«Smash»: Qualität darf auch erfolgreich sein

Das neue Musicaldrama im US-TV ist nicht nur eines der besten Serienpiloten in dieser TV-Saison, sondern vielleicht auch die letzte Hoffnung für Qualität und Erfolg im amerikanischen Networkfernsehen.

Selten ist der Neustart einer Serie so wichtig für einen Sender. Normalerweise würde von einem Erfolg oder Misserfolg der Serienpremiere nicht die Zukunft des Senders abhängen, doch bei NBC und «Smash» scheint es, als würde das Drama über die Backstage-Erlebnisse einer Musical-Produktion über Leben und Tod entscheiden – wenn auch nur im metaphorischen Sinne. Die NBC-Bosse sehen in «Smash» die Rettung ihres schwer gebeutelten Senders, und die Rückkehr ihrer Zuschauer. Besonders für Unterhaltungschef Robert Greenblatt, der das Projekt ursprünglich für Showtime vorgesehen hat, ist die Produktion von großer Bedeutung. Kritiker sehen in «Smash» einen potentiellen Erfolg, der seinem Titel alle Ehre macht. Und doch scheint es unsicher, ob das Drama aufgrund seiner Thematik jemals ein Zuschauererfolg werden kann. Das potentielle Publikum hat derweil täglich etwas von «Smash» gehört. Mehr als 25 Millionen US-Dollar soll NBC für die Promotion der Serie ausgegeben haben – Billboards, Zeitungsanzeigen, Online-Werbung, und das ominöse 40-seitige Programmbuch im Broadway-Style, welches an die Presse weitergegeben wurde. Ist «Smash» der Erfolg, den NBC seit Jahren sucht, oder doch nur das letzte Lebenszeichen eines Networks, welches vor noch nicht einmal zehn Jahren an der Spitze der Sendercharts stand?

Karen Cartwright (Katharine McPhee, Zweitplatzierte der fünften «American Idol»-Staffel) steht auf einer Bühne, singt „Somewhere Over the Rainbow“. Es ist nicht nur eine Traumwelt für Karen, es ist ihr Element. Nur ist es kein Job für sie, als sie abrupt von einem Handy unterbrochen wird und Karen sich zurück in der Realität findet: in einem Casting für ein Theatermusical. Sie bekommt die Rolle nicht. Am anderen Ende von New York ist Theaterautorin Julia Houston (Debra Messing, «Will & Grace») gerade dabei, sich den Wunsch eines Musicals über Marilyn Monroe zu erfüllen – welches allerdings schon 1983 floppte. Doch der Traum ist ein großer, weshalb der erste Song schon geschrieben wurde. Grund genug für Broadway-Produzentin Eileen Rand (Anjelica Huston) das Projekt anzupacken und nach einem Regisseur zu suchen. Zur selben Zeit sieht sich die eher unbekannte Broadway-Darstellerin Ivy Lynn (Broadway-Veteran Megan Hilty) perfekt für die Rolle der Marilyn, und ist vom Startfleck weg an der Idee beteiligt. Doch schon bevor die Produktion des Marilyn-Musicals startet, gibt es Probleme. Der arrogante britische Regisseur Derek Wills (Jack Davenport, «Coupling») und Ko-Autor Tom Levitt (Christian Borle) können sich nicht ausstehen, und es gibt zwei potentielle Darstellerinnen für die Rolle der Marilyn: die professionelle Ivy, die sich nach dem Broadway-Durchbruch sehnt, sowie die unerfahrene, aber talentierte Karen, die sich den Job ebenfalls wünscht.

2012 hat seinen ersten großartigen Piloten gefunden. Nachdem das Jahr mit «Work It» seine angeblich schlechteste Serienpremiere schon hinter sich hat, darf nun Anspruch beweisen, was er draufhat. Die Tatsache, dass «Smash» alles andere als schlecht ist, und dazu noch ein Nischenpublikum anvisiert, bedeutet allerdings auch, dass die Serie es äußerst schwer haben wird, bei einem Mainstream-Publikum anzukommen. Musicals sind nicht Jedermanns Ding, besonders wenn diese so völlig anders als «Glee» sind. Um die Vergleichsmöglichkeiten zwischen «Glee»s surrealer Highschool-Welt und «Smash»s realistischer Theaterwelt jetzt schon zu zerstören, ist zu sagen, dass sich beide Serien absolut nicht vergleichen lassen. «Glee» mag dem Musicalgenre im Fernsehen endlich einen Erfolg gegeben haben, nachdem es in der Vergangenheit mit «Cop Rock» (1990) und «Viva Laughlin» (2008) überhaupt nicht funktionierte, doch «Smash» zeigt, dass das Genre nicht immer neben der Welt stehen muss und ruhig authentisches Drama liefern kann. Das wird jedoch das Problem sein, mit dem «Smash» zu kämpfen hat.

Es kann noch so gut geschrieben sein, die Songs können noch so originell sein. Marilyn Monroe und Musical mag für NBC eine funktionierende Ehe sein, doch für das amerikanische Publikum? Geschweige denn für das internationale Publikum, welches sogar noch größere Probleme mit «Smash» haben wird, sollte die Serie es jemals schaffen, mit Erfolg über den nordamerikanischen Horizont zu kommen. Dabei hat der Pilot alles, was der geneigte TV-Zuschauer benötigt, um endlich Zeit für eine Serie zu investieren. Es fängt schon mit den verschiedenen Rivalitäten zwischen den Charakteren an, die jedoch nicht als Protagonisten oder Antagonisten bezeichnet werden können. Und es hört nicht einmal mit der Darstellung der Musical-Produktion auf, die sicherlich nicht nur für allerhand Drama innerhalb der Story sorgen wird, sondern auch (hoffentlich erfolgreich) versucht, die Realität des Broadways an die Zuschauer weiterzugeben.

«Smash» ist dabei in der Lage, in fast allen Instanzen zu überzeugen. So lange man Interesse an Musicals hat. „In fast allen“ deshalb, weil der Pilot nicht unbedingt die Schattenseiten der Theaterwelt widerspiegelt, und stattdessen nur auf die Anfangsphase des Castingprozesses pocht, die zwar einiges an Potential mit sich bringt, allerdings eben jene Schattenseite des Broadway-Traums komplett außen vor lässt. Dafür funktioniert der Rest umso wunderbarer, auch wenn es etwas mehr Zeit für einige der Charaktere benötigte. Allein schon die Tatsache, dass «Smash» mit Originalmusik aufwartet und nicht immer mit einer Popnummer aus den Charts (egal wie gut McPhees Performance von Christina Aguileras „Beautiful“ auch ist) um die Ecke kommt, sollte vor allem die nörgelnden (TV-)Kritiker beeindrucken, die in all dem Reality-TV-Wahn nach Originalität und Qualität suchen. Und auch wenn «Smash» hier und da mit Klischees und kitschigen Momenten arbeitet, kann man der Serie ihre Originalität nicht abstreiten.

Die Premiere hat sogar keine Schwierigkeiten, auch für das Mainstreampublikum anspruchsvoll, und trotzdem geradlinig zu wirken. Auch wenn die erste Hälfte mit drei verschiedenen Geschichten (Karen, Ivy, Julia/Tom) wie eine Anthologie wirkt, deren Grundthema nur mit Marilyn Monroe übereinstimmt, fügen sich alle drei Geschichten gen Ende wunderbar zusammen und ergeben ein großes Ganzes, welches als Spektakel einer Broadway-Vorproduktion angesehen werden kann – für die Standards einer fiktionalen TV-Serie natürlich. Selbst die Broadway- und Marilyn-unerfahrenen Zuschauer bekommen einiges an Informationen über beide Elemente, ohne erschlagen, aber genauso nicht ohne wichtiges Wissen zurückgelassen zu werden. Unvoreingenommene Zuschauer werden also kein Problem darin sehen, mit 15 Episoden «Smash» einen kleinen Broadway-Exkurs geliefert zu bekommen, sowie Nachhilfestunden im Leben der Ikone Marilyn Monroe.

Am Ende sind diese Exkurse jedoch nicht das Hauptaugenmal von «Smash». Die Produktion eines Theatermusicals allein bietet genügend Stoff, angefangen von der Idee, endend mit der Uraufführung. Und wenn Produzent Steven Spielberg (der die Nennung seines Namens dieses Mal redlich verdient hat, nachdem die Serie 2009 aus seiner Feder gekommen ist) seine ursprüngliche Idee beibehält – eine Staffel beschäftigt sich mit der Produktion eines Broadway-Musicals) – könnte aus «Smash» nicht nur eine Serie werden, welche die Chance hat sich jedes Jahr neu zu erfinden, sondern auch ein Trendsetter in Sachen Anthologie-Serien zu sein. Ryan Murphy will mit «American Horror Story» von Grund auf neue Staffelgeschichten erzählen (hoffentlich hält er sich auch daran), und sollte «Smash» der Erfolg sein, welchen NBC seit der ersten Staffel von «Heroes» sucht, wäre eine jährlich abwechslungsreiche Musical-Serie wünschenswert. Vor allem, wenn sie weiterhin so realistisch bleibt, und in keinster Weise daran denkt, die Fantasie-Performances von «Glee» zu kopieren. Und besonders, wenn es bedeutet, dass qualitatives, mutvolles Fernsehen gegen billige Reality wieder einmal gewonnen hat. Zumindest in diesem Jahr.
06.02.2012 11:00 Uhr  •  Christian Wischofsky Kurz-URL: qmde.de/54783