Die Kritiker: «Sherlock – Ein Fall von Pink»

Handlung
Innerhalb von wenigen Tagen werden in London vier Tote aufgefunden, die offenkundig durch Selbstmord ihr Leben verloren. Doch die Suizide weisen eine Reihe von seltsamen Übereinstimmungen auf: Alle Personen haben auf die gleiche Weise Selbstmord begangen, alle vier wurden an Orten aufgefunden, zu denen sie keinerlei Bezug hatten und alle hatten keinen offensichtlichen Grund für einen Suizid. Inspector Lestrade von Scotland Yard steht vor einem Rätsel, doch sein Instinkt sagt ihm, dass die Toten eine Verbindung aufweisen.

Um seine Theorie zu beweisen, ruft er den Spezialisten für scheinbar unlösbare Fälle zu Hilfe: Sherlock Holmes, das geniale wie undurchschaubare Genie, soll der Polizei assistieren. Gemeinsam mit Militärarzt und Afghanistan-Veteran Dr. John Watson, den er über einen gemeinsamen Freund gerade erst als Mitbewohner in sein Apartment in der Baker Street aufgenommen hat, macht er sich an die Arbeit. Schnell steht fest: Ein perfider Serienkiller bringt seine Opfer dazu, Selbstmord zu begehen ohne je Spuren zu hinterlassen. Doch wer kann so genial sein, selbst Sherlock Holmes vor ein Rätsel zu stellen?

Darsteller
Benedict Cumberbatch («Abbitte») ist Sherlock Holmes
Martin Freeman («The Office») ist Dr. John Watson
Rupert Graves («V wie Vendetta») ist Detective Inspector Lestrade
Una Stubbs («Till Death...») ist Mrs. Hudson
Mark Gatiss («Starter for 10») ist Mycroft
Louise Brealey («Mayo») ist Molly Hooper
Vinette Robinson («Doctor Who») ist Sergeant Sally Donovan
Jeff Philip («Mittendrin und voll dabei») ist Davis
Jonathan Aris («Being Human») ist Anderson
Lisa McAllister («New York für Anfänger») ist Anthea
Tanya Moodie («Die rote Verschwörung») ist Ella
Siobhan Hewlett («Torchwood») ist Helen
William Scott-Masson («Kommissar Wallander») ist Sir Jeffrey Patterson
Victoria Wicks («Doctor Who») ist Margaret Patterson
Sean Young («Schatten der Leidenschaft») ist Gary

Kritik
Gewiss, mit dem stets in Anzug und Krawatte gekleideten, akkurat frisierten Gentlemen mit der obligatorischen Pfeife und dem brillanten Verstand kann sich ein moderner Verfechter des Rechts, ein rationaler Querdenker, das Genie der heutigen Zeit nicht mehr identifizieren. Doch Sherlock Holmes, einer der größten Detektive der Literaturgeschichte, kann auch in einer modernen BBC-Neuinterpretation bestehen. Statt schlechter urbaner Karikatur einer großen literarischen Figur wurde eine zeitgemäße Adaption in Form einer Miniserie geschaffen, die Arthur Conan Doyle, den Erfinder des Londoner Genies, stolz machen würde. Denn auch wenn sich die äußeren Umstände verändert haben: Im Herzen schlägt beim modernen Sherlock Holmes der selbe große Geist, die selbe Brillanz, die selbe Kombinationsgabe und die selbe Ungestümtheit, die Doyle einst seinem Detektiv auf den Leib schrieb.

Hinter dieser großartigen Leistung stehen zwei ebenso große Namen: Der Drehbuchautor Steven Moffat, der für den modernen Klassiker «Doctor Who» arbeitet und mit «Jekyll» bereits bewiesen hat, dass er vor jahrhundertealter Weltliteratur nicht zurückschreckt, und der Schauspieler sowie Drehbuchautor Mark Gatiss, der bei «Doctor Who» sowohl schauspielerischen als auch schreiberischen Anteil hat, zeichnen für die Neuinterpretation des Stoffes verantwortlich. Aus der geordneten Frisur wurde ein Wuschelkopf, aus dem Notizblock wurden ein MacBook und ein Handy, aus Kutschen wurden Taxis, aus der Pfeife wurden Nikotinpflaster ("Man kann im heutigen London kein normales Raucherleben mehr führen"), aus dem Anglo-Afghanischen Krieg wurde der Afghanistan- Einsatz. Doch die Essenz ist geblieben: Sherlock Holmes ist auch in der modernen Adaption ein genialer Exzentriker, Dr. Watson ein pragmatischer Militärarzt und sein kongenialer Mitstreiter. Die Fälle sind höchst verstrickt und spannend, doch nicht frustrierend.

Doch ein gutes Drehbuch allein reicht nicht aus, um aus einem Klassiker einen zeitgemäßen und qualitativ hochwertigen Film zu machen. Und so leistet das mit größter Sorgfalt ausgewählte Schauspielensemble einen ebenso großen, wenn nicht sogar den entscheidenden Anteil: Benedict Cumberbatch, bekannt aus «Abbitte», verkörpert Sherlock Holmes mit einer Spielfreude, die in Fernsehproduktionen dieser Größenordnung selten zu sehen ist. Größenwahnsinnig, grotesk, genial charakterisiert und doch typisch britisch-sympathisch macht es einen Heidenspaß, Cumberbatch beim Spielen zu beobachten. Ein Hochgenuss ist auch die schauspielerische Leistung von Martin Freeman, der bereits in der «Stromberg»-Vorlage «The Office» brillierte: Mit zurückhaltender Ruhe und einem angenehmen Understatement schafft es Freeman, den Charakter des im Afghanistan-Krieges verwundeten Dr. Watson lebhaft auf die Leinwand zu bannen. Darüberhinaus haucht das Zusammenspiel dieser tollen Schauspieler dem vielleicht bekanntesten Duo der Krimialliteratur eine Dynamik ein, die den Vergleich mit der Vorlage in keinster Weise scheuen muss.

Da versteht es sich fast von selbst, dass die Produktion mit Liebe zum Detail, jeder Menge Humor und einer angenehmen Spannungskurve den Tabak in der Pfeife stellt. Von auf dem Bildschirm eingeblendeten SMS bis hin zu aberwitzigen Verfolgungsjagden durch London harmonieren produktionsästhetische und dramaturgische Elemente perfekt; Szenen wie die, in denen Holmes während einer Pressekonferenz allen anwesenden Journalisten per SMS mit dem Wörtchen «Falsch» mitteilt, dass die Polizei sich erneut auf Abwegen befindet, sind programmatisch für den schwarzen Humor des modernen Sherlocks. Dabei hätte der Sprung vom 19. ins 21. Jahrhundert ohne weiteres misslingen können, doch statt peinlichem Abklatsch ist eine filmische Adaption erster Güte entstanden, die jedem Liebhaber guter Unterhaltung gefallen wird. Dass bereits drei Folgen in Spielfilmlänge abgedreht sind und auch in Deutschland ausgestrahlt werden, wird Krimifans rundum glücklich machen.

Das Erste zeigt «Sherlock – Ein Fall von Pink» am Sonntag, den 24. Juli 2011, um 21:45 Uhr.
23.07.2011 10:21 Uhr  •  Jakob Bokelmann Kurz-URL: qmde.de/50971