Die Kino-Kritiker: «Beasts of the Southern Wild»

Ein schweres Unwetter zerstört die Bathtub-Siedlung – und stellt Hushpuppy auf eine Probe.

Wenn sich ein junger Regisseur nach drei Kurzfilmen dazu entscheidet, sein Spielfilmdebüt abzulegen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder stellt er sich dem großen Druck, etwas Großes zu schaffen und somit auf sich aufmerksam zu machen. Oder er geht die Sache ganz locker an und dreht einfach mal drauf los. Der Amerikaner Benh Zeitlin wählte die erste Option und heimste auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest den Publikumspreis ein. Doch sind diese Vorschusslorbeeren überhaupt berechtig?

Die Idee, ein Theaterstück einer langjährigen Freundin zu adaptieren, kam Zeitlin schon im Jahr 2008. Doch die Produktion stand anfangs unter keinem guten Stern. Gleich am ersten Drehtag ereignete sich im Golf von Mexiko und somit nahe dem Drehort die schwere BP-Ölkatastrophe. Das Team drehte trotzdem weiter – und die Hartnäckigkeit sollte sich auszahlen. Neben diversen Auszeichnungen gilt das Drama mittlerweile als heißer Anwärter auf einen Oscar. Dass sein Erstlingswerk so gut ankommen würde, dürfte den Regisseur selbst am meisten überrascht haben.

Tief in den Sümpfen der Südstaaten, jenseits der Deiche, liegt Bathtub, wo es die weltweit meisten Feiertage gibt (und in Bathtub weiß man noch Feiertage zu feiern). Als ein Jahrhundertsturm das Wasser über der Bayou-Siedlung zusammenschlagen lässt und prähistorische Monster aus ihren eisigen Gräbern erwachen und über den Planeten jagen, wird Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) zu den wenigen Verwegenen gehören, die sich dem scheinbar Unabwendbaren stellen.

«Beasts of the Southern Wild» ist mindestens genauso aufregend wie seine Entstehungsgeschichte. Das ganze Unternehmen hätte auch gut danebengehen können, hätte Zeitlin weniger Glück bei seiner unkonventionellen Herangehensweise gehabt. Statt der üblichen Castings setzte der Filmemacher alles auf eine Karte und besetzte die Rollen durch die Bank weg mit Laiendarstellern. Aus einem schlichten Grund: Zeitlin mag einfach keine Vorsprechen. So engagierte er – nach etwas Überredungskunst – kurzerhand den Bäcker Dwight Henry, der eine Bäckerei gegenüber des Sets betrieb. Die damals 5-jährige Quvenzhané Wallis konnte sich bei einem Vorsprechen gegen etwa 4000 andere Kinder durchsetzen. Und das, obwohl für die Rolle der Hushpuppy ein mindestens 6 Jahre altes Mädchen gesucht wurde.

Doch die schönsten Geschichten schreiben eben solch ungewöhnlichen Prozesse und führen in diesem Fall zu einem grandiosen Ergebnis. Es sind die ungeschönten, dreckigen Bilder, die sich sofort ins Gedächtnis brennen. In all der Einöde kämpfen ein Vater und seine Tochter ums nackte Überleben, ohne dabei die Lust am Leben zu verlieren. Mit welch ungebändigter Spielfreude die beiden Protagonisten hier zu Werke gehen, ist ergreifend und höchst emotional. Kaum zu glauben, dass Hushpuppy von einer gerade mal 5-Jährigen mit einer solchen Inbrunst und Leidenschaft verkörpert wird. Und auch Filmneuling Henry trifft als Vater Wink stets den richtigen Ton. Das Geheimnis liegt an dem frischen, unbekümmerten Auftreten der Beteiligten. Wir schauen hier keinen professionell ausgebildeten Darstellern, sondern Menschen von der Straße zu. Das macht das Drama intensiv und greifbar.

Was die Besetzung auf der einen Seite leistet, liefert Regisseur und Drehbuchautor Benh Zeitlin auf der anderen. Seine Inszenierung im Dreck und Wasser ist schnörkellos und genau deshalb fantastisch. Bei all der Tristesse, die vorherrscht, gelingt es dem Debütanten eine lebensbejahende Geschichte mit märchenhaftem Einfluss zu erzählen. Trotz aller Hoffnungslosigkeit igeln sich Hushpuppy und ihr Vater nicht in Traurigkeit ein, sondern nutzen jeden Tag. Selbst ein riesiges Unwetter kann die beiden nicht dazu bewegen, ihr Heimatdorf zu verlassen. Eine magische Botschaft, die zu Tränen rührt.

Nahtlos fügt sich der Score an die Bilderflut und untermauert die Glücksgefühle durch kraftvolle Musik. Kombiniert wird der eingespielte Soundtrack mit gesungenen Liedern der Dorfbewohner, die traumhaft schön sind. Dadurch fällt es wahnsinnig schwer, sich dem Familiendrama zu entziehen und regungslos zu sein. Wessen Herz hier unberührt bleibt, muss schon ein ziemlich harter Brocken und gefühlskalt sein.

Mit seinem Regiedebüt macht Benh Zeitlin nahezu alles richtig. Seine Impressionen haben etwas Magisches, die Schauspieler sind ungemein sympathisch und talentiert. Wenn Zeitlin seinem Stil treu bleibt und weiterhin Gespür für unvergessliche Momente zeigt, darf man sich auf seine nächsten Projekte jetzt schon freuen. Welch große Karriere die kleine Quvenzhané vor sich haben wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt nur erahnt werden. Momentan befinden sich zwei Filme mit der „Hushpuppy“-Darstellerin in der Nachbearbeitung.

«Beasts of the Southern Wild» ist Gefühlskino, ohne kitschig zu sein. Es ist Tragik, ohne aufgesetzt zu sein. In der besinnlichen Adventszeit kommt das Werk genau richtig und stimmt hervorragend auf das bevorstehende Weihnachtsfest ein.

«Beasts of the Southern Wild» startet am 20. Dezember in den deutschen Kinos.
18.12.2012 13:39 Uhr  •  Janosch Leuffen Kurz-URL: qmde.de/61026