Der Film des Monats: Mit «Der Hobbit – Eine unerwartete Reise» beginnt Peter Jacksons zweite Mittelerde-Trilogie. Reicht Bilbo Beutlins Abenteuer an «Der Herr der Ringe» heran oder hat sich Jackson übernommen?
Der immense Erfolg von Peter Jacksons «Der Herr der Ringe»-Trilogie löste (gemeinsam mit den ebenfalls populären «Harry Potter»-Filmen) eine Welle an Fantasyfilmen aus. Diese standen jedoch sowohl an den Kinokassen als auch bei den Filmkritikern durchweg im Schatten der Tolkien-Verfilmungen. Fans hungerten nach mehr, sogar nach Veröffentlichung der Extended Editions mit rund zwölf Stunden Filmlaufzeit und ausschweifendem Bonusmaterial – und auch die Rechteinhaber hatten nichts gegen einen weiteren sicheren Hit auszusetzen. Eine Adaption von J. R. R. Tolkiens jugendorientiertem Fantasybuch «Der kleine Hobbit» war da eine Selbstverständlichkeit. Dass es dennoch fast ein Jahrzehnt dauerte, bis Kinogänger nach Mittelerde zurückkehren konnten, war einer Vielzahl an Problemen geschuldet. Dazu zählten unter anderem ein langwieriger Streit um die Filmrechte, eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen Wunschregisseur Peter Jackson und dem Studio New Line Cinema sowie Finanzprobleme der Produktionsfirma MGM. Zumindest quantitativ machte sich die Geduld der Fans bezahlt: Über gleich drei Filme erstreckt sich Bilbo Beutlins unerwartetes Abenteuer. Doch wäre weniger vielleicht mehr gewesen?
Rund 60 Jahre vor den Ereignissen von «Der Herr der Ringe – Die Gefährten» suchte sich der graue Zauberer Gandalf (Ian McKellen) den gemütlichen, seine Heimat liebenden Hobbit Bilbo Beutlin (Martin Freeman) aus, um ihn und eine Gruppe von 13 Zwergen bei einem aufregenden Abenteuer zu begleiten. Das Zwergevolk wurde einst vom Drachen Smaug aus seiner wohlhabenden und prachtvollen Heimat Erebor vertrieben und zieht seither durch Mittelerde, ohne sich je an einen Ort zu binden. Die vom legendären Krieger Thorin Eichenschild (Richard Armitage) angeführte Zwergentruppe hat es sich zum Ziel gesetzt, dem ein Ende zu bereiten, benötigt dazu aber jemanden, der flink ist und einer dem Drachen Smaug unbekannten Art angehört – einen Hobbit. Und auch wenn sich Bilbo anfangs sträubt, sich Gandalf und den lärmenden Zwergen anzuschließen, hat der weise Zauberer die richtige Wahl getroffen: Tief, tief in diesem Hobbit schlummert genügend Fernweh, um seine ruhige Heimat zu verlassen. Seiner Aufgabe wird er allerdings vorerst nicht gerecht, was ihm das Misstrauen Thorins einbringt. Doch den kleinen Hobbit erwartet nicht nur bloße Ablehnung auf seiner wundersamen Reise, sondern obendrein eine Vielzahl an ungeahnten Gefahren ...
Zwar ereilt den Kinogänger im 169-minütigen «Der Hobbit – Eine unerwartete Reise» nicht so viel Zeitschinderei, wie man befürchten könnte, dennoch sind einige Sequenzen deutlich ausführlicher als nötig. Für sich betrachtet sind sie nicht langweilig, als Gesamtwerk fühlt sich Jacksons Rückkehr nach Mittelerde aufgrund des fehlenden Schwungs aber deutlich länger an als die bisherigen Tolkien-Verfilmungen des neuseeländischen Regisseurs. Womöglich unnötigster Teil von Bilbos unerwarteter Reise ist eine Begegnung mit drei dümmlichen Trollen, von der «Der Herr der Ringe»-Kenner bereits wissen. Diese im Vorbeilaufen ausgesprochene Anekdote aus «Der Herr der Ringe – Die Gefährten» wird in diesem Film zu einer zirka 15-minütigen Sequenz ausgebreitet, die auf die Hälfte der Zeit runtergekürzt wesentlich griffiger und charismatischer gewesen wäre.
Trotz Überlänge erreichen Bilbo, Gandalf und die Zwerge erschreckend wenig im Laufe des Films, doch dieses Bisschen an inhaltlichem Fortschritt sieht wundervoll aus und klingt genauso gut. Die Sets sind so liebevoll gestaltet, wie man es von der «Der Herr der Ringe»-Trilogie kennt und wieder einmal werden viele das Kino mit dem Wunsch nach Urlaub in Neuseeland verlassen, so atemberaubend schön sind Andrew Lesnies Landschaftsaufnahmen. Die Actionszenen sind einfallsreich choreographiert und der Mangel an Brisanz wird durch einen übersichtlicheren Schnitt gut ausgeglichen. Von wenigen Ausnahmen, in denen das Shading nicht vor Produktionsende nicht fertig geworden zu sein scheint, sind die Computereffekte eindrucksvoll und fügen sich nahtlos in die Miniaturen und realen Bilder ein.
Mit der «Der Herr der Ringe»-Trilogie verdiente sich Peter Jackson einen Ehrenplatz in der Filmgeschichte, weil er einen Meilenstein der Fantasyliteratur handwerklich nahezu perfekt auf die Leinwand brachte. Auch «Der Hobbit – Eine unerwartete Reise» schickt sich an, in die cineastischen Geschichtsbücher einzugehen, dieses Mal jedoch aufgrund einer heiß diskutierten, technischen Neuerung. Peter Jacksons Epos ist der erste große Film, der nicht in der üblichen Bildrate von 24 Bildern pro Sekunde gedreht wurde, sondern mit 48 Bildern pro Sekunde. Ausgewählte Kinos führen die Mammutproduktion auch in dieser höheren Bildrate vor (sowie in 3D), und somit ist der Grundstein für eine Publikumsdebatte gelegt, die so harsche Züge annehmen könnte, dass sie selbst die ewige Pro- oder Anti-3D-Diskussion in den Schatten stellt.
Tatsächlich strahlt «Der Hobbit – Eine unerwartete Reise» im so genannten HFR 3D in einer nie zuvor dagewesenen Klarheit. Einzelne Bilder erscheinen zum Greifen nah und sofern es die Kameraführung und der Schnitt gestatten, kann man selbst feinste Details im Hintergrund genau begutachten. Gleichwohl steigert es in anderen Szenen, entgegen der ursprünglichen Absichten Jacksons, die Künstlichkeit des Films. Schnelle Kamerafahrten, ganz gleich ob über echte Landschaften oder CG-Bilder geschwenkt wird, erinnern durch ihre ungewohnte, das gesamte Leinwandbild umfassenden Schärfe eher an Miniaturen oder an Videospiel-Zwischensequenzen. In hellen Szenen wird leichter ersichtlich, dass es sich bei der Hobbit-Inneneinrichtung um Requisiten handelt oder dass die Zwerge falsche Bärte tragen. Teils fühlen sich kleinste Bewegungen unnatürlich an, als wäre nicht die Bildrate doppelt so schnell, sondern als würde der Filmvorführer den Film doppelt so schnell vorführen. Wenn eine Multi-Millionen-Dollar-Produktion, hinter der meisterliche Handwerkskünstler stecken, wie eine in HD ausgestrahlte, doch nur mittelklassiges Bühnenbild bietende TV-Produktion wirkt, so ist dies ein klarer Verlust. Andererseits sind Nahaufnahmen der Mimen eindrucksvoller denn je. Wenn Ian McKellens Gesicht die gesamte Leinwand füllt, so verkörpert der Oscar-prämierte Mime Gandalf nun selbst mit dem kleinsten Fältchen und in 48 FPS ist Gollum lebensechter denn je.