Neu im Kino: Remake, Knet und deutsche Komik

Vier Kinostarts, die Kritiker gruseln lassen – und nur ein Film, dessen Macher dies auch beabsichtigen.

«Total Recall»
Dem tristen Alltag entfliehen, die eigenen Träume wirklich erleben: Das verspricht die Firma Rekall, bei der Menschen mit sogenannten „Gedankenausflügen“ Dinge erleben können, von denen sie immer träumten. Der Arbeiter Quaid (Colin Farrell) will die Erinnerungen eines Superspions durchleben – doch plötzlich geht die Rekall-Programmierung schief und Quaid befindet sich auf der Flucht vor der Polizei mit ihrem Kanzler Cohaagen (Bryan Cranston). Quaids einzige Hoffnung ist die Rebellin Melina (Jessica Biel) – und das Vertrauen darauf, dass er gerade nur einen Traum durchlebt. Denn was Realität und was Fiktion ist, kann Quaid in seinem zum Albtraum gewordenen Abenteuer schon längst nicht mehr unterscheiden.

Bei «Total Recall» handelt es sich um die Neuauflage des gleichnamigen Films von 1990 mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle und Paul Verhoeven als Regisseur. Beide Filme basieren grundsätzlich auf einer Science-Fiction-Geschichte des Autors Philip K. Dick – laut Louis Vasquez von „filmgazette.de“ habe Regisseur Len Wiseman («Underworld»-Reihe) aber kaum eigene Ideen für seine Neuauflage entwickelt, denn diese „ist nichts anderes als ein Remake von Verhoevens Film, das sich entgegen der behaupteten Intention sogar noch weiter von der kurzen Vorlage entfernt.“ So hätte Verhoevens alter Film mit seiner „Ambivalenz und Subversion“ sowie einer cartoonhaften „Over-the-Top-Inszenierung” viel mehr den Geist der ursprünglichen Buchgeschichte eingefangen als der aktuelle Versuch, „durch aufwändige Setpieces à la «Blade Runner» seriöse, realistische Science-Fiction zu simulieren, und dann doch umso mittiger in Logikfallen zu tappen.“ Ähnlich sieht es Justin Lowe vom „Hollywood Reporter“: Die Drehbuchautoren „picken sich die Rosinen von einigen Science-Fiction-Klassikern heraus, um einen Film zu dekorieren, der eigentlich ein Thriller mit futuristischen Plot- und Bildelementen ist.“ Colin Farrell mache als Schwarzenegger-Nachfolger einen guten Job, „aber der Mangel des Drehbuchs in Sachen Charakterentwicklung gibt ihm nicht viel, womit er arbeiten kann.“ «Total Recall» basiere insgesamt auf einer „mangelhaft durchdachten Storyline“, schreibt auch „filmosophie.com“. Demgegenüber stünden die „spektakulären Verfolgungsjagten, Schießereien, Einzelkämpfen und Explosionen”, die den Film letztlich in ein anderes Genre einordnen würden: „«Total Recall» ist wirklich ein schlechter Science Fiction, dafür aber ein annehmbarer Actionfilm. Immerhin.”

OT: «Total Recall» von Len Wiseman; mit Colin Farrell, Kate Beckinsale, Jessica Biel, Bill Nighy und Bryan Cranston.

«Frisch gepresst»
Wenn Andrea (Diana Amft) eines nicht ausstehen kann, dann sind es: Kinder. Und deswegen glaubt sie, dass selbst die böse Hexe aus Hänsel und Gretel eine bessere Mutter abgeben würde als sie selbst. Anders sieht dies natürlich ihre Mutter (Sunnyi Melles), welche die biologische Uhr ihrer Tochter immer lauter ticken hört. Doch die junge Designerin hat andere Probleme: Ihr Geschäft produziert nichts als Schulden und auch in Andreas Privatleben läuft nicht viel. Schlagartig ändert sich dies aber bei einem Date mit ihrem Jugendschwarm Gregor (Alexander Beyer), mit dem sie am nächsten Morgen – verkatert und Filmriss-geschädigt – in seinem Bett aufwacht. Doch auch der sympathische Rechtsanwalt Chris (Tom Wlaschiha) hat es ihr angetan. In diesen romantischen Zwist platzt aber eine albtraumhafte Nachricht: Andrea ist schwanger. Und sowohl Chris als auch Gregor kommen als Vater in Frage.

Die heimischen Filmkritiker gingen mit der deutschen Romantikkomödie «Frisch gepresst» hart ins Gericht. So wurde laut Dimitrios Athanassiou von “Moviemaze.de” selten „ein bereits völlig breitgetretenes Thema noch einmal derart kreativlos und einschläfernd umgesetzt.” Inszenatorisch sei der Film auf „TV-Niveau“ und erinnere an „eine gequält in die Länge gezogene Episode einer beliebigen Telenovela“, wobei «Frisch gepresst» laut dem Kritiker noch nicht einmal romantisches Flair versprühe. Bei „Filmstarts.de“ kritisiert Christoph Petersen auch die Realitätsferne des Stoffes um Andrea, die wie eine „Kölner Bridget Jones“ daherkommt: Dank «Doctor’s Diary» hätte man Schauspielerin Diana Amft durchaus zutrauen können, „mit der selbstironischen Natürlichkeit einer Renée Zellweger mitzuhalten. Doch nach dem eröffnenden Noel-Gallagher-Zitat kommt auch aus ihr kein Satz mehr raus, der auch nur halbwegs so klingt, als könnte er tatsächlich von einem realen Menschen stammen.“

«Frisch gepresst» von Christine Hartmann; mit Diana Amft, Tom Wlaschiha und Alexander Beyer.

«ParaNorman»
Eigentlich ist Blithe Hollow ein Ort der Langeweile: Die berühmteste Persönlichkeit des kleinen Städtchens ist eine mythische Hexe, die früher dort ihr Unwesen getrieben haben soll. Auch Norman, ein Außenseiter in der Schule, ist von Blithe Hollow gelangweilt und flieht in die Welt der Horrorfilme und Gruselgeschichten. Aber nicht nur das: Norman kann mit den Toten kommunizieren, was natürlich niemand sonst weiß. Doch als die alte Hexe, die in den Sagen des Städtchens vorkommt, plötzlich erwacht und die Untoten nach Blithe Hollow schickt, kommt Norman seine geheime Gabe gerade recht: Er ist der einzige, der seinen Heimatort jetzt retten kann.

«ParaNorman» ist der zweite große Kinofilm des Animationsstudios Laika, das 2009 bereits mit «Coraline» Erfolge feiern konnte. Wie «Coraline» basiert auch der neue Film auf der Stop-Motion-Technik und steht damit in der Tradition solcher Klassiker wie «The Nightmare Before Christmas» und «Wallace & Gromit». Andreas Staben von „Filmstarts.de“ lobt das Filmstudio Laika, das den „technischen Goldstandard“ von «Coraline» nun mit «ParaNorman» fortführe. „Das Schönste aber ist, dass die Regisseure Sam Fell und Chris Butler bei aller formalen Finesse nicht den Inhalt vernachlässigen. Ihr Film ist eine gewinnende Kombination von Grusel-Geschichte und Coming-of-Age-Drama voller Witz, Spannung und Emotion.“ Auch US-Kritiker sind voll des Lobes, beispielsweise Manohla Dargis von der „New York Times“: „Die Story – eine amüsante, wenn auch nicht wirklich frische Erzählung mit einer Hexe und Sittenhütern – ist hauptsächlich ein Vehikel für die akribische detaillierte Bildschönheit des Films, bei der jede Szene die Gelegenheit zum Entdecken und teils zur Entzückung gibt.“ Für Michael Phillips vom „Chicago Tribune“ „ist ein Unterschied zu anderen Filmen beachtenswert: In diesem Sommer 2012 ist «ParaNorman» einer der guten Filme.“ Denn selbst wenn die Komponenten des Streifens bekannt seien – dazu zählt Phillips „Zombiefilm-Stilfiguren, übernatürliche Flüche und stoische, unverstandene Teenager“ – so „fühlt sich der Umgang mit diesen Komponenten als neu beobachtet und fürsorglich integriert an.“ Lediglich die „schwergängigen und wenig großartigen letzten 20 Minuten“ werden kritisiert. Dafür verspricht Phillips aber den bis jetzt „besten Filmwitz des Jahres“ – einen Zombie und einen Chipsautomaten inklusive.

OT: «ParaNorman» von Sam Fell und Chris Butler.

«Nachtlärm»
Der ganze Stolz der frischgebackenen Eltern Livia (Alexandra Maria Lara) und Marco (Sebastian Blomberg) ist ihr Sohn Tim, neun Monate alt. Doch der kleine Junge, der eigentlich die kriselnde Beziehung von Livia und Marco kitten sollte, ist in der Nacht ein Plagegeist und raubt den Eltern mit seinem schrillen Gebrüll den letzten Nerv. Nur der Lärm ihres rappeligen Golf versetzt Tim in den Schlaf – und so schmeißen Livia und Marco jede Nacht den Motor ihres Autos an und lassen ihren Sohn darin schlafen. Bis eines Tages das Unfassbare passiert: Während Tim schlummert, klauen ein kleinkrimineller Charmeur und sein Date den Golf und düsen in die Dunkelheit davon. Was folgt, ist ein Roadtrip der besonderen Art für Livia und Marco – und die unvergesslichste Nacht ihres Lebens.

Beim Internationalen Filmfestival von Locarno wurde die deutsch-schweizerische Produktion «Nachtlärm» vom Publikum gut angenommen, die Kritiker konnten dem komödiantischen Roadmovie allerdings nicht allzu viele positive Aspekte abgewinnen. So vergleicht Urs Arnold von „outnow.ch“ diesen Film mit «Giulias Verschwinden» von 2009, das ebenfalls von Regisseur Christoph Schaub und Drehbuchautor Martin Suter realisiert wurde. «Nachtlärm» lege nun nach „mit einer leicht gezügelten Redefreudigkeit und mit deutlich gesteigerter Lust auf Action“, seine Schauspieler seien „mindestens so namhaft (und überzeugend agierend) wie bei «Giulias Verschwinden»“. Die Story von «Nachtlärm» nehme „eine unverhoffte Abzweigung nach der anderen“ – dies sei zwar unterhaltend, gehe aber auf Kosten der Genre-Beheimatung, denn diese „bleibt indes diffus: mal Beziehungskiste, mal Komödie, mal Thriller, mal Roadmovie.“ Zu viele Genre-Zutaten sieht auch Robert Cherkowski von „Filmstarts.de“ als negativ an: «Nachtlärm» habe ein „Zuviel an verschiedenen (oft sehr guten) Ansätzen“ und eine fehlende Konsequenz. Die Ansätze „zu einer bitterbösen Farce, zu einem absurden Thriller und zu einem packenden Psycho-Drama“ könnten daher nie voll zur Entfaltung gebracht werden. Rolf Breiner von „Cineman.de“ zieht ein ambivalentes Fazit: „«Nachtärm» rüttelt nicht auf, weckt nicht auf und fesselt phasenweise.“ Insgesamt sei der Film ein „nett unterhaltsame[r] Trip“.

«Nachtlärm» von Christoph Schaub; mit Alexandra Maria Lara, Sebastian Blomberg, Carol Schuler und Georg Friedrich.
22.08.2012 13:39 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/58627