Der Fernsehfriedhof: Alles außer Esoterik

Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 154: Der Mystery-Hokus-Pokus von Jörg Draeger.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir des feinen Unterschieds zwischen Mystery und Esoterik.

«Mysteries» wurde am 31. März 1997 bei RTL geboren und entstand zu einer Zeit, als Dank des US-Imports «Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI» der Mystery-Zug mit voller Kraft durch Deutschland raste, bei dem vor allem der Sender ProSieben am Steuer saß. Doch Konkurrent RTL versuchte, auf diesen nicht nur aufzuspringen, sondern an ihn noch weitere eigene Wagons anzuhängen, denn innerhalb weniger Monate brachte das Unternehmen gleich drei große Projekte auf die Strecke. Dazu zählte eine aufwendige Verfilmung der Grusel-Buchreihe «Geisterjäger John Sinclair» sowie die selbstproduzierte Serie «Operation Phoenix – Jäger zwischen den Welten» , die eine nahezu identische Kopie der amerikanischen X-Akten darstellte. Schließlich hob man noch ein Magazin aus der Taufe, das im Gegensatz zu den übrigen Produktionen anstatt von fiktiven Geschichten, von echten übersinnlichen Phänomenen handeln sollte. Gezeigt wurden daher paranormale Erscheinungen, die (nach eigenen Angaben) mit der normalen Logik und Wissenschaft nicht zu erklären waren. In einer offiziellen Ankündigung hieß es entsprechend: „Erleben Sie Dinge zwischen Himmel und Erde, die niemand für möglich hält.“

Als Aushängeschild konnte dafür der damals durch seine tägliche Gameshow «Geh aufs Ganze» populäre Moderator Jörg Draeger vom Wettstreiter Sat.1 abgeworben werden, der nun durch die einstündige Sendung und die darin gezeigte Ansammlung mysteriöser Kuriositäten führen sollte. Er selbst gestand im Vorfeld offenherzig, zu RTL gewechselt zu sein, ohne dass dort bereits ein konkretes Konzept vorgesehen gewesen wäre. Ihm wären lediglich ein Infotainment-Format und eine große Abendshow versprochen worden. Erst nach Vertragsabschluss habe man die Idee für die Mystery-Reihe entwickelt. Auslöser dafür war angeblich eine Meldung, nach der eine Frau, vorab den Selbstmord ihres 150 Kilometer entfernten Ex-Mannes geträumt hätte. Dies schien für Draeger und sein Team derart beeindruckend gewesen zu sein, dass sie beschlossen, solche und ähnliche Vorkommnisse künftig vorstellen zu wollen.

Allerdings scheute sich Draeger vehement, den Stempel „Esoterik“ dafür aufgedrückt zu bekommen und kämpfte mit aller Kraft gegen derartige Formulierungen. „Das ist genau das, was wir überhaupt nicht wollen! [...] Wir gehen ernsthaft journalistisch an solche Phänomene heran. Bei uns gibt's keine verbogenen Löffel, keine Sekten, schon gar keine UFOs", erklärte er gegenüber der Berliner Zeitung. Wirklich ernsthaft kann er diese Ankündigung nicht gemeint haben, denn die ausgestrahlten Episoden quollen vor genau solchen Gestalten über. Unter anderem berichtete man über eine Anwaltsgehilfin, die für eine Hexe gehalten wurde oder über unheimliche Bilder lachender Kinder, die ihren Besitzern Unglück brachten. Es gab darüber hinaus einen nichtverwesenden Ritter, der in einem kleinen Brandenburger Örtchen sein Unwesen trieb und noch weitere ruhelose Tote, die lebende Menschen zu ihren Unfallstellen leiteten. Natürlich durften in diesem Sammelsurium keine Personen fehlen, die behaupteten, von Außerirdischen entführt worden zu sein. Für besonders viel Aufregung sorgte außerdem der Besuch des selbsternannten Re-Inkarnationstherapeuten Trutz Hardo, der Jörg Draeger und ein Dutzend Kandidaten vor laufenden Kameras in ihre jeweiligen Leben zurückführte.

Inhaltlich war von der versprochenen Seriosität damit wenig zu bemerken und auch die ästhetische Umsetzung erinnerte eher an Geisterbahnen auf der Kirmes als an ernsthaften Journalismus. In den Einspielfilmen gab es tonnenweise Kunstnebel, schiefe Kameraeinstellungen, lange Schatten, dramatische Musik und einen drückenden Off-Kommentar, der die Ereignisse vortrug, als würde er eine Gruselgeschichte vorlesen. Schon im zugehörigen Trailer waren in entsättigten Bildern das Rauschen eines Fernsehers, ein selbstöffnendes Fenster sowie mehrere Augenpaare in Großaufnahme zu sehen. Kurz, man bediente sich sämtlicher Spuk-Klischees und Grusel-Tricks, die man in den klassischen Horrorfilmen der frühen Filmgeschichte finden konnte. Wenig überraschend halfen solche billigen Effekte nicht, die Sendung aus dem Bereich der Esoterik herauszuziehen und als ernstzunehmendes, journalistisches Format zu etablieren. Dazu kam, dass die befragten Experten aus der Wissenschaft und ihre Erklärungen oft nur kurz zu Wort kamen. Stattdessen erhielten Scharlatane, Hellseher und andere Geschöpfe ein Podium, um ihre Gesinnungen zu verbreiten.

So recht überzeugt von dem zu erwartenden Ergebnis war die Chefetage von RTL offenbar nicht, denn man ließ zunächst eine einzelne Testepisode produzieren, die am Ostermontag um 19.10 Uhr gezeigt wurde. Als diese akzeptable Sehbeteiligungen verbuchen konnte, folgte der Auftrag weitere Ausgaben herzustellen, die ab Juli das schwächelnde «Schreinemakers TV» in der Sommerpause am Donnerstagabend um 22.15 Uhr vertraten. Auf diesem Sendeplatz konnten all die Poltergeister und Hellseher allerdings noch weniger überzeugen, sodass nach der kurzen ersten Staffel keine weiteren Ausgaben mehr folgten. Dass sich der Mystery-Boom nicht beliebig ausweiten ließ, musste zuvor schon ProSieben schmerzhaft erfahren, denn nur wenige Tage vor dem Start von Draegers Geisterkabinett stellte man dort die inhaltlich ähnlich ausgerichtete Reihe «Talk X» nach nur wenigen Wochen ein.

«Mysteries» wurde am 21. August 1997 beerdigt und erreichte ein Alter von insgesamt neun Folgen. Die Show hinterließ den Moderator Jörg Draeger, der an diesem Flop dennoch gut verdient haben soll. Gerüchten zufolge hätte er für den nicht vollständig ausgeführten Vertrag hohe Ausfallzahlungen erhalten. Ab 1999 übernahm er wieder den Klassiker «Geh aufs Ganze», der zwischenzeitlich eingestellt und nun von Kabel eins reaktiviert wurde. Nach dessen erneutem Ende im Jahr 2003 tauchte Draeger kurzzeitig bei 9Live in ähnlichen Formaten auf. Im Sommer 2011 feierte er mit dem Hypnose-Event «Ich weiß, was Du letzten Freitag getan hast» bei RTL II ein zweifelhaftes Comeback. Dies war dann nicht das erste Mal, dass er mit Hypnose zu tun hatte, denn bereits bei «Mysteries» versuchte einer seiner Gäste, ein Kaninchen in Trance zu versetzen. Wenn das kein seriöser Journalismus ist...?

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann dem wohl kultigsten und trashigsten TV-Movie aller Zeiten.
08.09.2011 09:00 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/51883