Die Entwicklung der deutschen Senderfamilien

Welche Ergebnisse fuhren die Sendergruppen im deutschen Fernsehen im Sechs-Jahres-Vergleich ein? Hat sich die Etablierung neuer Kanäle ausgezahlt?

Die Zeit von 2006 bis 2012 entspricht in Fernsehjahren einer ganzen Epoche – hunderte Serien, tausende Filme und unzählige andere Formate flimmerten mehr oder minder erfolgreich über die deutschen Fernsehbildschirme. Einen umfassenderen Überblick als das Betrachten einzelner Sendungen kann der Blick auf die Entwicklung der Kanäle und Sendergruppen in diesem Zeitraum bieten. In den vergangenen sechs Jahren sind nicht nur Fernsehgattungen verschwunden und neu zum Leben erweckt worden, auch ganze Sender wurden aus der Taufe gehoben. Durch besonderen Fleiß zeichnete sich hier das ZDF aus, aber auch die privaten Sendeanstalten legten neue Spartenkanäle in die Quotenwaagschale. Auch die ARD schraubte zuletzt an seinen digitalen Kanälen und probierte Neuausrichtungen aus. Welches System zahlte sich dabei mehr aus – die Anpassung des Hauptprogramms an zuvor kaum erreichte Publikumsgruppen oder die Schaffung neuer Kanäle, die individuell auf die Interessen der Zuschauer zugeschnitten sind?

In jedem Falle fehlgeschlagen sind die Versuche des Ersten, mehr junges Publikum anzusprechen. Wurden im Fernsehjahr 2005/06 noch durchschnittlich 8,2 Prozent der 14- bis 49-Jährigen angesprochen, sank dieser Wert im Verlauf von sechs Jahren um fast ein Viertel auf nur noch 6,3 Prozent. Ebenfalls 1,9 Prozentpunkte im Minus sind die Marktanteile beim Gesamtpublikum, von dem in den vergangenen zwölf Monaten nur noch 11,8 Prozent Das Erste einschalteten. Mit Blick auf die Regionalsender lässt sich festhalten, dass die Kanäle mit den meisten Zuschauern auch die deutlichsten Verluste hinnehmen mussten. Allen voran der NDR, dessen aktuelle Einschaltquoten von 2,5 Prozent bei allen und 1,1 Prozent bei den Werberelevanten einen Verlust von jeweils 0,4 Prozentpunkten im Vergleich zu vor sechs Jahren bedeuten. Sehr ähnlich auch die Verluste von WDR, MDR und BR, die auf 2,5, 2,0 und 1,8 Prozent bei allen und 1,2, 0,9 und 0,6 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen kommen.

Während der SWR nur kleinere Verluste im Rahmen von 0,1 und 0,2 Prozentpunkten auf 1,7 Prozent insgesamt und 0,6 Prozent bei den Jungen hinnehmen musste, bildeten hr und RBB die einzigen Lichtblicke für die ARD-Sendergruppe. Während letzterer einen Rückgang in der Zielgruppe um 0,1 Prozentpunkte mit demselben Wert in positiver Ausrichtung beim Gesamtpublikum „ausglich“, hielt der Hessische Rundfunk das Interesse bei den Umworbenen unter 50 bei 0,5 Prozentpunkten und verzeichnete insgesamt sogar eine Steigerung von 0,2 Prozentpunkten auf 1,1 Marktanteil. Doch natürlich bilden diese Werte im grünen Bereich nur Schönheitskorrekturen im Ergebnis der ARD, die alles in allem 3,1 aller Fernsehzuschauer und sogar 3,8 Prozent der 14- bis 49-Jährigen an die Konkurrenz abgeben musste.

Vor einer ähnlichen Katastrophe bewahrt wurde das ZDF nur durch die erfolgreiche Etablierung neuer Sender. ZDFneo, ZDFinfo und ZDFkultur sorgten zusammen für 0,9 Prozent Marktanteil bei allen und in der Zielgruppe. Damit wiegen die Verluste des Muttersenders nicht mehr ganz so schwer: ein schöner Anblick dürften die 1,2 Prozentpunkte Verlust in den ausgewiesenen Publikumsgruppen für die Verantwortlichen dennoch nicht sein. Stand das ZDF vor sechs Jahren noch mit 13,3 Prozent insgesamt und 7,3 Prozent bei den Werberelevanten da, bleiben davon 72 Monate später nunmehr 12,1 und 6,1 Prozent über. Im Rahmen der Erwartungen dürfte dagegen das Aushängeschild ZDFneo liegen, das im Schnitt ein halbes Prozent aller Zuschauer anlockte, die sich fast nur aus Personen der Zielgruppe bildeten. ZDFinfo kam ebenso in beiden Gruppen auf 0,3 Prozent, ZDFkultur musste sich mit 0,1 Prozent begnügen. Insgesamt muss die Sendergruppe hinnehmen, 0,4 Prozentpunkte aller Zuschauer und 0,3 der Jüngeren verloren zu haben.

Für die ProSiebenSat.1-Gruppe hat vor allem ein Sender dafür gesorgt, dass nur knapp ein positives Ergebnis mit Blick auf das Jahre 2005/06 verzeichnet werden kann. Sat.1 verlor in den Jahren bis heute die Spitzenposition im internen Wettstreit um die 14- bis 49-Jährigen und lag mit 10,6 Prozent im Fernsehjahr 2011/12 hinter ProSieben, wo 11,8 Prozent erreicht wurden. Vor sechs Jahren erreichte der kriselnde Bällchensender noch 12,1 Prozent aller Jungen, der Schwestersender musste sich mit 11,4 Prozent begnügen. Auch beim Gesamtpublikum musste Sat.1 Verluste hinnehmen, auch wenn die Zuschauer hier etwas mehr Treue bewiesen, als die Gruppe der Werberelevanten. Von ursprünglich 10,7 Prozent blieben noch 10,2, damit ist der Sender weiterhin deutlich vor ProSieben, wo 6,2 Prozent und damit 0,3 Prozentpunkte weniger zu verzeichnen waren.

Für die Sendergruppe der Retter in der Not waren die beiden kleineren Kanäle: der neugegründet Frauensender sixx kam in den vergangenen Monaten auf durchschnittlich 0,5 Prozent beim Gesamtpublikum und auf 0,8 Prozent der 14- bis 49-Jährigen. Auch kabel eins legte in beiden Publikumsgruppen mit jeweils 0,4 Prozent auf 4,1 bzw. 6,0 Prozent deutlich zu. Unterm Strich bedeutet das für ProSiebenSat.1 eine Gesamt- wie Zielgruppensteigerung um 0,1 Prozentpunkte.

Der klare Gewinner am Fernsehmarkt war in der jüngeren Vergangenheit aber eindeutig RTL – auch wenn ein noch besseres Ergebnis durch einen deutlichen Einbruch der aktuellen Zahlen beim Muttersender im Vergleich zu 2010/11 unmöglich wurde. Im Vergleich zu 2005/06 legte RTL um 0,4 und 1,5 Prozentpunkte bei allen und den 14- bis 49-Jährigen zu und kam damit auf 13,6 und 17,7 Prozent. Beim Gesamtpublikum konnte der Sender damit am Ersten und dem ZDF vorbeiziehen und ist nunmehr nicht nur der Kanal, der am meisten Zuschauer unter 50 Jahren anlockt, sondern auch insgesamt mehr, als jeder andere. Davon weit entfernt, aber auf einem guten Weg, ist auch VOX, das mittlerweile 5,6 Marktanteil bei allen und 7,3 Prozent der Werberelevanten erreicht. Ein Klotz am Bein des Erfolgs war für RTL hingegen der Familiensender Super RTL, der mit einem Minus von 0,5 und 0,2 Prozentpunkten insgesamt und bei den Jungen und nur noch 2,2 und 2,4 Prozent in der 6-Jahres-Bilanz steht. Der erst vor kurzem gestartete Spartenkanal RTL Nitro verzeichnete in den ersten Monaten stolze 0,3 Prozent beim Gesamtpublikum und 0,4 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen. Insgesamt geht die Sendergruppe damit mit einem deutlichen Plus von 1,4 Prozenpunkten bei allen Fernsehenden und 2,4 Prozentpunkten in der Zielgruppe aus den letzten sechs Jahren.

Die mit großem Abstand kleinste Sendergruppe hat eine wechselhafte Zeit hinter sich: die MTV-Gruppe. Während der namensgebende Sender ins Pay-TV wanderte und daher nicht mehr für eine Bilanzierung herangezogen werden kann, kann zumindest der Schwesterkanal VIVA die Zuschauerverluste nicht auffangen und blieb im abgelaufenen Fernsehjahr unverändert zu vor sechs Jahren: 0,5 Prozent beim Gesamtpublikum und jeder hundertste bei den 14- bis 49-Jährigen. Das Kinder- und Comedyprogramm auf Nickelodeon und Comedy Central sorgte hingegen für Aufwund und kam auf 0,7 und 0,3 Prozent insgesamt und 0,8 und 0,7 Prozent in der Zielgruppe. Während der neugegründete Kanal für die lustige Seite des Fernsehens noch keine Vergleichswerte vorweisen kann, steigerte sich Nickelodeon immerhin um rund ein Viertel. Alles in allem können die neuen Sender abseits des Musikfernsehens den zuletzt nur noch bedingt als Musiksender zu bezeichnenden Traditionskanal MTV aufwiegen.

Das Fazit des 6-Jahres-Vergleichs der Senderguppen ist damit überaus eindeutig: die Programmierung einzelner Programmschienen für anvisierte Zielgruppen ist weit weniger erfolgreich, als das Aufschalten neuer Sender, die sich individueller ausrichten und ein gezieltes Image aufbauen können. Das hat auch die ARD mit der Umwidmung des Programms auf EinsPlus mittlerweile verstanden. Mit den durchgängigen Erfolgen neuer Spartenkanäle dürfen die Fernsehzuschauer damit rechnen, zukünftig mit noch mehr Spezialsendern konfrontiert zu werden. Wohin die damit verbundene Zerstückelung des Zuschauermarktes langfristig führt, bleibt abzusehen – vielleicht muss die mögliche Fortsetzung dieses Artikels im Jahr 2018 schon in doppelter Länge geschrieben werden, um das Thema angemessen zu präsentieren.
23.08.2012 10:19 Uhr  •  Kevin Kyburz Kurz-URL: qmde.de/58683