Branchenecho: Das Aus von Harald Schmidt

Wie beurteilte die Presse das endgültige Aus der «Harald Schmidt Show», das am vergangenen Mittwoch besiegelt wurde? Besteht noch Bedarf an der Late-Night-Größe?

Auch 17 Jahre nach dem Start seiner Sendung ist Harald Schmidt noch immer der Einzige, der ein klassisches Late-Night-Format in Deutschland etablieren konnte. Doch nach seiner Rückkehr zur alten Liebe Sat.1 konnte er nie mehr an den Erfolg vergangener Tage anknüpfen, über vier Prozentpunkte unterhalb des Senderschnitts lag man zuletzt fast immer. Das am vergangenen Mittwoch bekannt gegebene Aus verwunderte die Branche allerdings trotzdem leicht, da sich die «Harald Schmidt Show» zuletzt inhaltlich deutlich steigerte und sich sogar die Einschaltquoten minimal verbesserten. Zahlreiche Journalisten äußerten sich zum Aus der Kultsendung auf völlig unterschiedlicher Art und Weise. Quotenmeter.de hat einige relevante Meinungen kompakt zusammengefasst...

Arno Frank von Spiegel Online bezeichnet Oliver Pocher als "entscheidenden Fehler" des Entertainers, denn seit dieser Zusammenarbeit "wollte das Publikum den Late-Night-Talker einfach nicht mehr sehen". Präziser heißt es in Franks Artikel: "Wenn er in dieser erstaunlichen Karriere einen entscheidenden Fehler gemacht hat, dann war es sein Zutrauen zu Oliver Pocher. Zuvor konnte man als Zuschauer mit Schmidt immer, auch in seinen müden Jahren bei der ARD, in eine Art inneren Dialog treten - und natürlich genial finden, was er da an albern abgefedertem Bildungsfernsehen veranstaltete. Als aber Schmidt statt auf einen Jedermann wie Manuel Andrack lieber auf einen präpotenten Sidekick wie Oliver Pocher setzte, war die Liebe enttäuscht und damit vorbei."

Ruth Schneeberger hält in ihrem Artikel in der Süddeutschen diese Ansicht für falsch. Sie bezeichnet Manuel Andrack als "den lahmsten Sidekick, den Schmidt je hatte". Ebenso kritisiert sie die Unterstellung einiger Medien, dass "die fehlende Haltung, die Schmidt an den Tag lege, nicht mehr zeitgemäß sei". Ihrer Ansicht nach ist "genau das Gegenteil der Fall: [...] Genau dieser Mann wird dem deutschen Fernsehen in Zukunft schmerzlich fehlen - Quote hin oder her. Jemand, der es sich leisten kann, noch im Abdanken über sich selbst, über seinen Sender und über Kollegen (Thomas Gottschalk, Günther Jauch) trefflich, ausgelassen und vor allem angstfrei zu scherzen, ein solcher Freigeist wird aktuell und demnächst wohl dringend vermisst werden. Denn wer sollte ihn ersetzen? Stefan Raab? Wohl kaum. Oliver Pocher? Sowieso nicht. Was bleibt, ist Blödelei. Von Intellekt kann im deutschen Fernsehen in Zukunft wohl kaum noch die Rede sein. Zumindest nicht von personell verkörpertem."

Für Katharina Miklis vom Stern ist die Absetzung der Show "vermutlich die größte Fehleinschätzung des Senders, der es bereits verfehlt hatte, große Namen wie Kerner und Pocher erfolgreich im Programm zu platzieren und als Sendergesichter zu etablieren. Einen Schmidt jedoch, den misst man nicht an Quoten".
In einem weiteren Artikel schreibt sie zudem, dass "Sat.1 mit Schmidt nicht nur eine Marke, sondern auch das letzte bisschen Profil" verliere. "Wenn im kommenden Sommer nun auch noch die Champions League zum ZDF überwandert, dürfte das einstige Aufbäumen des Bällchensenders endgültig in absolute Bedeutungslosigkeit verpuffen."

Michael Hanfeld von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wiederum kritisiert die "überhitzte Branche, die nur noch Quoten, nicht mehr Qualität erkennt". Das Aus der Sendung sei "nicht nur wegen Schmidt ein Jammer", sondern bedeute "eine unbedingt zu besetzende Leerstelle - die des intellektuellen Spötters, der die 'hysterische Wirklichkeit' (Schmidt) und die besondere Rolle der Medien darin bricht. Das kann keiner wie Schmidt, das versucht nicht mal einer - die vergeblichen Bemühungen von Benjamin Stuckrad-Barre bei ZDFneo lassen wir einmal außen vor". Seines Erachtens "haben wir den Spötter vom Dienst als Stimme der Vernunft nötiger denn je, allein als Gegenpol zur Kakophonie der vor allem im Ersten nicht endenden Talkrunden, die längst ihr eigenes Paralleluniversum bilden".

Für Jan Freitag von Zeit Online bedeutet "der Abgang von Harald Schmidt hierzulande das Ende eines Genres. [...] Denn wer sollte nach dem schwäbischen Sendezeitvergeuder in der Lage sein, diesen Friedhof der Alphatiere zu pflegen? In 20 Jahren ist daran ein Gottschalk ebenso gescheitert wie Anke Engelke, Oliver Pocher, Niels Ruf. Der talentierte Mr. Stuckrad-Barre wurde ins Quotenabseits ZDFneo befördert, Stefan Raab macht Comedy, es kam einfach nichts vor, nach, neben Schmidt. Und auch die zynischste Zunge der Zunft hatte ja zu allen Zeiten schlechte Zeiten, besonders zuletzt, weshalb die Quote sank und sank." Den Grund hierfür sieht er vor allem an dem "strikt komödiantischen" Konzept, das "Intellektuellen oft zu anspruchsarm, den meisten Anspruchslosen dagegen zu verstiegen" sei.

Dieser Einschätzung ist auch Holger Kreitling von Welt Online, für den die Late-Night "aufs Abstellgleis geschoben" wurde und der "die Haltbarkeit von Fernsehkonzepten" einem "weit stärkeren Wandel ausgesetzt" sieht als in anderen Wirtschaftsfeldern - einzig die «Tagesschau» sei unumstößlich. Das Schmidt-Publikum, so Kreitling weiter, habe in den hoch gelobten amerikanischen Serien jedoch "ein neues Spielzeug entdeckt, das Hipness verspricht". So distanziere sich das intellektuelle Publikum nicht vom Fernsehen insgesamt, sondern spräche darüber, "ob «Breaking Bad» oder «The Walking Dead» besser sei und ob bitteschön nicht all dies von «Homeland» übertroffen wird. [...] Denn die Serien werden nicht im laufenden Programm goutiert, sondern auf DVD oder von Freunden aus dem Ausland besorgt oder gleich als illegales Streaming". Schmidt und auch Gottschalk stünden hingegen "eben auch für ein Bild des Fernsehens als Leitmedium, das sich womöglich dem Ende nähert und ganz im Netz aufgeht."
02.04.2012 09:45 Uhr  •  Manuel Nunez Sanchez Kurz-URL: qmde.de/55877