Popcorn und Rollenwechsel: Schlecht vs. Enttäuschend

Von falschen Erwartungen, schlechten Kinofilmen und ungerechten Verurteilungen ansehnlicher Filme.

Selbst wenn ich gerade keinen Kino-Jahresrückblick plane, komme ich Ende Dezember und Anfang Januar nicht umher, auf das vergangene Kinojahr zurückzublicken. Allein schon, weil ich als passionierter Kinogänger auch sehr interessiert die Hitlisten anderer Filmfans verfolge und auch, ganz investigativ, meine Freunde ausquetsche, was ihre Lieblings- und Hassfilme der letzten Monate waren.

Sicherlich ließe sich an dieser Stelle eine komplexe Beobachtung darüber schildern, welch unterschiedliche Maßstäbe Gelegenheitskinogänger, Cineasten und begeisterte Hobby-Kinogänger für ihre jeweiligen Bestenlisten an den Tag legen. Allerdings möchte ich dieses Mal nicht auf die ewigliche Diskussion des Fürs und Widers von publikumsträchtigen Blockbustern eingehen. Mich reizt eher der tendenziell unterschiedliche Umgang mit der eigenen Erwartungshaltung.

Eine Vorabmeinung bildet sich durch so viele Variablen: Kinotrailer, Kritiken, Meinungen von Freunden, bisherige Erfahrungen mit den Arbeiten des Hauptdarstellers oder Regisseurs ... Ja, selbst ein Poster kann die Einstellung zu einem Film beeinflussen. Schaut ein in schwarz-weiß abgebildeter Jason Statham grimmig und einen Defibrillator in den Händen haltend vor blutrotem Hintergrund aus der Wäsche? Oder müht sich der durchtrainierte Brite ein Lächeln ab und wird von rosa Herzchen umrahmt? Beides könnte einen Film mit dem Titel «Heartbreak» anpreisen, doch die Grundeinstellung, mit der man als Kinogänger in beide Varianten traben würden, wären grundverschieden.

Wenn ich mich bei den Gelegenheitskinogängern so umhöre, macht sich bei der Erstellung der Liste der schlechtesten Kinobesuche des Jahres leicht ein Schema bemerkbar: „Ich fand «In Time» schlecht, ich hätte mehr stylische Action erwartet“, „Mir hat «Bad Teacher» nicht gefallen, ich wollte einen viel derberen Film sehen“, „Der schlechteste Film des Jahres war «Sucker Punch». Der war nur halb so geisteskrank, wie ich erwartet habe!“, ...

„Schlecht“ scheint, ohne abwertend klingen oder zu sehr zu verallgemeinern zu wollen, für sehr viele Kinobesucher gleichbedeutend mit „enttäuschend“ oder „nicht wie erwartet“ zu sein. Was zu einem gewissen Grad nachvollziehbar ist: Wer Kino nicht als Passion, sondern gelegentlichen Zeitvertreib betrachtet, möchte für sein teures Eintrittsgeld auch das erhalten, was er sich zuvor versprach. Wenn eine Gruppe Jugendlicher am Freitagabend zwischen Bar- und Discobesuch in Jason Stathams (nicht existierenden Film) «Heartbreak» geht und trotz eines aggressiven Posters eine kuschelweiche Liebeskomödie erhält, dann wird sie den Film mit Sicherheit als einen der persönlichen Flops des Jahres verbuchen.

Diese Logik hat selbstredend ihre Lücken und führt schnell zu einer ungerechtfertigten Verurteilung von Filmen. Einem Film schlechtes Marketing vorzuwerfen oder ihn für etwaig unberechtigte, eigene Erwartungshaltungen abzustrafen, ist gewissermaßen „unfair“. Denn letztlich stehen Filme auf ihren eigenen Füßen. Weshalb sich Cineasten und Filmkritiker, so weit wie möglich, diesen Bewertungsmaßstäben enthalten und strikter zwischen „enttäuschend“ und „schlecht“ trennen. Sehr gut ließ sich dies im Sommer 2011 im Falle von «Super 8» beobachten, der vorab von sehr vielen US-Filmbloggern enorm gelobt wurde und von dem man erwartete, dass er einer der spektakulärsten Blockbuster der letzten Jahre wird. Stattdessen war es eine liebevolle Hommage an Spielbergs frühere Werke und „nur“ einer der besten Blockbuster dieses Jahres. Dennoch erhielt «Super 8» nahezu geschlossen hervorragende Kritiken.

Nicht, dass professionelle Kritiker davon völlig ausgenommen sind, dass Erwartungen die Bewertung eines Films manipulieren können. So war es bei der Besprechung der «Fluch der Karibik»-Fortsetzung ein wiederkehrendes Element, dass sich die Autoren einiger der harschesten Verrisse darüber mokierten, dass die Filme unnötig lang, dialoglastig und düster seien. Sie erwarteten bei einer von Bruckheimer produzierten Filmadaption der Disney-Wasserbahn «Pirates of the Caribbean» ein vollkommen simples, leichtherziges und spaßiges Piratenabenteuer im Stile der Errol-Flynn-Klassiker. Bloß mit moderneren Mitteln. Wohl aufgrund der schlechten Kritiken, aber auch aufgrund der außer Kontrolle geratenen Produktionskosten des dritten Teils, «Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt», versprach das Studio mit Teil 4 zu den Wurzeln des Piratengenres zurückzukehren. Und obwohl «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» deutlich simpler als sein direkter Vorgänger gestrickt ist, hat er noch immer klare Überlänge, redselige (Anti-)Helden und eine verworrene Figurenkonstellation.

Ich möchte nicht jedem Kritiker dieses Films seine Meinung aberkennen. Keinesfalls. Wer den Schurken Blackbeard nicht mochte oder über die Gags nicht lachen konnte, hat natürlich sein Recht auf eine negative Stellung zum Film. Was mich allerdings vollkommen perplex zurücklässt, ist der auf Seiten wie Rottentomatoes.com nachzulesende Konsens: «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» sei viel zu komplex, die Handlung verwirrend und nicht nachzuvollziehen. Ehrlich? Der Plot ließe sich mit „Jeder will zum Jungbrunnen, und zwar aus gänzlich eigennützigen Motiven. Wer gewinnt?“ zusammenfassen. Und das soll zu komplex sein?

Meine einzige Erklärung ist, dass alle einen absolut anspruchslosen Abenteuerride erwarteten, und ihn nicht erhielten. Sonst kann man diesen einfach gestrickten Film unmöglich als unverständlich bezeichnen. Aber ich will mich hier nicht als unbeeinflussbar darstellen. Nach meiner zweiten Sichtung wurde ich zwar richtig glücklich mit «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten», beim ersten Mal schlug ich jedoch in die entgegengesetzte Richtung des Konsens. Mir war er viel zu simpel und undramatisch. Denn trotz Disneys Versprechungen eines einfacheren Abenteuers erwartete ich, dass «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» komplexer, verworrener und dramatischer als übliche Abenteuerblockbuster wird. Das erwartete und wollte ich. Und bekam es nicht, weshalb ich mich zwar unterhalten fühlte, aber dennoch enttäuscht war.
02.01.2012 00:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/54077