360 Grad: Cheaters

Wenn Gebührengelder im Nichts versickern, haben sich nicht selten Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens an ihnen bedient.

Wenn etwas schief läuft, spricht man gerne von Einzelfällen. Ganz egal, ob bei Enron, der U.S. Army oder der katholischen Kirche. Dadurch kann man die Probleme bei den einzelnen handelnden Personen suchen und kommt umhin, grundsätzliche Strukturen und Abläufe zu überdenken. Die Lösung der Skandale ist ebenso denkbar einfach: Man entlässt das betroffene Personal und macht dann weiter wie gehabt.

Wenn wir uns den Veruntreuungssumpf im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der letzten Jahre ansehen, kann einem schon etwas mulmig werden, wie hier nicht selten mit Gebührengeldern umgegangen wird. So wurde 2009 bekannt, dass die damalige Fernsehspielchefin des NDR Doris Heinze jahrelang selbst geschriebene Drehbücher und Treatments oder Texte ihres Mannes unter falschem Namen eingereicht hatte, und sich somit beachtliche Summen erschlich, da ihr in ihrer Position für derartige Leistungen nur die Hälfte der üblichen Drehbuchhonorare zugestanden wären. Natürlich gab sich jeder im Sender schockiert, als der Skandal aufflog, obwohl es wohl, wie nähere Ermittlungen schließlich ergaben, einige Autoren und Regisseure gegeben haben soll, die davon wussten. Da Heinze ihr Umfeld jedoch fest im Griff hatte, und Autoren, mit denen es Debatten gab, meist nie wieder einen Auftrag erhielten, packte hier verständlicherweise niemand früher aus und sah zu, wie jahrelang Betrügereien ausgeheckt wurden. Festgefahrene Strukturen und eine kaum eingeschränkte Autorität mit weitestgehend fehlender Kontrolle haben Heinze ihre Umtriebe wohl erst ermöglicht.

Wenige Jahre zuvor, im August 2005, war bereits der damalige Sportchef des Hessischen Rundfunks Jürgen Emig fristlos entlassen worden, nachdem er bei Geschäften mit Werbetreibenden und Sportveranstaltern in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte. 2008 wurde er wegen Bestechlichkeit und Untreue zu einer Haftstrafe verurteilt, vor wenigen Tagen sprach ein Urteil des Frankfurter Amtsgerichts dem hr eine Schadenersatzzahlung von über einer Million Euro zu.

Im Dezember 2010 geriet schließlich auch der Ki.Ka ins Visier der Ermittler, nachdem der zweite Mann im Sender über das Vier-Augen-Prinzip jahrelang bis zu acht Millionen Euro veruntreut haben soll (Da Verfahren und Urteil gegen den mutmaßlichen Täter noch ausstehen, gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung.). Die veruntreuten Beträge fielen bei den Landesrechnungshöfen nach bisherigem Kenntnisstand wohl nie auf und erst als der Betrug schon in vollem Gange war, mahnten der hr und das ZDF den lachsen Umgang mit dem Vier-Augen-Prinzip beim Ki.Ka an. Das entsprechende Papier wurde vom beim Ki.Ka federführenden MDR dann lange Zeit nahezu vollständig ignoriert, und als man sich schließlich doch zu einer Umsetzung durchringen konnte, machte man den zu Kontrollierenden gleich zum Kontrolleur.

Dilettantismus und kaputte Strukturen scheinen also im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Deutschlands Betrug und Untreue Tür und Tor zu öffnen. Bei einer derartigen Häufung von Skandalen ist wohl mehr zu überdenken als das entsprechende Personal. Das Gremienwirrwarr und die häufig unumschränkte Autorität hochrangiger Executive-Muftis haben in allen Fällen in nicht geringfügigem Maße dazu beigetragen, die Schwindeleien überhaupt zu ermöglichen. Das Bild, das die Öffentlichkeit mittlerweile von den ARD-Anstalten hat, ist ein ernüchterndes: Entweder sind sie handlungsunfähig, weil ein Dutzend Gremien erst einmal darüber entscheiden muss, ob man den Bleistift jetzt anspitzt oder nicht, oder leitende Angestellte erweisen sich als korrupt und bereichern sich an Gebührengeldern. Löblicherweise beginnt man nun jedoch auch mit Strukturumbauten in den betroffenen Sendern. Es bleibt zu hoffen, dass diese ausreichen werden, um Korruptionsaffären dauerhaft zu verhindern und das Hin-und-her-Geschiebe von Kompetenzen sich nicht als ein Tropfen auf den heißen Stein erweisen wird. Wer schon Gebührengelder kassiert, muss mit ihnen auch verantwortungsvoll umgehen können. Dass ein Herstellungsleiter unbemerkt einen derart finanzierten Sender jahrelang um Millionen erleichtern kann, lässt das jedoch nicht einmal im Ansatz erkennen.

Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.
22.04.2011 00:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/49185