«Helena Fürst – Die Anwältin der Armen»: Hör mal, wer da keift!

Helena Fürst kämpft für die Rechte von sanktionierten Hartz IV-Empfängern – ihre Berechtigung? Ihr Ego!

Im Jahr 2008, dem Jahr der Wahl Barack Obamas zum ersten afroamerikanischen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und der Olympischen Sommerspiele in Peking, aber auch dem Jahr der Steuerskandale, Bespitzelungen und der beginnenden globalen Finanzkrise, in einem Jahr, das zukünftig in den Geschichtsbüchern der Welt voll Staunen und Ehrfurcht wahrgenommen werden wird, trat eine Frau in das unwirtliche Rampenlicht der deutschen Öffentlichkeit, um die Nation zu retten: Helena Fürst, staatlich geprüfte Betriebswirtin, nahm von Sat.1 den Auftrag an, den Steuerzahlern der Republik Gerechtigkeit zu verschaffen. Geradezu «Gnadenlos gerecht» begab sich die Sozialfahnderin damals auf die Suche nach Sozialschmarotzern und Hartz IV-Betrügern. Daran ist erst einmal nichts auszusetzen, denn genauso wie es legitim ist, in einem Sozialstaat Leistungen zu empfangen, ist es auch legitim, die Bedürftigkeit der Empfänger zu prüfen.

Einzig mit der angemessenen Vorgehensweise hatte Frau Fürst so ihre Probleme, sah sie doch hinter jeder Ecke einen Betrüger, scherte sie dreist alle Empfänger von Sozialleistungen über den Kamm subversiver Subjekte. Ihre Tätigkeit als Sozialfahnderin gehörte nach nur vier Folgen denn auch schon wieder der Vergangenheit an, nachdem die Öffentlichkeit Sat.1 und der Betriebswirtin einen Strich durch Quoten- und Imagedividende gemacht hatte. Selbstgerecht mogelte sich die Gefallene anschließend durch Frühstücksfernsehen und Mittagsmagazine und distanzierte sich von ihrem ehemaligen Arbeitgeber, um im Jahr 2011 fulminant zurückzukehren: Nicht mehr als Rächer der Gerechten, sondern als Retter der Gehörnten darf die Sozialfahnderin a.D. in acht Folgen der großspurig betitelten Reality-Soap «Helena Fürst – Die Anwältin der Armen» ihr Ego polieren. Wäre man kleinlich, könnte man bemängeln, dass Frau Fürst weder Anwältin ist noch die wissenschaftliche Definition von Armut auf ihre Klienten zutrifft – aber sei‘s drum.

Denn im Gegensatz zu diesen geringen Schönheitsfehlern gibt es ein viel größeres Problem mit dem neuen Beratungsformat auf RTL: Es ist beängstigend, wie Menschen vorgeführt und für eine Sendung ausgenutzt werden, die nicht einfach mit einem Schulterzucken abgetan werden kann. Was RTL hier präsentiert, ist ein wirres Feuerwerk aus populistischem Geschwätz zur besten Sendezeit, angeführt von einer sich selbstbeweihräuchernden und dreisten Frau Fürst. Als allwissende Hartz IV-Expertin besucht sie Menschen, denen die Leistungen gestrichen wurden, lässt aber gerade bei einem so polarisierenden Thema jegliche Sensibilität vermissen. Da wird in ihrem ersten Fall von «Behördenwillkür» schwadroniert, weil seit fünf Monaten keine Zahlungen mehr eingegangen sind und der Besuch des Jugendamts wird zur akuten Bedrohung stilisiert, kommentiert in bester «Lenßen und Partner»-Manier: «Plötzlich nähert sich eine dunkelhaarige Frau dem Haus», ist aus dem Off zu hören, als die Mitarbeitern des Jugendamts zum vereinbarten Termin erscheint. «Sie kommt, sie kommt, sie kommt!», schreit Fürst, versteckt im Auto sitzend, «sie klingelt, das ist sie!», um dann die Zeit zu stoppen und zu verkünden: «Sie war anderthalb Stunden in der Wohnung, ganz schön krass!».

Dass die betroffenen Eltern, unterwürfig als Daniela und Sascha eingeführt, die Mitarbeiterin als sympathisch bezeichnen, wird von Menschenkennerin Fürst als taktisches Manöver angeführt: «Die will ja was von Ihnen. Die nehmen Ihnen die Kinder weg!» Da verkommt es nur noch zu einer Randnotiz, dass das sich an diese Unterstellung anschließende Tränenmeer von RTL mit passender Musik und Zeitlupenzoom auf weinende Mutteraugen honoriert wird. Derlei Szenen sind symptomatisch für das Format, denn die Betriebswirtin der «Armen» bringt Konfrontationen statt Lösungen und Krawall statt sachlicher Diskussion mit sich. Es wird gekeift, gewettert und gepöbelt, ohne dass der Zuschauer jemals erfährt, warum die Familie auf einmal keine Leistungen mehr erhält. Daniela wird nahegelegt, sich von Sascha zu trennen, Saschas Bewerbung wird ob eines Knicks in der Luft zerrissen. Auch wenn diverse Kritik sicherlich zurecht geäußert wurde, sehen pädagogische Ansätze anders aus. Unerträglich ist außerdem die allgegenwärtige Selbstdarstellung und Selbstgerechtigkeit von Helena Fürst, die sich zum Star ihrer eigenen Sendung herausputzt, Vier-Augen-Gespräche auch gerne mal anhand eines «Original-Gedächtnisprotokolls» nachstellt und tapfer gegen die bösen Behörden und unfähigen Beamten ankämpft.

Eine derart unreflektierte, respektlose und menschenverachtende Sendung hat es im deutschen Fernsehen wohl noch nie gegeben, denn anders als Peter Zwegat oder Katja Saalfrank weiß die selbsternannte Hartz IV-Expertin in ihrer gesammelten Arroganz vor allem sich selbst zu profilieren. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht neu, denn im Vorfeld wurden potentielle Teilnehmer gewarnt: Harald Thomé, Geschäftsführer von Tacheles e.V., der sich für die Rechte und Interessen von Einkommensschwachen und Sozialhilfeempfängern einsetzt, riet vor dem Hintergrund des früheren Sat.1-Formats mit Helena Fürst von einer Zusammenarbeit ab; andere Beratungsstellen und Anwälte folgten seinem Beispiel. Es sei zynisch, dass Frau Fürst sich nun auf die Seite derjenigen schlage, die sie vorher sanktioniert habe, so der O-Ton. Vielleicht sollte auch RTL künftig Abstand halten von dieser verwirrenden Mischung unterschiedlichster Tränendüsenthematiken und wie von der «Anwältin der Armen» beschworen «Raus aus der Armut, zurück ins Leben» kehren. Ein toller Schlusssatz, mit dem es RTL bravourös gelungen ist, eine Sendung voller Pauschalaussagen und Dummheiten mit einer noch dümmeren und diffamierenderen Beleidigung enden zu lassen. Helena Fürst wird es freuen.
26.05.2011 14:00 Uhr  •  Jakob Bokelmann Kurz-URL: qmde.de/49868