Die Kritiker: «Russisch Roulette»

Handlung
Die deutsche Journalistin Katherina Wagner besucht mit ihrem achtjährigen Sohn Nikolai das Grab ihres Mannes, einem russischen Journalisten, der in der Nähe von St. Petersburg beigesetzt wurde. Er soll sich selbst das Leben genommen haben, was Katherina jedoch bezweifelt. Wissend, dass Russland für Journalisten ein gefährliches Pflaster ist, versucht sie aber, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Deshalb schlägt sie auch das Angebot des Chefredakteurs Wolfgang Fischer aus, die Stelle ihres verstorbenen Mannes anzunehmen.

In der U-Bahn geschieht dann der Albtraum: Nikolai läuft voraus, seine Mutter verliert ihn aus dem Blick und der Junge verschwindet spurlos. Bei ihrer Suche nach Nikolai erhält Katherina zunächst nur vom gutmütigen polnischen Schrotthändler Adam Markoswki Unterstützung, die russische Polizei indes beschwört bereits die schlimmsten Aussichten herauf. Also begibt sich der komplette Redaktionsstab Wolfgang Fischers auf eigene Faust in die Recherchearbeit. Ein finsteres Komplott offenbart sich, das mit der Vergangenheit von Katharinas Mann und ominösen Geheimdiensten zu tun hat ...

Darsteller
Katharina Böhm («Die Unzertrennlichen») ist Katharina Wagner
Heinz Hoenig («Die Affäre Semmerling») ist Adam Markoswki
Hansjürgen Hürrig («Bella Block») ist Alfred Scherenberg
Horst-Günter Marx («Geld.Macht.Liebe») ist Grigori Rubenstein
Merab Nindize («Nirgendwo in Afrika») ist Alexej Romanowitsch
Wolf Roth («Siska») ist Wolfgang Fischer

Kritik
Das Erste eröffnet das Jahr 2012 mit einem zweiteiligen Event-Thriller von Regisseur Joseph Vilsmaier, der bereits Kinofilmen wie «Comedian Harmonists» und «Der letzte Zug» verantwortete. Der erfahrene Regisseur sorgte in diesem zweimal neunzigminütigen Film dafür, dass die eiskalte Entführungsgeschichte an gleichermaßen eindrucksvollen wie trostlosen Schauplätzen gedreht wurde und eine durchaus effektive Bildsprache entwickelt, die für deutsche Genrefilme (noch dazu im Bereich der Fernsehproduktionen) eher eine Seltenheit ist.

Aus dem Kernensemble von «Russisch Roulette» sticht ganz besonders Hein Hoenig hervor, der Katharinas unverhofften Helfer im Kampf gegen das organisierte Verbrechen mit einer natürlichen Vertrauenswürdigkeit versieht, ohne dabei die versteckten Tiefen dieser Figur glatt zu bügeln. Mit leichten Abstrichen lässt sich dieses Lob auch auf die Darbietung Wolf Roths übertragen, der als ehemaliger Chef von Katharinas verstorbenen Mann eine überzeugende Leistung als leicht distanzierter, dennoch engagierter Bekannter gibt. Im zweiten Teil des Films rutscht Roths Spiel während emotionalerer Momente mehrmals ins reine Chargieren ab. Katharina Böhm gelingt es indes, trotz manch forciert gespielter Panikattacke, als hilflose, allerdings kämpferische Mutter eines entführten Sohns die dreistündige Handlung zu tragen und die Emotionalität ihrer Rolle nachvollziehbar darzustellen.

Während die Hauptdarsteller und Regisseur Vilsmaier ihre Sache gut machen, erweist sich das Drehbuch von Rolf-René Schneider («Mord in bester Gesellschaft») schon eher als problematisch. Die interessante und dramaturgisch gut aufgebaute Geschichte bleibt zum Beispiel durch eine inkonsistente Figurenzeichnung unter ihren Möglichkeiten. So wird etwa Katharina als taffe und erfahrene Investigativjournalistin beschrieben und ihr Mitstreiter Adam zeugt von breitem Vorwissen über die Gefahren St. Petersburgs. Und dennoch stolpern beide regelmäßig in überdeutliche Fallen und lassen sich von schlecht gelegten falschen Fährten in die Irre führen.

Die daraus entstehenden Sequenzen sind zwar jeweils für sich betrachtet dank der atmosphärischen Inszenierung durchaus spannend, allerdings wäre es für die Gesamthandlung erstrebenswert, rutschte «Russisch Roulette» nicht immer wieder in ausgetretene Thrillerpfade, deren ungefährer Ablauf strikt aus dem Einmaleins des Suspensefilms stammt.

Wegen der handwerklichen Ambitionen und einer, wenngleich nicht anspruchsvollen, so aber oberflächlich betrachtet sehr effektiven Narrative, ist «Russisch Roulette» trotz der aufgezählten Schwächen für alle Genrefreunde ein Einschalttipp. Sofern man sich zurückhält, über jegliche Inkonsistenzen in der Handlung nachzudenken, können einen die gelungene Inszenierung und die engagierten Darbietungen der Hauptdarsteller für insgesamt 180 Minuten vor dem Bildschirm fesseln. Die klischeehafte Darstellung Russlands kann zwar für einige hochgezogene Augenbrauen sorgen, jedoch bietet das Setting auch Möglichkeiten für aufwändige Bilder, die man sich öfter in Fernsehfilmen wünscht.

Das Erste strahlt den ersten Teil von «Russisch Roulette» am 2. Januar 2012 ab 20.15 Uhr aus. Der zweite Tag folgt am 3. Januar zur gleichen Sendezeit.
01.01.2012 10:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/54075