Die Kritiker: «Baron Münchhausen»

Jan Josef Liefers überzeugt im großen TV-Zweiteiler als torkelnder Lügenbaron.

Inhalt
Es scheint, dass der berühmte Baron Münchhausen seine besten Tage hinter sich hat: Er verbringt seine Zeit bloß noch damit, sich in einem abgelegenen Gasthaus zu betrinken und der staunenden Meute von seinen aberwitzigen, einstigen Heldentaten zu berichten. Unter den gebannten Zuhörern befindet sich auch die feurige Landadlige Constanze von Hellberg, die ihn der Lügnerei bezichtigt, was dem Baron äußert missfällt. Und dann heftet sich auch noch das Zirkuskind Frieda an seine Fersen, darum bittend, dass er es zu seiner Mutter bringt, die in Sankt Petersburg verweilen soll. Auf der Reise dorthin stolpern der Baron und Frieda in allerhand brenzlige Situationen – und auch die an Münchhausens Können zweifelnde Constanze begegnet ihnen wiederholt ...

Darsteller
Jan Josef Liefers («Tatort») als Baron Münchhausen
Jessica Schwarz («Jesus liebt mich») als Constanze von Hellber
Katja Riemann («Die Relativitätstheorie der Liebe») als Zarin Katharina
Helen & Isabelle Ottmann als Frieda
Tayfun Bademsoy («Polizeiruf 110») als Sultan
Barbara Stoll («Mein Bruder, der Vampir») als Wahrsagerin

Kritik
Zweiteilige Fernsehadaptionen bekannter literarischer Stoffe gehören mittlerweile fest zum Weihnachtsprogramm des Ersten. War es vergangenes Jahr «Nils Holgerssons wunderbare Reise», so soll dieses Jahr «Baron Münchhausen» das Familienpublikum vor den Bildschirmen versammeln. Erneut vereint die modernen Entertainmentgewohnheiten angepasste, dennoch nicht forciert moderne, Adaption visuelle Opulenz mit charismatischen Figuren und kurzweiligen Episoden, die zusammen ein Roadmovie-Abenteuer ergeben. Im Fall des diesjährigen Weihnachts-Filmspektakels bedeutet dies aufwändige Kostüme und einige schwelgerisch aufgemachte Schauplätze, zwischen die sich bewusst altmodische Trickaufnahmen gestreut wurden, die ihren Tribut an ältere Adaptionen des Stoffes zollen. Um auch die Jüngeren anzusprechen, und besonders umsorgte Eltern nicht abzustoßen, ist dieser Baron Münchhausen, trotz Liebe zum Alkohol, eher handzahm geraten, jedoch wird sein charakterlicher Werdegang dank der langen Laufzeit plausibel nachgezeichnet. Der etwas runtergekommene Tausendsassa gewöhnt sich zunächst widerwillig an seine beiden weiblichen Begleiter, lernt sachte ihre Vorteile kennen und entdeckt letztlich die Selbstlosigkeit ohne seinen wahren Charakter zu verleugnen.

Die größte Stärke dieser inhaltlich eigenständigen «Baron Münchhausen»-Adaption ist ihr Hauptdarsteller, der komödiantisch talentierte «Tatort»-Kommissar Jan Josef Liefers. Liefers ist eine fantastische Wahl für die Rolle des legendären Lügenbarons und verkörpert Münchhausen mit süffisantem Witz, ohne aber ihn zur Witzfigur zu degradieren. Liefers' Baron lebt mit seinen schrulligen Einfällen und seinem trockenen Charme in seiner eigenen Gedankenwelt und lässt die anderen Figuren (sowie den Zuschauer) staunend an seinen Taten teilhaben. Es ist eine eigensinnige, aber stimmige Interpretation der mehrfach auf Film gebannten Figur, allerdings keineswegs völlig innovativ. Die Mixtur aus Verpeiltheit und verschlagenem Genie erinnert grob an Robert Downey juniors Sherlock Holmes, insbesondere lehnt Liefers seinen Protagonisten aber an Johnny Depps Paraderolle Captain Jack Sparrow an. Lidschatten, müder Blick, zu Beginn des Zweiteilers auch stets mit torkelndem Gang, selbst einige der typischen Sparrow-Gesten flossen mit in die Darstellung ein. Wohlgemerkt handelt es sich bei diesem ARD-Eventfilm, dank der Story und Charakterentwicklung, nicht um eine Münchhausen-Verfilmung, in die eine Jack-Sparrow-Kopie gepflanzt wurde – auffällig sind die Parallelen zwischen den beiden schlitzohrigen Abenteurern dennoch.

Doch nicht nur Jan Josef Liefers hat sich ein Stück weit von «Fluch der Karibik» inspirieren lassen – auch Komponist Chris Bremus bedient sich bei der immens erfolgreichen Piratenreihe. Der studierte Jazz- und Popmusiker unterlegt die Abenteuer- und Actionsequenzen des Zweiteilers über weite Strecken mit einfallslos abgekupferten, weniger wuchtigen Variationen der zentralen «Fluch der Karibik»-Themen. Ein absurde Fluchtmanöver ausführender, deutscher Baron lässt die gemächlichere Kopie der Erkennungsmelodie des trunken-verrückten Piraten Jack Sparrow ertönen – das ist ideenlos und lässt auch Prägnanz vermissen. Der zweite Part des Weihnachts-Fernsehfilmevents mischt erfreulicherweise die «Fluch der Karibik»-Kopiererei, aufgrund des Schauplatzwechsels, mit exotischen Orientklängen auf, was dem Film sogleich mehr eigenen Charakter verleiht.

Einen rechten Spannungsbogen kann «Baron Münchhausen» über die zweimal neunzig Minuten nicht aufbauen, aber die einzelnen Abschnitte des Abenteuers sind kurzweilig und abwechslungsreich geraten – von wundersam über klamaukig hin zu familiengerechter Abenteuerromantik, jüngere Zuschauer werden ihren Spaß an den sanften Stimmungsübergängen haben und ältere Fernsehende von ihnen nicht rausgerissen. Liefers' Wortwitz hält dann noch die Laune gerade der Älteren obenauf – schade nur, dass Jessica Schwarz' Rolle nicht über die Grundidee „moderne Abenteurerin“ hinauskommt. Wirkliche Eigenheiten hat sie nicht, so dass dem Baron der ebenbürtige Gegenpart abhanden kommt.

«Baron Münchhausen» ist am 25. und 26. Dezember jeweils um 17.45 Uhr im Ersten zu sehen.
24.12.2012 10:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/61144