'Wir wollen eine Welt erzählen, für die es keine Bilder gibt'

Der ZDF-Fernsehfilm der Woche «Liebe deinen Feind» spielt in einem historisch verbrieften Setting an der Nordseeküste und erzählt die Geschichte der Sanitätshelferin Gesa (Wackernagel) in der britischen Besatzungszone im Nachkriegssommer 1945. Sie trifft sich heimlich mit ihrem auf dem Festland internierten ehemaligen Wehrmachtssoldaten Friedrich (Kampwirth), der jedes Mal durch die eisige Nordsee zu ihr schwimmt. Doch dann verliebt sie sich in den britischen Offizier Captain Simon (Sadler). Als ein Mord geschieht, gerät Friedrich unter Verdacht und ein Kampf um Gerechtigkeit in einer schweren Zeit beginnt. Wir sprachen mit den Schauspielern Katharina Wackernagel, Stephan Kampwirth und Benjamin Sadler sowie dem renommierten Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein über den Film.

Der Filmstoff in «Liebe deinen Feind» beruht in Teilen auf wahren Begebenheiten und spielt in einer historisch schwierigen Zeit. Wie nah an der Realität bewegt sich der Film?
Niki Stein: Das Drehbuch schrieb ich inspiriert durch die Erzählungen meines Vaters, der selbst als Wehrmachtssoldat in einem Internierungslager stationiert war und aus Langeweile zu einer Insel hinüberschwamm, die sich gegenüber des Lagers befand. Das war natürlich absolut verboten und die Briten waren auch sehr streng. Sie hatten gar Strafen bis hin zum Waffengebrauch angedroht, wenn man diese Internierungszone verlässt. Was auch noch stimmt, ist die Tatsache, dass ihn ein junger Soldat auf diesem meist nächtlichen Ausflug begleitet hat und auf dem Rückweg haben beide sich aus den Augen verloren. Mein Vater ist zurück im Internierungslager angekommen und der junge Soldat wurde drei Tage später tot am Strand angeschwemmt. Das war eine Sache, die meinen Vater stark mitgenommen hat. Darüber wurde deswegen auch kaum geredet. Nur indirekt wurde uns vermittelt, wie tief die Wunde doch ist. Als wir im Kindesalter mit ihm am Grab des umgekommenen Soldaten in der Gegend waren, konnte man deutlich spüren, wie sehr ihn das auch Jahre später noch berührt hat. Mein Vater war damals Leutnant und trug somit gewissermaßen die Verantwortung für den Soldaten. Doch diese wahren Begebenheiten waren für mich nur ein zusätzlicher Anstoß, vielmehr hat mich die Tatsache interessiert, dass damals rund 700.000 Soldaten in dem Internierungslager Eiderstedt/Dithmarschen, in dem unsere Geschichte spielt, untergebraucht waren. Für sie gab es nach dem Krieg keine Perspektive oder gar Hoffnung. Den Anlass den Film zu machen, hat mir ein Freund gegeben, der diese Geschichte von mir gehört hat und ein Buch schreiben wollte. Dann habe ich gesagt, lass uns doch mal über einen Film nachdenken.

Herr Sadler, auch Sie verbindet mit ihrer Rolle des englischen Offiziers Simon im Film eine familiäre Anekdote…
Benjamin Sadler: Ja. Meine Mutter ist Engländerin, mein Vater deutschstämmig. Dadurch sind gewisse Grundvoraussetzungen für die Rolle erfüllt – ein genetischer Fleckenteppich. Somit ist mir auch das Sitzen zwischen den Kulturen, was im Film letztlich zur Geltung kommt, nicht unbekannt. In einigen Fällen kann das auch sehr problematisch sein. Auch das war mir durch meine familiäre Geschichte nicht unbekannt.

Als dann das Drehbuch entwickelt wurde: Wie hat man sich den Entstehungsporzess der Geschichte vorzustellen?
Niki Stein: Wir haben natürlich sehr viel Dramatik und Schärfe in die wahre Geschichte hinein gebracht. Mein Vater ist zwar auch wegen des Verlassens der Internierungszone vor das Kriegsgericht gestellt worden, aber er sollte nicht die Todesstrafe bekommen. Er wurde letztlich zu Zuchthaus verurteilt. Die Strafe durfte er in einem Minenräumkommando ableisten, bei welchem fast jeder zehnte Soldat ums Leben kam. Die Geschichte ging für ihn noch glimpflich aus, ganz im Gegensatz dazu wie wir sie im Film erzählen. Mir war wichtig, das Thema klar zu benennen. Das ist in diesem Fall der Umstand, dass die Wehrmacht in der britischen Besatzungszone nach wie vor existierte. Die deutschen Soldaten wachten also gewissermaßen in einem System auf, das nach wie vor das alte war. Das lässt sich natürlich an der Gerichtsbarkeit am besten festmachen, so kamen wir zu jenem Gerichtsdrama, in dem sich die Protagonisten zum Ende des Films wiederfinden. Ein zentraler Punkt war die Frage: Wie kam der Rechtsstaat nach Deutschland? Das erzählen wir in komprimierter Form durch den englischen Offizier, der sich letztlich in einem weniger rechtsstaatskonformen Prozess wiederfindet und versucht den Indizienprozess einzuführen. Außerdem haben wir uns gefragt, welchen Grund ein Wehrmachtssoldat haben könnte, sechs Kilometer im Meer zu schwimmen und sich einer Gefahr auszusetzen. Da lag die Liebesgeschichte auf der Hand.

Sie kombinieren also eine Liebesgeschichte mit einem Gerichtsdrama?
Niki Stein: Das ist sozusagen ein Melodram, das in einem Gerichtssaal seine Auflösung findet, ja. Das ist nicht ungewöhnlich, da bin ich nicht der erste Regisseur, der diesen Weg geht. Aber in dem Fall merkt man schon die Akribie, die ich auf den Gerichtsfall angewandt habe, denn mir ging es letztlich darum, dieses Nichtzufassende, diese Pervertierung des Rechts darstellen. Dass das Recht Führerwille ist und nicht ethische Übereinkunft in Gesetzestexten. Das ist ja schon etwas schwer Verständliches und Unverdauliches. Vor der Tatsache, dass die meisten dieser Richter nahtlos in der Demokratie ihren Anschluss gefunden haben, war mir das wichtig, dies noch einmal zu erzählen.

Was ist der besondere Reiz an diesem Film?
Niki Stein: Der Anlass ist die Chance, eine Welt zu erzählen, für die es keine Bilder gibt. Eine Welt, die nur aus Erzählungen und am Rande der Geschichtsschreibung existent ist. Für Filmemacher ist das immer eine sehr dankbare Aufgabe, so etwas neu zu kreieren. Die Herausforderung liegt darin auch ein Bildklischee zu setzen. Denn um es nicht zum Klischee werden zu lassen, muss man sehr gut recherchieren. Es war auch eine Chance die Entstehung der Bundesrepublik aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten.

Benjamin Sadler: Mein Charakter im Film macht einen entscheidenden Schritt im Sinne der Gerechtigkeit, also für einen weltlichen, höheren Wert – und das war eine große schauspielerische Herausforderung. Außerdem wollte ich mit Niki Stein zusammenarbeiten. Noch dazu konnte ich die Zeit am Set mit zwei guten Freunden, Katharina Wackernagel und Stephan Kampwirth, verbringen. Somit war das ein voller Gewinn auf allen Fronten. Es war eine schöne Zeit.

Katharina Wackernagel: Das Drehbuch hat mir sehr gut gefallen. Der Charakter der Sanitätshelferin Gesa ist in diesem geschichtlichen Kontext und der versteckten Liebesgeschichte, durch die sie sich extrem entwickelt, sehr spannend beschrieben.

Stephan Kampwirth: Für mich war es der fünfte Film mit Niki Stein. Ich bin ein großer Fan, deswegen habe ich sofort zugesagt. Sehr spannend empfand ich bei meiner Rolle des internierten Wehrmachtssoldaten, der zu seiner geliebten Gesa sechs Kilometer im Meer schwimmt, die ausweglose Situation, der er ausgesetzt ist.



Wie lässt sich die Figurenkonstellation im Film beschreiben? Baut sie auf das Konfliktpotenzial?
Niki Stein: Wir suchten nach einem Konflikt, der aus den Umständen begründet war. Der eine darf Gesa nicht sehen, weil er eigentlich aus dem Internierungslager nicht weg kann. Der andere kann sie sehen, aber sein Status als britischer Offizier erschwert das Eingeständnis der ehrlichen Liebe enorm. Sehr schön zu erzählen ist hier auch das Überwinden der ideologischen Schwelle, was die einzige Möglichkeit darstellt, dass Gesa und der britische Offizier überhaupt zusammenkommen können.

Benjamin Sadler: Es gibt in meiner Figur des britischen Offiziers Simon immer einen Konflikt. Der Reiz war da, mit der Figur auf eine sehr emotionale Reise zu gehen. Simon versucht gewisse Widersprüche in sich zu vereinen. Das fand ich spannend: An eine Utopie zu glauben, ohne die es in meinen Augen auch keine bessere Zukunft geben kann, wenn man nicht bereit ist, dafür einzustehen. Captain Simon tut dies in komprimierter Form, was eben die Kraft der Fiktion ist.

Stephan Kampwirth: Gerade an der Figur des Wehrmachtssoldaten Friedrich war es sehr reizvoll mit diesen Konflikten umzugehen. Der Charakter hat im Krieg Tod sowie großes Elend erlebt und sieht nach Kriegsende keine Perspektiven mehr. Ihm ist sein eigenes Leben nicht mehr viel Wert, was auch der Grund dafür ist, dass er während dem Gerichtsprozess versucht Gesa heraushalten und sie schützen möchte. Man kann seine Situation als fatalistisch bezeichnen. Er sieht keine große Ungerechtigkeit mehr, ist am Boden zerstört und befindet sich in einem inneren Tunnel, lässt den Prozess über sich ergehen. Einzig hofft er, dass seine geliebte Gesa gut weg kommt, denn sie will er schützen. Er selbst sieht sich nicht mehr als wertvoll an, so kann man das beschreiben.

Katharina Wackernagel: Gerade auch für die Rolle der Gesa ist es ein verwobener Konflikt im Film. Vor allem durch die Dreierkonstellation der Liebesgeschichte, denn am Ende des Films steht sie vor einer inneren Zerreißprobe. Sie ist ein klarer Mensch, die einen wahren Konflikt erlebt, weil sie der Situation ausgesetzt ist und gezwungen ist für die Wahrheit zu kämpfen. Gesa hat viele emotionale Schübe und erlebt Wahrheit, Lüge und Feinde gleichermaßen. Dabei ist sie auch sehr bedacht darauf, wie es weiter gehen kann und steht beim Prozess für Gerechtigkeit ein.

Der Film spielt in einer historisch sehr schwierigen Zeit. Stichwort: „Stunde Null“ - die Perspektivlosigkeit der Menschen. Wie schwer ist es so etwas darzustellen? Wie bereitet man sich als Schauspieler darauf vor?
Niki Stein: Das geht natürlich in erster Linie über die Schauspieler. Das ist der große Vorteil, dass wir eine solche Besetzung hatten, die relativ schnell feststand. Benjamin Sadler hatte ich direkt im Blick gehabt für die Rolle des britischen Offiziers, weil ich auch um seine Familiengeschichte wusste und er auch akzentuiert Englisch sprechen kann. Mir war wichtig, dass wir den Film bilingual halten und nur mit Untertiteln arbeiten. Die Frauenrolle haben wir gecastet, Katharina Wackernagel hat mich mit ihrer historischen Ausstrahlung sofort überzeugt. Auch Stephan Kampwirth als Wehrmachtssoldaten haben wir gecastet, obwohl ich auch ihn schon im Blick hatte.

Stephan Kampwirth: Ich habe im Vorfeld des Films sehr viel mit Niki Stein über seine Geschichte um seinen Vater gesprochen. Doch es war direkt klar, dass wir ihn nicht nachahmen wollten, sondern bei der Geschichte im Film bleiben. In Vorbereitung auf den Film habe ich mir zudem entsprechendes Material wie das Buch «Als die Waffen schwiegen» besorgt und mich eingelesen. Die physische Vorbereitung auf das Schwimmen bin ich ganz langsam angegangen. Letztlich bin ich aber doch drei bis vier Kilometer am Tag geschwommen.

Wie waren denn die Dreharbeiten gelaufen? War die Stimmung im Ensemble gut?
Niki Stein: Wir haben bereits im Sommer 2009 auf Sylt gedreht. Da wir oft auch Nachtszenen im Film haben, mussten wir Day-For-Night-Aufnahmen machen, was voraussetzt, dass strahlender Sonnenschein am Himmel ist. Wir hatten das Glück, dass wir zwei Wochen Sonnenschein pur genießen konnten. Sylt hat sich angeboten, weil die Insel sehr naturbelassen ist und auch im zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht als Übungsgelände benutzt wurde.

Benjamin Sadler: Das war eine richtig gute Lebenszeit. An die Arbeit selbst und auch an die Zeit mit den Kollegen erinnere ich mich gerne zurück. Die Besetzung war auch ein Geschenk. Es war einfach eine tolle Menschengruppe, die da beisammen war. Generell musste man nicht viel Kraft aufwenden, um sich zu mögen. Da bin ich sehr dankbar für.

Zu guter Letzt: Wie ist der Film und die Idee beim ZDF angekommen? Mit welchem Zuschauerzuspruch rechnet man?
Caroline von Senden, ZDF-Redaktion Fernsehfilm I: Als wir das Exposé von Niki Stein bekommen haben, ist die Geschichte gut angenommen worden. Das Projekt war nicht leicht zu finanzieren. Es ist aber auch kein leichtes Thema. Vor dem historischen Kontext, der bis heute nachwirkt, ist der Film aber umso spannender. Deshalb denken wir, dass er unser Publikum interessieren wird. Bei der Vorab-Ausstrahlung von «Liebe deinen Feind» auf dem Kultursender arte sahen 0,57 Millionen Menschen bei 1,8 Prozent Marktanteil zu. Wenn das Wetter nicht allzu gut wird, rechnen wir auch im ZDF mit einem runden Erfolg.

Vielen Dank für das Gespräch.
17.04.2011 08:00 Uhr  •  Jürgen Kirsch Kurz-URL: qmde.de/49060