«Entführt»: Der Duane Chapman von RTL ermittelt

Norbert Idel geht bei RTL auf Verbrecherjagd – er soll die entführte Tochter von Sofia finden.

Jeder halbwegs verzweifelte Nachtschwärmer hat schon einmal von Duane Chapman gehört, in der Fernsehkultur besser bekannt als «Dog, der Kopfgeldjäger». Der zwielichtige Hüne jagt in der nach ihm benannten Reality-Doku zu nächtlicher Stunde mitsamt seiner Sippe Drogendealer und Kleinkriminelle in den USA, nach Deutschland gebracht von RTL II und in unregelmäßigen Abständen als Lückenfüller programmiert. Der große Bruder RTL hat sich jetzt seinen eigenen Duane Chapman gebastelt, der in der deutschen Ausgabe weit weniger spektakulär Norbert Idel heißt und von RTL nicht als Kopfgeldjäger, sondern als Privatdetektiv eingeführt wird. Mit Goldkettchen und Protzuhr, Kippe und schwarzer Sonnenbrille kommt er Chapman zumindest im Ansatz nah. Doch wer Idel wirklich ist, bleibt strittig: Die Website seines Unternehmens war bis zum Artikelschluss nicht erreichbar, bei «Johannes B. Kerner» saß er im Jahr 2007 noch als Fachmann für Versicherungsbetrug auf der Couch.

Letztendlich ist es auch egal, welche offizielle Bezeichnung sich Idel gibt, denn im Grunde genommen haben Chapman und Idel einiges gemeinsam: Beide führen durch eine Reality-Soap, die vor Plattheiten und Konstruktionen nur so wimmelt. «Entführt – Gib mir mein Kind zurück!» hat RTL ganz pragmatisch seinen neusten Programmzuwachs betitelt, der am geschichtlichen Mittwochabend in einer Reihe mit der «Super-Nanny», und dem «Urlaubsretter» steht – allesamt keine Formate, die durch Qualität oder Information glänzen. «Entführt» fügt sich deshalb umso besser den Erwartungshaltungen des Publikums, denn außer viel heißer Luft und Drama wird kaum etwas geboten. Dabei ist die Thematik eigentlich nicht dazu geeignet, sie mit Pomp zu verheizen: Die 28-jährige Sofia hat sich nach der Trennung von ihrem Ehemann Hossam das Sorgerecht für ihre damals zweijährige Tochter Hannah erstritten, doch Hossam entführt das gemeinsame Kind erst nach Ägypten und dann in die USA.

Obwohl auch internationale Behörden nach Hannah fahnden, verliert sich die Spur des Mädchens alsbald. Der Zeitpunkt für Norbert Idel ist gekommen, als Sofia in ihrer ganzen Verzweiflung RTL einschaltet. Routinemäßig inspiziert der Privatdetektiv die letzten bekannten Aufenthaltsorte Hannahs, findet nach 18-monatiger Abwesenheit überraschenderweise aber keine Spuren. Nachbarn, Freunde, Familienmitglieder werden befragt, „moderne Observationstechnik, die in unauffälligen Alltagsgegenständen eingebaut ist“, verwendet – bis Idel bemerkt, dass Hossam Verwandte in den USA hat. Flugs entdeckt er in Fort Lauderdale die vermeintliche Hannah, doch Sofia kann das Mädchen nicht als ihre Tochter identifizieren. Die Ermittlungen scheinen festzustecken, doch da meldet sich eine alte Freundin Hossams bei Idel – wie sie ihn gefunden hat, warum sie nicht zur Polizei geht und warum sie sich erst nach so langer Zeit meldet, ist unklar.

Doch ihre Informationen helfen, Hannah und ihren Vater in den USA aufzuspüren, während RTL daheim in Deutschland noch rührselig den vierten Geburtstag der Tochter in Abwesenheit zelebriert, samt Geburtstagskuchen, Babyschuhen und Lieblingskuscheltier. Was folgt, ist eine gerichtliche Auseinandersetzung, die alsbald in einem Happy End für Sofia und Hannah endet. Dramaturgisch allerdings ist das neue RTL-Format höchst fragwürdig, nicht wirklich spannend und abermals mitleidstriefend und herzzerreißend inszeniert – selbst vor der vierjährigen Hannah macht das Kamerateam nicht Halt. Im Endeffekt ist «Entführt – Gib mir mein Kind zurück!» bloß eine weitere typische RTL-Reality-Soap ohne Mehrwert, doch die Produktion scheint so spannend und nervenzerreißend gewesen zu sein, dass man sich folgenden Hinweis am Ende nicht verkneifen konnte: „Aus ermittlungstaktischen Gründen mussten einige Szenen an Originalschauplätzen nachgedreht werden.“ Chapeau!
24.11.2011 12:00 Uhr  •  Jakob Bokelmann Kurz-URL: qmde.de/53429