Gewinner 2011: Steven Gätjen

Lange Zeit nur Moderator der «Disney Filmparade», nun Showstar am Samstagabend mit «Schlag den Raab»: ProSieben-Gesicht Steven Gätjen ist einer der Aufsteiger des Fernsehjahres.

Alles begann Mitte Mai: Damals berichtete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, dass die ARD den ProSieben-Moderator Matthias Opdenhövel exklusiv an sich binden will. Zwei Tage später wurde diese Meldung offiziell. Demnach sollte Opdenhövel ab Juli neuer Moderator bei der ARD werden, dort unter anderem die «Sportschau» präsentieren. Noch im April hatte Opdenhövel die Samstagabend-Show «Schlag den Raab» moderiert – jene Sendung, in der er sich als einer der besten Live-Moderatoren des deutschen Fernsehens profilieren konnte. 28 Mal erreichte die ProSieben-Sendung mit ihm stets hervorragende Einschaltquoten und belebte das klassische Konzept einer Samstagabend-Spielshow im Privatfernsehen.

Wer sollte der Nachfolger des eloquenten Mannes werden, der sich mit und gegen Stefan Raab in einer symbiotischen Spannung zu Moderations-Höchstleistungen aufschwang? Der stets schlagkräftige Argumente hatte und jede noch so schwierige Live-Situation meisterte? Der zum jeweils richtigen Zeitpunkt Spannung oder Witz vermittelte? Einen idealen Nachfolger dieses scheinbar perfekten Duos Raab/Opdenhövel gab es nicht, und dennoch wartete ProSieben nicht einen Tag mit der Antwort auf diese Frage. Wo andere Samstagabendshows ihre leidlichen Probleme haben, einen Nachfolger zu küren, meldete Raab Vollzug. Und zwar noch an dem Tag, an dem Opdenhövels ARD-Wechsel bekannt wurde: Steven Gätjen soll es richten.

„Steven wer?“ Wohl nur wenigen Freunden von «Schlag den Raab» dürfte dieser Name im Mai geläufig gewesen sein. Gätjen moderierte von 1999 bis 2001 das Nachmittagsmagazin «taff» bei ProSieben und tauchte in dieser Zeit sporadisch in der Primetime auf: mit Shows wie «Fort Boyard» oder «Speed – Time is money». Damals galt er als großes Moderationstalent, konnte aber aufgrund der schwachen Quoten seiner Sendungen nie den Durchbruch schaffen. Fünf Jahre lang präsentierte er bis 2009 die «Disney Filmparade» am Vormittag, bevor er im Juli desselben Jahres mit «Sommermädchen» erneut eine Abendshow bei ProSieben hatte.

Warum Raab gerade auf Steven Gätjen kam, wollte sich zunächst nicht erschließen: Er war kein großer Name im Showgeschäft und zeichnete sich durch besagte Quotenflops nicht dadurch aus, schwache Showkonzepte mit seiner Moderation zu retten. Dennoch machte sein Engagement Sinn: Erstens war Gätjen als Mann der ProSieben-Familie schnell verfügbar, zweitens zeichnete ihn eine umfangreiche Live-Erfahrung aus, die im heutigen TV-Geschäft Gold wert ist. Da «Schlag den Raab» eine der letzten großen Live-Shows ist, dürfte ihm dieses Attribut am meisten geholfen haben – unter anderem begann Gätjen seine Karriere wie Opdenhövel beim Musikfernsehen in den glorreichen 1990er Jahren. Schließlich drittens: «Schlag den Raab» ist nicht allzu stark auf den Moderator zugeschnitten, sondern lebt vom Konzept und Raab, was die Suche nach einer geeigneten Person erleichtert. Auch Gätjen selbst sprach davon, dass „die Show der Star“ sei.

Am 04. Juni 2011 gab Steven Gätjen seine Feuerprobe am Samstagabend. «Schlag den Raab» erreichte mit seiner bisher längsten Ausgabe (bis 01.30 Uhr in der Nacht) die besten Quoten des Jahres. 30,4 Prozent der jüngeren Zuschauer sahen seinen Moderations-Einstand und einen Stefan Raab, der sich bei einem Spiel den Finger verletzte und behandelt werden musste. Diese herausfordernde Live-Situation, wie auch den gesamten Abend, meisterte Gätjen souverän und unaufgeregt. Viele Zuschauer waren von ihm positiv überrascht, weshalb nicht zuletzt deswegen die Einschaltquote so gut gewesen ist. Der neue «Schlag den Raab»-Mann trat so auf, wie im Vorfeld von ihm zu erwarten war: cool, ohne erkennbare Nervosität, einigermaßen unterhaltsam, aber auch zu kühl und wenig schlagkräftig. Gätjen präsentierte sich als das personifizierte Gegenteil von Opdenhövel, brachte damit aber auch neue Facetten in die Show ein, die immerhin schon seit fünf Jahren ausgestrahlt wird.

Die guten Einschaltquoten der Premiere waren das beste Argument dafür, Steven Gätjen auch den Ableger «Schlag den Star» moderieren zu lassen: So war die dritte Staffel der Promi-Variante im August und September ebenfalls unter ihm zu sehen. Die Einschaltquoten verzeichneten dabei einen deutlichen Rückgang von 17 Prozent Marktanteil auf diesmal durchschnittlich 12,6 Prozent. Bei «Schlag den Raab» lief es im September und Oktober ebenfalls schlechter: Jeweils 22,3 Prozent wurden bei den werberelevanten Zuschauern zwischen 14 und 49 Jahren gemessen. Allerdings musste ProSieben an diesen Abenden auch gegen die RTL-Castingshow «Das Supertalent» antreten.

Wie gut – oder schlecht – sind diese Zahlen also? Für «Schlag den Raab» sind Marktanteile von etwas mehr als 20 Prozent zwar nicht mehr ungewöhnlich, aber auch nicht stark. War die ProSieben-Show gegen das «Supertalent» noch unter Matthias Opdenhövel erfolgreicher? Im Jahr 2010 gab es am 16. Oktober ein direktes Duell, bei dem «Schlag den Raab» 20,1 Prozent Marktanteil bei den Werberelevanten holte – also noch weniger als bei Gätjen. Am 18. Dezember traten die Show-Giganten noch einmal aufeinander; hier holte das ProSieben-Format 21,1 Prozent gegen Bohlen. Unter Opdenhövels Nachfolger haben die Einschaltquoten gegen die RTL-Show also keineswegs abgenommen, sondern sind sogar minimal geklettert.

Steven Gätjen hat im zweiten Halbjahr 2011, nach mehr als einem Jahrzehnt glückloser Primetime-Erfahrungen, den großen Sprung auf der Karriereleiter gemacht. Opdenhövels schneller Abgang war seine Chance, die er genutzt hat, um sich als Primetime-Star zu etablieren – ungeachtet seiner etwas unterkühlten Moderation, die mehr Witz vertragen könnte. Dass dieser Mann zu Raabs verrückten Shows passt, hätte wohl niemand gedacht. Aber nicht nur «Schlag den Raab» funktioniert mit Gätjen, sondern auch die Sport-Events, deren Moderation er übernehmen durfte – mit Licht und Schatten: Im Oktober holte die «Stock Car Crash Challenge» (gegen «Wetten, dass..?» und «Das Supertalent») die schwächsten Zuschauerzahlen seit Jahren. Einen Monat später konnte das «TV Total Turmspringen» aber unter Gätjens Moderation die besten Marktanteile seit 2008 erreichen.

Das Jahr 2011: Neben Joko und Klaas ist Steven Gätjen einer der wenigen großen Gewinner im Fernsehgeschäft. Bis Mitte des Jahres war dieser Mann bei vielen Zuschauern ein völlig unbeschriebenes Blatt, doch der Moderationswechsel von Opdenhövel zu ihm gelang – für viele überraschend gut. Die Einschaltquoten von «Schlag den Raab» und weiterer «TV Total»-Events bewegen sich in dem Rahmen, die auch vor seiner Moderation eingefahren wurden. Damit sind Raab und ProSieben mehr als zufrieden. Lediglich «Schlag den Star» musste unter ihm viele Marktanteile abgeben. Dennoch ist Steven Gätjen in diesem Jahr zum Primetime-Gesicht aufgestiegen, der eine der größten Herausforderungen des deutschen Fernsehens meistert, nämlich: wichtige Live-Samstagabendshows souverän zu moderieren. Und sein Vorgänger? Matthias Opdenhövel darf sich seit Juli im Ersten austoben, am Samstagvorabend mit der «Sportschau», bei Live-Fußballübertragungen am Spielfeldrand mit Mehmet Scholl oder beim Skispringen an der Schanze. Ob er die Reibereien mit Stefan Raab, die Live-Herausforderung am Samstagabend und die große Showbühne mittlerweile vermisst?
05.12.2011 10:03 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/53626