Tom Cruise, Robert Duvall, Rosamund Pike, Richard Jenkins, Werner Herzog und David Oyelowo

«Silver Linings»
Nach acht Monaten darf Pat Solatano (Bradley Cooper) endlich wieder die Psychiatrie verlassen, in die er gekommen war, weil er aus Eifersucht den Liebhaber seiner Frau Nikki (Brea Bee) heftig verprügelt hat. Bedanken darf er sich bei seiner Mutter (Jacki Weaver), welche sich vor Gericht freiwillig dazu bereit erklärte, den an einer bipolaren Persönlichkeitsstörung leidenden ehemaligen Lehrer bei sich aufzunehmen - trotz seiner gefährlichen Gewaltausbrüche, die er nach wie vor nicht vollständig im Griff hat. Während sie ihn in der Folge liebevoll umsorgt, ist sein Vater Patrick (Robert De Niro) skeptisch, ob die Entlassung aus der Anstalt eine so gute Idee war. Doch der abergläubische Mann lässt es sich trotzdem nicht nehmen, seinen Sprössling als Glücksbringer bei seinen Football-Wetten einzusetzen. Pat wiederum schaut positiv in die Zukunft und ist davon überzeugt, bald sowohl seine Frau als auch seinen Job wieder zu haben - weshalb er auch den Annäherungsversuchen von Tiffany (Jennifer Lawrence) widersteht. Doch diese lässt nicht locker und bietet ihm schließlich sogar einen Deal an: Wenn er sich dazu bereit erklärt, bei einem bald anstehenden Tanz-Turnier als ihr Tanzpartner fungieren, hilft sie ihm dabei, Nikki zurück zu gewinnen...

Die US-amerikanische Romantikkomödie kann sich über durchaus positives Kritikerecho freuen. So ist Philipp Schleinig von moviereporter.de sehr angetan von der Besetzung der Nebenfiguren, bei der vor allem "Altmeister Robert De Niro hervorsticht", der "endlich mal wieder mit einer Rolle auffahren kann, die seinem Talent gerecht wird". Seine Darstellung des "Vaters, der zum einen mit der bipolaren Störung seines Sohnes umgehen muss und zum anderen mit seinen eigenen Angewohnheiten zu kämpfen hat, zu jedem Zeitpunkt ab" und überdies gelinge es ihm sogar "den Schmerz und die Freuden, die seine Vater-Rolle ausmachen, nachhaltig zu vermitteln". Generell sei es vor allem aufgrund der "durchweg starken Besetzung" bei diesem Film gelungen, "die Erwartungen zu übertreffen". Christoph Schelb von outnow.ch vergleicht den Streifen mit dem wahren Leben, denn er sei "mal lustig, mal traurig, mal niederschmetternd und manchmal einfach wunderschön". Zwar sei nicht alles perfekt, doch es gelinge dem "optimistisch stimmendem Werk, das für die kalte Jahreszeit gerade richtig ist, das Herz zu erwärmen". Carina S. von rhein-main.net bezeichnet die Produktion als "insgesamt gelungen" und "überraschend" und obgleich man "von Anfang an den ungefähren Ausgang vorhersagen" könne, sei der Weg dorthin "doch außergewöhnlich und keinesfalls offensichtlich". Man solle sich «Silver Linings» vor allem dann anschauen, wenn man "mit üblichen Liebesgeschichten und einer gehörigen Portion Kitsch nichts so recht anzufangen weiß", denn hier werde die Lovestory komplett anders erzählt.

OT: «Silver Linings Playbook» von David O. Russel; mit Bradley Cooper, Robert De Niro, Jennifer Lawrence, Chris Tucker, Shea Whigham und Jacki Weaver

«The Sessions - Wenn Worte berühren»
Mark O'Brien (John Hawkes) hat sich längst an die Komplikationen gewöhnt, die sein Leben mit sich bringt. Er ist seit seinem sechsten Lebensjahr unterhalb seines Kopfes bewegungsunfähig und somit ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Große Teile seines Tages verbringt er in der Eisernen Lunge, ohne die eine ausreichende Beatmung seines Körpers nicht möglich wäre. Befindet er sich ausnahmsweise einmal nicht dort, wird er von seinen Pflegern umher gefahren - diese Momente stellen für ihn schon die glücklichsten des gesamten Tages dar. Trotz allen Widrigkeiten ist er nicht bereit, sein Leben aufzugeben und kämpft tapfer weiter um jeden kleinen Fortschritt. Eines Tages verliebt sich Mark in seine neue Pflegerin Amanda (Annika Marks) und schockiert diese damit so sehr, dass sie sofort die Flucht ergreift und durch die sehr viel ausgeglichenere Vera (Moon Bloodgood) ersetzt wird. Sein großer Traum, einmal im Leben Sex haben zu können, soll nun unbedingt in Erfüllung gehen. Gemeinsam mit der Sex-Therapeutin Cheryl Cohen Greene (Helen Hunt) bereitet er sich auf dieses ungewöhnliche Unterfangen vor...

Der alles in allem bei der Mehrzahl der Kritiker als überdurchschnittlich empfundene Film wird von programmkino.de-Redakteur Michael Meyns vor allem für die starke Besetzung der Hauptrolle gelobt. John Hawkes verhehle nämlich "nicht die weniger angenehmen Aspekte und das sarkastische, bisweilen zynische Wesen" seiner Figur, wenngleich "sein inspirierender Geist, sein Lebenswille und sein Humor" im Vordergrund stehen. Er zieht eine Parallele zum Überraschungshit «Ziemlich beste Freunde» und bezeichnet «The Sessions» als ähnlich "warmherzig und lebensbejahend". Carsten Baumgardt von filmstarts.de lobt generell die "überragenden darstellerischen Leistungen", denn neben Hawkes gelinge es auch Helen Hunt, "mit großer Ernsthaftigkeit über einige [erzählerische] Untiefen hinweg, denn auch ihrer Figur fehlt in der Anlage die Ambivalenz". Somit sei die "optimistische Ode" trotz arger "struktureller Probleme" doch sehenswert, denn sie profitiere "von einem vorzüglichen Ensemble und einer Menge feinen Humors". Roger Ebert von der Chigago Sun-Times sieht «The Sessions» sogar als Korrektur "zahlloser hirnloser und billiger Sexszenen aus anderen Filmen", der "uns daran erinnert, dass wir höflich miteinander umzugehen haben".

OT: «The Sessions» von Ben Lewin; mit John Hawkes, Helen Hunt, William H. Macy, Moon Bloodgood, Annika Marks und W. Earl Brown

«Paradies: Liebe»
Teresa (Margarete Tiesel) ist mit ihrem Leben unzufrieden. Mit ihren 50 Jahren ist sie als alleinerziehende Mutter längst an eine gewisse Routine gewöhnt, doch in letzter Zeit gibt es in ihrem Alltag schlicht überhaupt keine Abwechslung mehr. Auch in ihrer Erziehung scheint sie nicht alles richtig gemacht zu haben, denn ihre Kinder haben noch immer nicht wirklich gelernt, was das Wort Selbständigkeit bedeutet. Und von Zuneigung, bestenfalls sogar noch körperlicher Natur, wagt sie ohnehin schon kaum noch zu träumen, so fern ist sie ihr längst. Endlich beschließt sie, eine längst überfällige Auszeit einzulegen und entschließt sich für einen Kurzurlaub in Afrika. Die fremde Kultur beeindruckt sie, jedoch fühlt sie sich auch leicht überfordert. Durchaus nicht abgeneigt ist sie von den jungen Beachboys, die sie am Strand mit exotischen Verführungskünsten umgarnen. Obwohl sie dies noch vor kurzer Zeit kategorisch ausgeschlossen hätte, wird sie somit zur Sextouristin - doch der Glaube an die Einfachheit der Liebe soll sich noch als fatal und überaus naiv herausstellen...

Ein insgesamt sehr positives Feedback erhält das österreichische Drama von Ulrich Seidl. Beatrice Behn schreibt in ihrer Festivalkritik von Cannes, dass der Film "anfänglich durch seinen trockenen Humor besticht", was jedoch "nur die Oberfläche des Filmes" sei, denn nach und nach entpuppe er sich "als knallharter Sozialkommentar und vor allem als Film, der seine Geschichte konsequent durchkonjugiert". Auch sei es beachtlich, dass hier Körper auf der Leinwand präsentiert, "die so fast gar nicht in Kino und Fernsehen vorhanden sind: Die Frauen sind mittleren Alters, großbusig und übergewichtig" und "die Präsentation ihrer nachten und vor allem sexualisierten Leiber [...] ist ein Anblick, der verstört". Andreas Borcholte von Spiegel Online sieht hierin "eine Stilübung in Ekel und Tristesse", bei dem Seidl allerdings "in immer gleichen Ekelbildern vom immer gleichen Punkt erzählt, den er bereits früh hinreichend deutlich gemacht hat". Allerdings decke er "durchaus mitfühlend auf, welche postkolonialistischen Mechanismen beim sexuellen Austausch zwischen saturierten Europäerinnen und hungrigen Kenianern wirken" und nimmt überdies "Teresas Suche nach Liebe durchaus ernst". Michael Föls von filmering.at bezeichnet «Paradies: Liebe» ebenfalls als "äußerst gelungen", da er "kalkulierten Tabubruch" begehe und "einen fesselnden Blick auf jene Bereiche des Lebens" ermögliche, "über die man normalerweise hinwegblickt".

OT: «Paradies: Liebe» von Ulrich Seidl; mit Margarete Tiesel, Inge Maux, Carlos Mkutano, Peter Kazungu und Gabriel Mwarua
02.01.2013 11:01 Uhr  •  Manuel Nunez Sanchez Kurz-URL: qmde.de/61258