Steven Spielbergs für den Oscar nominiertes Epos «Gefährten» ist großes Gefühlskino. Das schnell als Kitsch missverstanden werden kann.
Wer mit dem Gedanken spielt, sich Steven Spielbergs jüngste Regiearbeit «Gefährten» im Kino anzusehen, ist gut beraten, für sich selbst eine bestimmte Frage zu beantworten. Nicht, ob man an Pferdefilmen interessiert ist. Denn «Gefährten» weist weitaus mehr Reize auf, als den schlichten „Oh wie süß, ein Pferd“-Faktor. Man muss sich auch nicht mit großer Dringlichkeit dessen bewusst werden, dass Spielberg seine Handlung während des Ersten Weltkriegs ansiedelt. Auch wenn die Schrecken des Krieges thematisiert werden und mehrfach die Frage aufkommt, inwiefern im Krieg die Menschlichkeit überdauern kann, so zeichnet Spielberg das Kriegsgeschehen weitaus weniger drastisch, als noch in «Der Soldat James Ryan».
Auch die Handlung als solche bewegt sich auf diesem schmalen Grat: Der englische Farmer Ted Naracott (Peter Mullan) ersteigert ein neues Fohlen, in dem sein Sohn Albert (Jeremy Irvine) die herbeigesehnte Rettung für den väterlichen Hof zu erkennen glaubt. Ihr Pächter Lyons (David Thewlis) sitzt ihnen seit einiger Zeit gehörig im Nacken, und dass der trinklustige Ted für das junge Pferd sein Budget kräftig überzogen hat, steuert die Familie noch näher an den Rand einer Krise. Denn das auf den Namen Joey getaufte Tier ist zu jung und zierlich, um die anfallenden Arbeiten erledigen zu können. Gegen den väterlichen Willen und den Ratschlägen seiner Mutter Rose (Emily Watson), trainiert Albert seinen tierischen Freund und lehrt ihm, das steinige Feld des Familienhofes zu pflügen. Unterbrochen wird dieser an Familien-Fernsehfilme erinnernde Plot von albern wirkenden, kurzen Comedyeinlagen einer frechen Gans. Währenddessen sind es die realistisch-dramatischen Einblicke in die diffizile Lage bäuerlicher Familien in der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg, die den ausführlichen Prolog von Spielbergs «Gefährten» aus seiner Kinderbuchmentalität ausbrechen lassen.
So zeigt Spielberg im Laufe von «Gefährten», ohne das Kinopublikum mit der Nase darauf zu stoßen, die kriegstechnische Weiterentwicklung. Die erste Schlacht im Film wird noch mit einer berittenen Kavallerie bestritten, einige Filmminuten später sind die Pferde bloß noch zweitrangiges Kriegswerkzeug, dessen Zerschleiß hingenommen wird, so lange dadurch die wertvollen Panzer geschont werden. Gen Ende des Films sind Pferde an der Front letztlich zu einer kuriosen Rarität geworden, die unter den jüngeren Soldaten Neugier und Verwunderung hervorrufen. In weiteren, episodisch anmutenden Segmenten des Films zeigt Spielberg unter anderem auch, wie der Erste Weltkrieg die ländliche Bevölkerung in Mitleidenschaft zog. Das Kapitel, in dem Joey bei einem französischen Marmeladenhersteller (Niels Arestrup) und seiner Nichte (Celine Buckens) unterkommt, dürfte zu den Höhepunkten dieser Odyssee gehören.
Dies liegt unter anderem an dem leicht schrulligen Humor des jungen, französischen Landmädchens, der zu den originelleren Elementen von «Gefährten» gehört und im exakt richtigen Maße eingesetzt wird. Die Szenen auf dem kleinen Hof des Marmeladenmachers vereinen aber auch, besser als der Prolog auf der Farm der Naracotts, Spielbergs träumerisch-märchenhafte Grundstimmung mit den leiseren, dramatischeren Zwischentönen dieser Geschichte. Eingefangen wird dieses epische Kriegs-Melodram in prachtvollen Landschaftspanoramen, die Komponist John Williams mit (Oscar-nominierten) schwelgerischen Melodien begleitet.
Steven Spielbergs Haus- und Hof-Kameramann Janusz Kamiński weckt mit seinen ausschweifenden Totalen Erinnerungen an frühe Farb-Epen wie «Vom Winde verweht», andere Bilder könnten glatt einem modernen Märchenbuch entsprungen sein. Selbst einem kahlen, von Schwefel und Nebel umhüllten und mit Stacheldraht überfrachtetem Schlachtfeld entlockt Kamiński bei aller Bedrohlichkeit eher eine unwirklich-malerische Facette. Es ist dieser künstlerische Gefühlsüberschwang, der «Gefährten» zu ganz großem Kino macht. Wenn man sich Spielbergs neuste Arbeit ansehen möchte, so sollte man dies definitiv auf der großen Leinwand tun, denn die von ihm abgelieferte Komposition aus Bild, Musik und Thematik wurde zweifelsfrei als epochales Kinoerlebnis konzipiert.