Anna verliebt sich in den Offizier Graf Vronskij – und verlässt für ihn Mann und Kind.
Mittlerweile hat der Roman „Anna Karenina“ vom russischen Schriftsteller Leo Tolstoi über 130 Jahre auf dem Buckel, aber über all die Jahrzehnte offensichtlich nichts an seiner Faszination verloren. Immer wieder nehmen sich Filmemacher dem Stoff an und brachten die Geschichte von Anna Karenina bis heute in neun Verfilmungen heraus. Von der ersten Filmadaption aus dem Jahre 1927, damals noch ohne Ton, ist Joe Wrights Neuinterpretation sicherlich weit entfernt, doch auch er findet mit einer erfrischenden Herangehensweise einen optisch brillanten Zugang zur Epoche des russischen Realismus. Dabei kann er sich auf ein namhaftes Schauspielerensemble, tolle Kostüme und seine gekonnte Inszenierung verlassen.
Nach «Stolz & Vorurteil» und «Abbitte» arbeitete Regisseur Joe Wright bereits zum dritten Mal mit Keira Knightley zusammen. Zwischen den beiden stimmt die Chemie und Knightley läuft gerade bei Wrights Produktionen zur Hochform auf, so scheint es. Auch diesmal demonstriert die 27-jähirge, dass sie neben Piratenbräuten und Kumpeltypen auch historische Romanfiguren mit Bravour verkörpern kann. Neben ihren Kollegen Jude Law (mit Vollbart kaum wiederzuerkennen) und Aaron Taylor-Johnson («Kick-Ass») sticht Knightley als Titelfigur Anna Karenina mit ihrer einerseits zerbrechlichen, unschuldigen Art und andererseits mit ihrem taffen, strengen Auftreten hervor. Irgendwie leidet der Zuschauer mit Anna, obwohl deren Verhalten alles andere als unterstützungswürdig ist.
Generell ist die Idee großartig, den gesamten Lebensabschnitt Kareninas als Bühnenstück zu präsentieren. Kulissen werden von Statisten ausgetauscht, so dass die Theaterbühne nur in einigen wenigen Fällen verlassen werden muss. Auch die musikalische Begleitung erfolgt nicht wie sonst aus dem Off, sondern wird ebenfalls durch Statisten direkt ins Setting integriert. Der Kinosaal wird somit zu einem Theater, was die Zeremonie viel intensiver gestaltet. Es wirkt, als würden Knightley und Co. in diesem Moment wahrhaftig spielen. Teilweise ist diese Umsetzung so hervorragend gelungen, dass man aufgrund der makellosen Durchführung gar nicht mehr realisiert, dass sich der Fußboden selten, dafür aber alles andere verändert. Wright weicht dadurch vom klassischen Film ab und haucht mit seinem Mut, etwas anderes auszuprobieren, einer angestaubten Geschichte neues Leben ein. Achten sollte man ganz besonders auf den Einsatz von Licht und Schatten.
Die Handlung selbst bedient die üblichen Elemente eines Dramas, das aus heutiger Sicht fast schon standardisiert erscheint. Anna betrügt ihren Ehemann, erntet dadurch die Missgunst der gesamten Gesellschaft und befindet sich in einer inneren Zerrissenheit. Was sich über die Epochen immer mehr zum normalen Prozedere entwickelt hat, erhielt Ende des 19. Jahrhunderts allerdings noch einen ganz anderen Stellenwert. Hier ist Scheidung ein Skandal und führt zu schwerwiegenden Ehedramen, die in betuchten Kreisen nichts verloren haben. Diesen Umstand arbeitet Drehbuchautor Tom Stoppard («Shakespeare in Love») solide heraus, ohne die moralische Keule zu schwingen. Sen Hauptaugenmerk liegt auf Anna, die wir im Umgang mit ihrer neuen Situation ganz genau beobachten können.