First Look: «Hell on Wheels»

Dreckig, blutig, tödlich - die neue US-Serie ist ein überzeugender Western nach heutiger Definition. Wenn die Zuschauer denn bereit sind für eine langsame Erzählweise.

Es wird wahrscheinlich eine Weile dauern, bis der TV-Western allgemein von den Zuschauern wieder akzeptiert wird. Qualitatives Storytelling und Charakterstärke hin oder her, der Western wird hauptsächlich von älteren Zuschauern geguckt. Und hier müssen die TV-Sender sich im Klaren sein, welches Klientel sie vor die Bildschirme bekommen, und bei welcher Zielgruppe es Schwierigkeiten geben wird, diese zum Einschalten zu bewegen. Mit «Hell on Wheels», der neuen Serie von AMC, gibt es jedoch eine Serie, die nicht nur das Genre wiederbeleben, sondern auch die jungen Zuschauer zu einem alteingesessenen Programm anlocken könnte. Die qualitativen Elemente sind vorhanden; mit einem starken Cast wird nicht gekleckert; der dreckige Look passt regelrecht zu einem Kabelsender, der nach anspruchsvollen Serien sucht; und selbst das langsame Erzähltempo der Pilotfolge erinnert an das komplette AMC-Lineup. «Hell on Wheels» sollte theoretisch die perfekte Serie für den Sender sein.

1865: Der Bürgerkrieg ist zu Ende, Abraham Lincoln wurde getötet, die amerikanische Nation befindet sich vor einer ungewissen Zukunft. Auf dem steinigen Weg der Vergeltung befindet sich der ehemalige Konföderationssoldat Cullen Bohannan (Anson Mount), der während des Krieges seine Frau verlor und nun auf Rache aus ist. Sein Pfad führt ihn zur Erbauung der transkontinentalen Eisenbahn und ihrer wandernden, gesetzlosen Stadt von Sklaven, Geschäftsmännern und Männern, die nach einer glorreichen Zukunft suchen – genannt „Hell on Wheels“. Während Cullen seinen Racheplan vollzieht, wird die Konstruktion des Gleises, geleitet vom egoistischen und manipulierenden Thomas Durant (Colm Meaney), vom einem Stamm der Cheyenne-Indianer angegriffen, deren Land von der neuen Eisenbahn zerstört werden soll.

«Hell on Wheels» ist wie gemeißelt für AMC. Genauso wie «Mad Men», «Breaking Bad» und «Rubicon» hat auch die Westernserie eine langsame Erzählweise, welche mehrere Zuschauer abschrecken könnte, und verdeutlicht zu Beginn der Serie nicht, worum es eigentlich gehen soll. Viele Storyelemente werden in die Geschichte geworfen, doch gelingt es wirklich keinem, sich ausgiebig zu entwickeln, um einen Sinn für das große Ganze der Serie zu bekommen. Ein Problem stellt dies jedoch nicht dar, da die facettenreichen Charaktere Grund genug sind, um der Serie eine Chance zu geben. Auch wenn es hier hin und wieder Mängel gibt, zeigt «Hell on Wheels», dass es nicht nur ein Western sein will, sondern eine dreckige, blutige, tödliche Angelegenheit für alle Charaktere. Denn auch hier zeigt sich wieder einmal, dass der "Alte Westen" grob und düster ist.

Dass die Story dabei nicht unbedingt in Fahrt kommt, ist nicht negativ zu betrachten, aber es zeigt, dass AMC als Sender nicht daran interessiert ist, eine tempogeladene Serie im Programm zu haben, und dass sie von ihren Zuschauern viel Sitzfleisch abverlangen. Im Fall von «Hell on Wheels» braucht es seine Zeit, bis Cullen seine Gründe für seinen Aufenthalt mit der transkontinentalen Eisenbahn verrät, und die Episode benötigt die komplette Laufzeit, um den Zuschauern am Ende des einstündigen Erlebnisses ein Bild des Geschehens im Jahre 1865 zu geben. Es geht nicht nur darum, wie die Nation nach dem Ende des Bürgerkrieges sich langsam aber sicher aufrappelt, sondern auch um die Amerikaner selbst, die nach dem Krieg den Sinn des Lebens verloren haben und nach ihrer persönlichen Zukunft suchen. Nach einer Stunde ist man zwar in der Lage, in die Zeit nach dem Bürgerkrieg einzutauchen, doch der geringe Anteil innerhalb der Storys in der Premiere lässt nicht darauf hoffen, dass es in den anschließenden Folgen etwas schneller vonstatten gehen wird. Wenn die Charaktere allerdings so interessant bleiben und auf ihre Weiterentwicklung pochen, ist es völlig egal, wenn «Hell on Wheels» sich im Schneckentempo fortbewegt.

Die Serie machte im Piloten auch klar, worum es wirklich geht: Die Charaktere sind das Mittel zum Zweck, ihre Reise von einem Entwicklungspunkt zum anderen, die Aufmachung der Episodengeschichten, ihre Entwicklung das Ergebnis ihrer Taten. Und «Hell on Wheels» hat sogar den Vorteil, nicht auf einem Bezahlsender zu laufen, wie es bei «Deadwood» der Fall war. Somit sind die Produzenten und Autoren gezwungen, sich auf die Charaktere und ihre Storys zu fokussieren, ohne diese mit Obszönitäten, blutiger Gewalt und nackter Erotik übertrieben wirken zu lassen. Cullen kommt wie gewohnt für eine AMC-Serie als Antiheld herüber, der zwischen Gut und Böse tanzt, und wahrscheinlich für beide Lebensweisen Gründe finden wird, diese vollständig auszuleben. Als Antagonist macht Thomas Durant eine gute Figur, auch wenn es nicht schaden würde, ihm etwas tiefere Charaktereigenschaften zu geben, während der in Freiheit entlassende Sklave Elam (Common) einen triftigeren Grund für seine Angepisstheit haben sollte, bevor dieses Element seine Charakterentwicklung im Sand verlaufen lässt.

Einige der Charaktere kommen allerdings zu kurz. Lily Bell (Dominique McElligott) bekam keine Charaktermomente spendiert, stattdessen war ihre Story nur dazu da, die langsam erzählte Episode mit etwas Action und Thrill aufzupeppen. Tom Noonan als Reverend Nathaniel Cole hatte sogar noch weniger beizusteuern, was seinen Charakter am Ende sogar nutzlos erscheinen lässt. Hier wäre es sicher von Vorteil gewesen, mit Rev. Cole den Ballast aus der Pilotfolge zu entfernen, um den weitaus interessanteren Charakteren mehr Sendezeit zu geben. Das hätte auch eine bessere Fokussierung auf das allgemeine Geschehen der Story zur Folge gehabt.

Visuell betrachtet ist «Hell on Wheels» selbstredend eine Augenweide. Es ist anzusehen, dass die Produzenten die Zeit der 1860er in eine dreckige und gesetzlose TV-Serie transformieren wollen, und Landschaftsaufnahmen in der Totale sind immer wunderschön anzusehen. Die Ausstattung, Kostüme, die Location... das hilft teilweise auch als Mittel gegen die etwas langsamere Erzählweise, jedoch sollte in den zukünftigen Episoden mehr Wert auf die kleineren Aspekte der Serie gelegt werden, um die Zuschauer überzeugen zu können. Am Ende ist «Hell on Wheels» nämlich ein wenig unsicher über sein eigenes Genre und versucht stattdessen, alles an Anspruch und Qualität in die Episode zu packen, dass die Serie förmlich nach AMC riecht. Was auch bedeutet, dass sie keinen eigenen Ton oder einen einzigartigen Blick auf die Zeit nach dem Bürgerkrieg bietet – auch ein Problem, welches am besten vergessen wird, wenn die Autoren schnell ihren Erzählstil finden und auf die Episoden anwenden.

TNT Serie zeigt das Format ab Mittwoch, 30. Januar 2013 immer um 20.15 Uhr. Dieser Artikel erschien erstmals zum US-Start des Formats im November 2011.
30.01.2013 10:00 Uhr  •  Christian Wischofsky Kurz-URL: qmde.de/53078