Das war 2012 - Der große Quotenmeter.de-Jahresrückblick

Teil II: Mai bis August: Roman Lob beim «Eurovision Song Contest», Harald Schmidt bandelt mit Sky an und Sat.1 probiert sich an gescripteten Talkshows.

Mai
Euphoria! Zwar hat Schweden in diesem Jahr den «Eurovision Song Contest» gewonnen – doch mit Roman Lobs achtem Platz konnte Deutschland auch 2012 wieder ein Ergebnis einfahren, das einige Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre. Trotz des Erfolgs fielen die meisten Reaktionen zwar nett, aber nicht gerade überschwänglich aus. Aufgrund der schlechten Einschaltquoten von «Unser Star für Baku», in dessen Rahmen der deutsche Grand-Prix-Beitrag des Jahres ermittelt worden war, kursierten zu dieser Zeit ohnehin bereits Gerüchte, dass ProSieben und die ARD ihre Zusammenarbeit beim «Eurovision Song Contest» nicht fortsetzen würden. Und so wurde es wenig später auch angekündigt: Für die Ermittlung unseres Stars für Malmö 2013 wird es einen gänzlich neuen Modus geben. Ohne ProSieben. Aber mit Brainpool.

Gleich am Ersten des Monats erreichte die Medienredaktionen Deutschlands eine Nachricht, mit der eigentlich niemand gerechnet hatte. Nachdem Manuel Andrack sich wenige Wochen zuvor noch dahingehend geäußert hatte, dass es ihn überraschen würde, wenn Harald Schmidt seine Late-Night-Sendung auf einem anderen Sender fortsetzen könnte, trudelte die Bestätigung von Sky ein, dass Schmidt ab Herbst im Pay-TV zu sehen sein würde. Dreimal wöchentlich auf einem festen Sendeplatz. Konditionen, die Sat.1 ihm nicht von Anfang an bot. Et voilà: Sein alter Kollege Herbert Feuerstein sollte recht behalten: Schmidt hat alle überrascht und einen Coup durchgezogen, mit dem niemand gerechnet hatte.

Und dann gab es im Mai nach dem Start von RTL Nitro auch schon das zweite Senderbaby des Jahres. Frauenaffin, Lifestyle-lastig und auch in Puncto Zielgruppe auch ein bisschen selbstironisch gab sich Glitz zum Senderstart.

Sat.1 konnte sich indes wenigstens einmal in diesem Jahr über Traumquoten freuen – mit dem Finale Dahoam, auch wenn Bayern München in der Elf-Meter-Zitterpartie gegen ein englisches (!) Team nicht bestehen konnte und ohne Titel zuhause blieb. Die zweite Halbzeit kam in Sat.1 auf 17,43 Millionen Zuschauern. Das Elfmeterschießen der Partie Bayern München gegen Chelsea (mit Schweins Fehlschuss) 19,21 Millionen Zuschauer und 70,1 Prozent Marktanteil bei den Umworbenen.

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Juni
Schon im Juni war das größte TV-Experiment des Jahres schon wieder Geschichte – «Gottschalk live» stellte seinen Sendebetrieb nach diversen Umbauarbeiten und der verzweifelten Suche nach einem Konzept ein. 66 Träume wollte der Showtitan als letzte Rettung, nachdem die Absetzung bereits beschlossene Sache war, noch in Erfüllung gehen lassen. Die Quoten blieben aber auch in dieser Phase im Keller. Und die Todeszone blieb die Todeszone, der auch der größte Showmaster des Landes nicht beikommen konnte. Zumindest nicht mit einem solchen Format.

Und dann war da schon der nächste Hammer. Vom ZDF zur ARD und dann gleich weiter zu RTL. Mehr Sender in einer so kurzen Zeit abzuklappern, schafft nicht einmal Harald Schmidt. Thomas „Reschpekt“ Gottschalk sollte Juror beim «Supertalent» werden – einer Sendung, die in der Vergangenheit nicht durch allzu viel „Reschpekt“ gegenüber ihren Teilnehmern aufgefallen war. Die Medienbeobachter des Landes reagierten mit viel Häme, aber auch mit berechtigter Kritik. Denn dass es etwas Absurdes an sich hatte, dass der Mann, der jahrzehntelang die erfolgreichste Unterhaltungsshow Europas moderiert hatte, nun in einer Show mitwirken wollte, die vorgaukelt, eine Talentsuche zu sein, dabei aber über weite Strecken nur eine Ausschlachtung der oftmals tragischen Hintergrundgeschichten der Protagonisten ist, hatte für viele den Anstrich des Verfalls einer Showgröße. Vor allem, nachdem Gottschalk in den vergangenen Jahren das Format mit klaren Worten immer wieder aufgrund seiner zweifelhaften Ausrichtung kritisiert hatte. In einem Interview mit RTL klärte er dann aber auf, dass seine „Beschimpfungen“ des «Supertalents» daher hergerührt hatten, dass die Sendung ihm zu seinen «Wetten, dass..?»-Zeiten ständig die Quoten verhagelt hatte. Wes' Sendergesicht ich bin, des Lied ich sing'?

Im Monat der Fußball-EM bekam Lothar Matthäus bei VOX endlich seine eigene Reality-Show – angesichts seines Images und seiner Öffentlichkeitsarbeit ist das wohl eher eine Frage der Zeit gewesen. Der Premiere des Formats war bereits eine kleine Schlammschlacht zwischen der VOX-Spitze und dem Protagonisten vorausgegangen, da sich hochrangige Senderverantwortliche unzufrieden mit dem Format zeigten. Schnell entpuppte sie sich als das übliche Reality-Gewäsch – dessen erste Folge katastrophale Werte einfuhr.

Und um beim Thema Fußball zu bleiben: Dass Jürgen Klinsmann sich bei «Günther Jauch» als Kulturethnologe verdingen darf oder Niki Lauda als Gast zu einer Diskussionsrunde zu den hohen Benzinpreisen eingeladen wird, fiel nicht nur den Feuilletonisten auf. Auch ein NDR-Gremium bemängelte in einem internen Papier, dass die Polit-Talks der ARD durch die Bank unpolitischer geworden waren, und regte an, Gäste nicht nur nach ihrem Bekanntheitsgrad, sondern auch nach ihrer fachlichen Kompetenz auszusuchen. Ein Dokument, das tief blicken lässt. Verändert hat sich seitdem leider nicht viel – auch wenn uns die ganz großen Hammer wie Klinsmann zum Thema „11. September“ in dieser Saison bisher erspart geblieben sind.

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Juli
Im Juli erreichte die sich im Jahr 2012 in unermessliche Höhen aufgebauschte Scripted-Reality-Welle ihren vorläufigen Höhepunkt, wenngleich der Begriff in diesem Zusammenhang ironischer nicht gewählt sein könnte. Denn hoch ist bei all diesen Formaten allenfalls der Puls, der beim Anschauen in die Höhe schnellt. Das Niveau gefaketer Dokus wie «Familien im Brennpunkt», «Verklag mich doch!» oder «Berlin – Tag und Nacht» entdeckt man hingegen höchstens, wenn man sich wie Sherlock Holmes mit der Lupe bewaffnet auf die Suche begibt.

Im Sommer schickte Sat.1 schließlich zwei weitere Formate auf Sendung: Mit «Annica Hansen – Der Talk» ging am 9. Juli die erste gescriptete Talkshow (!!) auf Sendung, die dankenswerterweise solch desaströse Quoten einfuhr, dass ein Weiterführen der Sendung so schnell nicht mehr in Frage kam. Durchschnittlich bewegten sich die Zuschauerzahlen unter der Eine-Million-Marke. Doch damit nicht genug. Wenige Wochen zuvor startete auf demselben Sender der erbärmliche Versuch eine Kuppelshow zu starten, neben der Kollegen wie «Schwiegertochter gesucht» oder «Bauer sucht Frau» ausschauen, wie ehrliches, anspruchsvolles, gar unterhaltsames Fernsehen. In «Auf Brautschau im Ausland» offenbarte Sat1 seinen Hang zur Perfidität und auch, wie der Sender versuchte, mit Unmengen an Alliterationen, übergewichtigen, der deutschen Sprache nicht immer mächtigen Pfundskerlen und ekelhaften Storylines für etwas zu sorgen, was sich hierzulande „Unterhaltung“ schimpft.

Dagegen wirken die mittlerweile fast 2,5 Millionen Facebook-Fans der RTL-II-Sendung «Berlin – Tag & Nacht» fast harmlos. Jedoch ist auch im Falle dieses Formats nicht für viele ersichtlich, wie es derart anspruchsloses Fernsehen schafft, eine solche Fanbase um sich zu scharen. Abhilfe schafft im Monat darauf ein Interview, dessen Wellen in etwa mit der vergleichbar sind, die hier vor zwei Absätzen den Monat Juli eröffnete. In diesem nämlich steht Frank Schmidt alias Franklin ganz offen zu seiner Aussage, die da lautet: „Fiction geht auch für die Hälfte!“

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August:
Während also ehemalige Talker in Interviews davon schwärmen, wie großartig sich Fernsehen auch mit kleinem Geldbeutel inszenieren lässt, schlägt ZDFneo einen ganz anderen Weg ein und bittet sein Publikum im August, sich am zweiten, deutschen TVLab zu beteiligen. Erneut stehen mehrere Formate zur Auswahl, von denen jeweils eine Pilotepisode produziert und anschließend ausgestrahlt wurde. Im Internet konnten die Zuschauer den Formaten darüber abstimmen, von welcher Sendung sie sich eine Aufnahme in das reguläre Programm erhoffen.

Der Gewinner dieses Jahres wurde der schwarzhumorige, anarchische Cartoon «Deutsches Fleisch», dicht gefolgt von der actionreichen, jedoch wenig originellen Spielshow «Kampfansage». Die sich selbst als „Foot Adventure“ bezeichnende Mischung aus Survival- und Kochshow namens «Beef Brothers» sicherte sich einen guten dritten Platz und landete damit vor dem biederen Sex-Talk «Heiß und fettig». Schlusslichter bildeten die nette, kleine Spielshow «Wahr oder was?» vor dem unausgereiften Promi-Talk «Sieh’s mal wie ein Promi», das jedoch immer noch vor «Der Protagonist» lag, einem anspruchsvollen Interview-Format.

Leider blieb die Branche auch in diesem Jahr nicht vor dem Sommerloch verschont, sodass die nächsten, spannenden Ereignisse erst im September wieder eintraten. Oder wer möchte sich noch an so merkwürdige Sendungen wie «Teenies auf Partyurlaub» erinnern?
27.12.2012 23:15 Uhr  •  Julian Miller und Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/61189