Hot oder Schrott: Günter Stampf

TV- und Filmproduzent Günter Stampf von Stampfwerk («Die Schulermittler», «Liebe im Paradies», «Urteil Mord») über seine Highlights der Woche und warum er der ARD einen Beipackzettel mit gefährlichen Nebenwirkungen für die Vorabend-Krimiserie «Heiter bis tödlich» verordnen würde.

Jetzt spricht die Branche Klartext: Schauspieler, Moderatoren, Entscheider – sie alle kommen in der Reihe „Hot oder Schrott“ zu Wort. Was ist für sie momentan ein absolutes Highlight und was zum Vergessen? Diesmal: Günter Stampf, Geschäftsführer von Stampfwerk.

Hot:
Vor allem Formate, die dem Zuschauer Nutzen und/oder ein positives Gefühl vermitteln, die etwas erreichen wollen, also genau dort ansetzen, wo «37 Grad» aufhört, gefallen mir. Das kaputte Leben gefällt mir nicht, sondern ich liebe es Menschen zu sehen, die sich aufbäumen und die Kraft finden den richtigen Weg zu gehen. Hier ist RTL mit «Anwalt Posch» und «Undercover Boss» lobend zu erwähnen. Letzeres erlaubt spannende Einblicke in Arbeitswelten, wie die eines 21-jährigen Mehrfachvaters, oder das gut produzierte Frauenfernsehen «The Biggest Loser», bei dem die Frauen mit jedem Kilo auf oder ab eine körperliche und seelische Heldenreise durchleben. Bei RTL II sollten die Kritiker häufiger hinschauen: Mit den «Wollnys» sehen wir die Alltagssorgen einer normalen Familie, die mit Herz und viel Fürsorge berührend zusammenhält. Daumen hoch! Die neue «DSDS»-Staffel ist sehr gelungen. Top-Stimmen, Top-Momente und Top-Gefühle! Der Weinausbruch von Bruce Darnell ("Oh mein Gott! Du singst von hier bis zu dem Himmel") war an Emotionalität und Heiterkeit nicht zu überbieten. Für mich hat Bruce mit Dieter Bohlen - dem besten Duo seit Modern Talking - einen extremen Unterhaltungswert und Bruce verdient ein eigenes, gutes Format (das wir auch hätten - bitte melden!). Ansonsten bleibe ich in letzter Zeit häufig bei n-tv hängen, wo die packendsten Dokumentationen laufen.

Bei VOX fühle ich mich gut unterhalten, wenn «Das perfekte Promi Dinner» oder «HundKatzMaus» On Air ist. Essen, Einblicke in Schlafzimmer, Welpen, Kätzchen - das macht Laune. Ich finde, der Sender VOX hat in letzter Zeit mehr Mut bewiesen, weil er auch auf das Erfolgsgenre Scripted Reality setzt. Spannend wird sein, was wohl hier noch von Frank Hoffmann & Co zu erwarten sein wird? Meine "Hot"-Favoriten der Woche sind jedoch mit Abstand die US-Serien wie «Mad Man», das mit sinnvollen, tiefen Dialogen auskommt auch ganz ohne Action, «Californication» oder «Breaking Bad». Das sind Highlights in Sachen Storytelling mit starken USPs. Die US-Serien sind auch viel frecher - vor wenigen Jahren war es umgekehrt, als die USA über das mutige deutsche Fernsehen staunte. Die Frechheit haben die Amerikaner perfektioniert und sind damit jetzt die Benchmark. Ich traue es RTL zu, hier gleichzuziehen.

Schrott:
Die ARD-Vorabendkrimis «Heiter bis tödlich» sind, es muss gesagt werden, an Langeweile und mangelhafter Schauspielkunst kaum zu unterbieten. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten führen einerseits in seltener Eintracht einen unsäglichen und unverständlichen Feldzug gegen Scripted Reality, obwohl gerade das ZDF mit «Aktenzeichen XY» vor 45 Jahren die nachgestellten Szenen erfunden hat ("Dann überwältigen die brutalen Räuber den Juwelier und knebeln seine Ehefrau" - und das ohne Hinweis: diese Szene wurde von Laien nachgespielt!) und die BBC längst auf diese Programmfarbe setzt. Stattdessen präsentiert uns die ARD eine fiktionale Serie mit absurden Episoden-Titeln wie "Die Wilde aus dem Süden". Der Titel war schon abschreckend genug: Ist damit Veronika Ferres gemeint, die sich nun wochentags durchgehend von Tragödie zu Tragödie heult? Uff, Entwarnung, doch dann: Gääähn. Die Serie müsste eigentlich mit einem Beipackzettel oder einer vorab einblendeten Warntafel ausgestrahlt werden: Als Nebenwirkungen beim Zuschauen können auftreten: Fallender Blutdruck, Schwindelgefühle, Sehschwächen, Sekundenschlaf, Halluzinationen und vieles mehr.

Die Episoden sind mehrheitlich dumm, absolut nicht originell, banal und völlig absurd. Die einzelnen Ermittler-Teams, die von einer Szene in die nächste stolpern und die nicht miteinander sondern gegeneinander spielen: Da sind ja Laien besser! Und, Dialoge, wie vor 100 Jahren gesprochen und Fragen, die dreimal beantwortet werden, damit sie auch wirklich jeder mitkriegt. Ich glaube den Darstellern als Zuschauer kein Wort, nicht mal einen schlechten Witz. Schade, dass mein ehemaliger Chef Thomas Gottschalk mit der Quotendiskussion über sein kleines, feines Kammerspiel von dieser gebührenfinanzierten Katastrophe ablenkt. Für diesen Sendeplatz gibt es genügend Alternativen, aber die ARD-Verantwortlichen wollen nicht wahrhaben, dass es nur ein Genre gibt, das sie retten kann: Scripted Reality mit Anspruch für die viel klüger und intelligentere als von der ARD eingeschätzte Zuschauergruppe ab 49 Jahren, die den Spiegel ihrer Lebenswelt sucht und dort wiederfinden sollte, eine, die authentisch ist, respektvoll, würdevoll und vor allem glaubwürdig. Warum nur halten die Intendanten der ARD ihre Zuschauer für so bekloppt, dass sie ihnen zur Unterhaltung solche Krimis und Florian Silbereisen vorsetzen? Man muss bei diesem Programm heute schon Angst haben, wenn man die Zielgruppe der unter 49-Jährigen hinter sich lässt.
09.03.2012 10:00 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/55418