Der Daily-Talk - das Boom-Genre der 90er und frühen 2000er. Teilweise liefen täglich 13 Sendungen auf privaten und öffentlich-rechtlichen Kanälen. Inzwischen ist nur noch eine einzige verbleiben: «Britt» in Sat.1, die kürzlich mit knapp 20 Prozent bewies, dass der Daily Talk noch nicht gänzlich tot ist. Quotenmeter.de blickt in einer fünfteiligen Reihe auf das Genre zurück, erinnert an besondere Ausgaben und erklärt, wie es zum Sterben des Daily-Talks kam. Zu Beginn blicken wir auf die langlebigsten Formate des Genres.

Alles begann im Jahr 1992, als Hans Meiser in seiner Premierensendung bei RTL sagte: „Ja, nun sind wir also zum ersten Mal da.“. Die deutsche Daily-Talkshow war geboren. Bis dato gab es nur Talkshows im wöchentlichen oder monatlichen Abendprogramm mit hauptsächlich prominenten Gästen.
Nun nahmen sich die Privatsender des täglichen Nachmittagstalks an, in dem erstmals mehr oder weniger normale Menschen zu Wort kamen. Sie berichteten darin von ihren Schicksalsschlägen und schweren Lebensgeschichten. Dabei wurden klassischerweise in jeder Ausgabe Gäste zu einem Oberthema eingeladen. Dies änderte sich später zwar noch teilweise, trotzdem blieb es meistens dabei, dass die Themen durchaus rüde und oft niveaulos besprochen wurden. Gäste schrien sich an und beschimpften sich, die Gesprächsgrundlagen waren oft schlüpfriger oder proletenhafter Natur.
Das alles brachte der Daily-Talkshow in Deutschland stets einen schlechten Ruf bei den Kritikern ein, doch ahnten diese damals noch nicht, dass es mit Scripted-Realitys und Doku-Soaps im nächsten Jahrzehnt noch viel schlimmer werden sollte. Doch zurück zum anfangs erwähnten Hans Meiser: Er unterschied sich vor allem bis zu den letzten beiden Jahren seiner Sendung noch deutlicher von den zahlreichen Nachahmern, die ihm ab 1992 folgten. Seine Themen waren durchaus ernsthafter und anspruchsvollerer Natur. Information und Aufklärung zu gesellschaftsrelevanten Dingen standen bei Meiser neben den üblichen Unterschichtenthemen nämlich auch oft zur Disposition. Beispielsweise „Gewalt gegen Kinder“, „Homo-Ehe“ oder „Überschuldung“ machten die Gesprächsrunde.
Meiser selbst, der in seiner berühmten Pose mit einem Bein auf der Gästetribüne bildhaft in Erinnerung bleiben wird, trat dabei stets wie ein netter Onkel auf, wirkte aber auch hin und wieder sehr schnoddrig und ironisch zu Themen und Gästen eingestellt. Teilweise wurden manche Ausgaben von «Hans Meiser» sogar live ausgestrahlt und das TV-Publikum konnte im Studio anrufen und mitdiskutieren – zuletzt war dies in Daily Talks nicht mehr vorstellbar. Das alles machte den Daily-Talk-Pionier insgesamt neun Jahre auch zum Talk-König des deutschen Nachmittagsprogramms. Seine Zuschauerzahlen kratzten in erfolgreichsten Zeiten, Mitte der 90er Jahre, sogar an der 5-Millionen-Marke, was in der heutigen Zeit für eine Nachmittagssendung (egal welcher Art) überhaupt nicht mehr im Bereich des Vorstellbaren liegt.
Ab 2000 begann dann der Abstieg des Talk-Pioniers: Seine Quoten sanken, RTL setzte mehrere andere Talkshows ab, wodurch er auch eine Stunde früher ran musste. Infolge dessen gingen die Quoten noch weiter in den Keller und nach 1700 Sendungen war Schluss für den wohl besten Talkmaster des Dailyprogramms.
Ein paar kuriose Ausgaben bleiben wohl für immer in Erinnerung: Die Aprilscherz-Sendung von 1999, die aber komischerweise schon am 31. März lief und die Muttertagssendung im gleichen Jahr, in denen erfundene Geschichten mit Laiendarstellern besprochen wurden. Heute weiß man, wie zukunftsweisend diese Aktionen gewesen sind. Auch die letzte Sendung vom 17. Januar 2001 sorgte noch einmal für Furore, da alle Gäste zur Themenfrage „Was ist typisch deutsch?“ halbnackt auftraten und nur Meiser selbst samt Produktionsteam bekleidet war.

Das weibliche Gegenstück zu «Hans Meiser» hieß, wie seine Gastgeberin, Ilona Christen und startete ein Jahr nach Meiser. Diese Show brachte es von 1993 bis 1999 auf sechs Jahre Laufzeit und war praktisch das Gleiche wie der Meisersche Talk. Nur, dass die Gastgeberin eben nicht wie ein Onkel, sondern wie die dazu passende Tante auftrat, ebenso tratschte und mit den Gästen in einer Reihe saß – immer am rechten Rand. Dies war aber wohl kein politisches Zeichen.
Die Themen waren des Öfteren eher gediegener, passend zum Tantentratsch, was Christen selbst aber durch ihre besonderen Outfits auszugleichen wusste. Ihre zig verschiedenen Brillengestelle wurden zu ihrem Markenzeichen, ebenso wie oftmals verwirrende Gesprächsführungen und Moderationen mit burschikosen Fragen und unpassenden Verabschiedungen in die Werbepausen („Wir sehen uns“ oder „Wir reden drüber“).
Christen talkte im Doppelpack mit Meiser ab 15 Uhr bei RTL. Zunächst noch sehr erfolgreich, wurden bei ihr die Zuschauer zunehmend zu alt (das war auch bei Meiser zum Schluss ein Problem für den Sender) für das immer jugendverliebtere Privatfernsehen. So verlegte man auch Christens Sendung vor, gleich um zwei Stunden auf 13 Uhr, was auch hier noch mehr Schaden bei den Quoten anrichtete. So hörte «Ilona Christen» im Sommer 1999 auf, was sie aber auch schon im Vorjahr ankündigte, in dem sie zum Jubiläum der 1000. Sendung erklärte, nicht mehr die in den Daily-Talks zunehmende Schiene von Eskalationen und Provokationen mittragen zu wollen.

Diesen Weg ging teilweise aber eine weitere, langlebige Daily-Talkshow von ProSieben: «Arabella». 10 Jahre lang sah der Zuschauer Frau Kiesbauer, die zuvor als junge österreichische Moderatorin beim ORF tätig war, wie sie sich durch die ein oder andere Sendung schrie und mit ihren Gästen um die Wette keifte. Auch die Themen waren des Öfteren etwas unterhalb der Gürtellinie, weshalb die Medienaufsicht einschritt und Titel änderte oder gar die Ausstrahlung ganzer Folgen verboten hat. Doch trotzdem war nie etwas gestellt bei «Arabella». So war es ihr auch ein Dorn im Auge, als Ende 2002 der Sender intern forderte, Laiendarsteller zur Aufbesserung der inzwischen gesunkenen Quoten ans Werk zu lassen. Sie weigerte sich, was fast noch mehr zur Folge hatte, dass sich das Konzept der Grundsendung mehr und mehr verwässerte: Es gab eine wochenlange Umwandlung in eine Art Beziehungsshow oder Doku-Soap als Sendung in der Sendung mit dem Untertitel «Die Abschlussklasse 2003». Letztere konnte sogar die Quoten wieder etwas steigern, was dazu führte, dass daraus gleich eine eigene Sendung wurde, die wiederum Arabellas Sendezeit kürzte. Das wurde ihr dann zu viel – sie machte ihre Linie gegen ausgedachtes Material öffentlich, woraufhin Kiesbauer zwar in einer Umfrage zur glaubwürdigsten Moderatorin gewählt wurde, ProSieben aber den Stecker zog. Bis Sommer 2004 liefen noch Wiederholungen und schließlich war «Arabella» Geschichte.
Als kleine Besonderheit der von 1994 bis 2004 laufenden und besonders vom jungen Publikum geliebten Daily-Talkshow ist wohl eine Ausgabe vom Juli 1999 in Erinnerung geblieben, in der über das Genre höchstselbst diskutiert wurde. Dabei äußerte sich Torsten Rossmann (heute N24-Chef) als ProSieben-Sprecher durchaus auch kritisch und gab zu, dass man im Nachhinein einige Folgen so nicht mehr ausstrahlen würde und vieles im Nachmittagsprogramm nichts zu suchen gehabt hätte.
Von 1996 bis 97 gab es sogar ein Spin-Off als wöchentliche Late-Night-Show unter dem Titel «Arabella Night». Hier wurden die Talks dann noch mit Comedy und Filmclips angereichert und auch mal mit prominenten Gästen geführt.
Auf der nächsten Seite: «Fliege», «Bärbel Schäfer» und der lockere Oli Geissen.
Im gleichen Jahr wie «Arabella» startete auch der einzige Daily-Talk im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, der aber sogar noch ein Jahr länger, bis 2005, lief: «Fliege». Der evangelische Pfarrer und ehemalige Kirchenbeauftragte von Sat.1, Jürgen Fliege, talkte in der ARD jeden Werktag um 16 Uhr gegen «Hans Meiser» mit völlig andersartigen Themen. Bei ihm ging es nämlich zum einen vor allem um Schicksale einzelner Menschen und zum anderen auch um esoterische Themen. Ebenso exotisch war auch oft sein Moderationsstil mit vielen wirren Formulierungen- und Sprachformen, die die Gäste aber unter dem Strich komischerweise immer dazu brachten, ihr Seelenleben gänzlich zu offenbaren. Insofern war Fliege also der Seelsorger im Fernsehen, der sich stets mit dem Satz „Ich bin Jürgen Fliege“ zu Beginn einer jeden Sendung vorstellte und sich jedes Mal mit „Passen Sie gut auf sich auf!“ verabschiedete.

Das nahmen einige seiner Zuschauer auch gerne wörtlich gegenüber seinen Talkgästen und spendeten manchmal bei besonderen Schicksalen unaufgefordert Geld. Daher richtete Fliege im Juni 1995 eine eigene Stiftung ein, die die Spendengelder verwaltete. Der heute besonders typische Niveaustreit zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern blieb im selben Jahr übrigens nicht aus. Fliege stritt sich öffentlich mit seinem Konkurrenten Hans Meiser und warf ihm sowie seiner Kollegin Ilona Christen „ein kaltes Vorführen von Menschen“ vor. Meiser wies das als die „weinerlichen Anschuldigungen eines ewigen Dritten“ zurück. Mit seinen ziemlich konstanten Quoten, die vor allem beim älteren Publikum hoch waren, überlebte Fliege als lachender Dritter allerdings die beiden besagten Kollegen. Bisher hält er immer noch den Laufzeitrekord aller deutschen Daily-Talkshows mit 11 Jahren.
Eine Ausgabe mit besonderer Erinnerungswürdigkeit war hier zum Beispiel die thematisch typische vom 22. Januar 2002 zum Thema „Meine eigene Krankheit hat mich zum Heiler gemacht“, die besonders hohe Quoten erreichte.
Ein Jahr später als «Fliege» startete «Bärbel Schäfer» bei RTL, verabschiedete sich aber schon drei Jahre früher als er . Von 1995 bis 2002 diskutierte die Frau des Polit-Talkers Michel Friedman immer wieder gerne mit ihren Gästen konfrontativ über deren Beziehungen. Schäfer stellte die Konkurrenz zu «Arabella» auf dem 14-Uhr-Sendeplatz dar. Weil sie aber mehr auf Streit setzte und vor allem junges Publikum ansprach, kritisierten Jugendschützer nicht selten die Themenauswahl der ersten Krawall-Talkshow.
Hierbei bleibt besonders eine Folge vom 28. Januar 2000 im Gedächtnis, in der die Gäste erzählen sollten, was sie so alles für Geld tun würden. Dazu berichtete die „BILD“-Zeitung schon vorab, dass darin ein Mann seine Ehefrau zum Sex anbieten und dafür eine Million DM verlangen würde. Folglich rief die damalige Ministerpräsidentin Heide Simonis zu einem «Bärbel Schäfer»-Einschaltboykott auf, was aber gar nicht nötig gewesen wäre, wenn sie der „BILD“ nicht geglaubt hätte, denn als die Sendung ausgestrahlt wurde, entpuppte sich die vermeintlich heikle Lage als harmlos. Der Mann und seine Frau hätten so etwas nur interessant gefunden, als sie den Film «Ein unmoralisches Angebot» gesehen hatten. Im Übrigen talkte Schäfer auch in Spezialsendungen über «Big Brother», als dies noch bei RTL lief.
Aufgrund von Sendeplatzwechseln sanken die Quoten im Lauf der sieben Jahre stetig, was aber offiziell nicht der Grund der Absetzung gewesen sein soll – Schäfer wollte nämlich nicht mehr, was aber wohl auch darin begründet lag.

«Vera am Mittag» in Sat.1 war eine der wenigen Daily-Talks, in dessen Sendungsnamen nicht nur der Name der Gastgeberin vorkam. Neun Jahre, von 1996 bis 2005, sprach Vera Int-Veen täglich um 12 Uhr – „High-Noon“ – mit Angehörigen des Unterschichtensumpfes über Themen aus demselben. Sie hatte die wohl proletarischste Daily-Talkshow, die stets ein Sinnbild für die ja ansonsten nicht immer zutreffende Niveaukritik an dem Genre war. So bemerkte Harald Schmidt zum Beispiel in seiner letzten Sat.1-Sendung 2004 zum 20-jährigen Jubiläum des Senders, dass sich Sat.1 doch für 20 Jahre ganz gut gehalten habe, denn schließlich hätten in diesem Alter die Gäste bei Vera schon keine Zähne mehr. Unzählige Sendungen wurden sowohl von Jugendschützern, als auch Medienwächtern gerügt und der Sender mit Geldstrafen belegt. So gibt es auch viele Ausgaben, die in Erinnerung geblieben sind – aber in schlechter und deshalb soll hier keine einzige genau beschrieben werden.
Als Besonderheit ist bei «Vera am Mittag» lediglich anzumerken, dass einmal sogar ein extra Print-Magazin zur Sendung erschienen ist. Vielleicht waren «Vera»-Fans mit dem Lesen des Magazins überfordert, jedenfalls gab es nie eine zweite Ausgabe. Auch von der Sendung gab es ab Januar 2006 keine neuen Ausgaben mehr, denn erstaunlicherweise bemerkte die Moderatorin höchstselbst im Frühjahr 2005, dass „die Zeit der gepiercten Monster-Gäste“ vorbei sei und der Trend in die Richtung ginge, dass die Zuschauer sich selbst wieder erkennen wollten. Doch taten sie dies nicht bis dahin schon längst bei «Vera am Mittag»?!
Wenn nicht, konnten sie es noch etwas länger bei der letzten langlebigen Daily-Talkshow tun, die die einzige war, die das Wort „Show“ im Titel führte: «Die Oliver Geissen Show» lief von 1999 bis 2009 bei RTL und war zusammen mit der heute noch ausgestrahlten «Britt» der einzige verbleibende Nachmittagstalk der späten 2000er.

Veras Zuschauer fühlten sich bei Oli sicherlich wohl, denn die Themenlage war meistens nicht anders: Beziehungs- und Familienprobleme der sozial schwachen Schicht; nur meistens bei jüngeren Leuten, die auch oft einen Vaterschaftstest machen ließen, der dann zum Markenzeichen der Sendung wurde und bei vielen Themen angewendet werden konnte.
Auch bei Geissen kamen manche Ausgaben unter das Schafott der Medienaufsicht, doch generell versuchte der schnoddrig-lustige Oli Geissen gute Laune zu verbreiten und die Dinge nicht so ernst zu nehmen, wie sie zunächst schienen, in Wirklichkeit aber auch gar nicht waren.
Besondere Erinnerungen gibt es an die Sendung vom 4. September 2003, in der eine junge Frau ihrem Partner einen One-Night-Stand beichtete, dieser nebenbei einen Vaterschaftstest machen ließ, der aber bewies, dass die gemeinsame Tochter auch wirklich eine solche war – trauriges Ende der Geschichte: Einige Monate später erwürgte der Mann die Frau.
Ebenfalls eine Besonderheit bei Geissen war zum einen, dass die Show bis Mitte 2004 noch vom Talk-Pionier Hans Meiser mit seiner Firma „Crea-TV“ produziert wurde. Doch in weiser Voraussicht, dass die Firma Meisers mal pleite gehen würde, setzte Geissen ab dann lieber auf seine eigene Produktionsfirma „Norddeich-TV“.
Keine Besonderheit war es hingegen, dass die Quoten nach der Sendeplatzverlegung von 13 auf 14 Uhr im Jahr 2007 aufgrund der Sendezeitverdopplung des RTL-Mittagsjournals «Punkt 12» zu sinken begannen und die Sendung daraufhin knapp zwei Jahre später nach zehn Jahren eingestellt wurde.