Quotenmeter.de wirft einen Blick auf die weniger besungenen Oscar-Kategorien und präsentiert kuriose Zusammenhänge sowie spannende Duelle in den vermeintlichen Nebenkategorien.
Wenn in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar zum 83. Mal die Academy Awards verliehen werden, stöhnen zahlreiche Fernsehzuschauer wieder auf: „Oh Gott, was interessiert mich die beste Kamera?! Kommt endlich zu den wichtigen Kategorien!“
Mittlerweile sollte es ja kein Geheimnis mehr sein, dass die Hollywood-Studios millionenschwere Anzeigenkampagnen in den einschlägigen Branchenblättern anleiern, um ihre Filme für die Oscars zu positionieren. Die meisten dieser Empfehlungsanzeigen konzentrieren sich auf die prominenteren Kategorien, wie die Darstellerpreise, die Drehbuch-Oscars und natürlich die Auszeichnungen für die beste Regie und den besten Film. Allerdings gibt es auch spezielle Anzeigen, die sich allein auf eine Nebenkategorie beschränken. Walt Disney Pictures bemühte sich beispielsweise mit einer Anzeige, die Flynns Versteck aus «Tron: Legacy» abbildete, darum, stimmberechtigte Variety-Leser darauf hinzuweisen, dass das 3D-Spektakel nicht nur computeranimierte Sets zu bieten hat. Eine Nominierung für das beste Szenenbild blieb «Tron: Legacy» dennoch versagt.
Sony hatte mit einer speziellen Wahlwerbetaktik für eine der kleinen Kategorien deutlich mehr Erfolg: Da jede Oscar-Nominierung eine gute Oscar-Nominierung ist, kämpfte man auch erbittert um Anerkennung für den Angelina-Jolie-Actioner «Salt» – in den Tonkategorien. Unter Tontechnikern ist das Team, das für die akustische Durchschlagkraft von «Salt» verantwortlich war, recht namhaft. Zu den vier Toningenieuren gehören der nunmehr vierzehnfach Oscar-nominierte Greg P. Russell (u.a. «Transformers», «Spider-Man» und «Armageddon») sowie der vierfache Oscar-Gewinner Scott Millan (u.a. «Das Bourne Ultimatum» sowie «Gladiator»). Um ihnen und ihren zwei Kollegen Jeffrey H. Haboush und William Sarokin weiteres Oscar-Glück zu ermöglichen, schickte Columbia Pictures die Screener-DVD von «Salt» nicht einfach wahllos an alle möglichen Stimmberechtigten. Stattdessen erhielten nur Tontechniker eine Kopie des Action-Thrillers, die während des Nominierungszeitraums kein Projekt verfolgten. Die Idee dahinter war, dass sich eben diese Academy-Mitglieder ihre „exklusive“ «Salt»-Kopie aufgrund ihrer ausgiebigen Freizeit in aller Ruhe ansehen, und «Salt» schließlich auch nominieren werden. Und diese Theorie ging auf: «Salt» wurde für exakt einen Oscar nominiert. Nämlich für die beste Tonabmischung.
Richtet man seinen aufmerksamen Blick auf die Kostüm-Kategorie, ist es unmöglich, zwei Damen zu entgehen: Sandy Powell (Bild rechts) und Colleen Atwood. Seit über einem Jahrzehnt sind diese Kostümdesignerinnen die Grande Dames der modischen Oscar-Sparte. Und auch dieses Jahr wurden sowohl Atwood (für Tim Burtons «Alice im Wunderland»), als auch Powell (für die Shakespeare-Verfilmung «Der Sturm» von «Der König der Löwen»-Bühnenregisseurin Julie Taymor) für den Goldjungen nominiert. Und deshalb steht, statistisch gesehen, der diesjährige Oscar-Gewinner in der Kostüm-Kategorie bereits fest. Die Gesetze der Zahlen besagen, dass Tim-Burton-Dauerkollaborateurin Colleen Atwood um einen Oscar reicher nach Hause gehen wird. Denn seit Mitte der 90er gelten die vor allem für exzentrischere Kostüme bekannte Atwood und die eher ins galantere tendierende Sandy Powell als Oscar-Zwillinge.
Beide wurden jeweils neun Mal für den Academy Award nominiert und gewannen ausschließlich in den Jahren, in denen sich ihre gleichermaßen erfolgreiche Kollegin unter den Nominierten befand. Und sogar diese Siege verteilten sich hübsch gleichmäßig: Die Britin Sandy Powell gewann ihren ersten Academy Award 1999 für «Shakespeare in Love», 2003 folgte der erste Sieg für Colleen Atwood (mit dem verrucht-spaßigen Musical «Chicago»). Zwei Jahre später gewann Powell für ihre Arbeit an Martin Scorseses Biografie-Epos «Aviator», zwölf Monate später stand wieder ihre Kollegin Atwood (Bild links) mit einer Dankesrede auf der Bühne, um den Oscar für ihre zweite Zusammenarbeit mit «Chicago»- und «Pirates of the Caribbean - Fremde Gezeiten»-Regisseur Rob Marshall abzuholen. Nach «Die Geisha» dauerte es wieder ein paar Jahre, bis sowohl Atwood, als auch Powell nominiert wurden. Doch als es letztes Jahr wieder so weit war, gewann Sandy Powell auch prompt für ihre Arbeit an dem romantischen Historienfilm «Young Victoria». Und wer sich während der letztjährigen Oscarnacht nicht ständig auf dem Klo oder in der Küche versteckte, wenn nicht gerade ein Promi seinen Preis entgegennahm, hat Powell einen der witzigsten und ehrlichsten Momente der Verleihung zu verdanken. Mit trockenem, britischen Witz kommentierte sie in ihrer Dankesrede: „Wow, toll, ich hab‘ doch schon zwei davon… Ich fang an, mir gierig vorzukommen!“
Wer auf „Bestes Make-Up“ tippte, darf sich stolz auf die Schulter klopfen. Die Make-Up-Künstler sind notorische Prognosenzerstörer und bringen Oscar-Blogger und -Tippspieler regelmäßig an den Rand der Verzweiflung. Grund dafür ist, dass der Make-Up-Oscar selten die allgemeinen Favoriten durchwinkt. Oft sind sie nichtmal nominiert. Und selbst, wenn manche Nominierungen äußerst fragwürdig sind, wie etwa die vollkommen durchschnittlichen Fett-Schminke aus «Norbit», so lässt sich schwer über die Oscar-Gewinner in dieser Kategorie streiten. Den Grund dafür, dass diese Sparte öfter gegen den Strom schwimmt, könnte man in ihrer Geschichte vermuten: Bis 1981 wurden Make-Up-Leistungen nur mit zwei Spezial-Oscars gewürdigt, und dass David Lynchs «Der Elefantenmensch» übergangen wurde, führte zu lautstarken Protesten. Bald darauf wurde die Make-Up-Kategorie ins Leben gerufen, die in ihren frühen Jahren auch konsequenterweise vornehmlich monströse Effektleistungen wie in «American Werewolf», «Die Maske» und «Bigfoot und die Hendersons» zu den Gewinnern zählte.
Der erste Gewinner in dieser Kategorie war übrigens Rick Baker (Bild), der bislang sechs Mal gewann und somit Rekordhalter ist. Mit elf Nominierungen ist er obendrein der am häufigsten nominierte Maskenbildner. Auch dieses Jahr wurde er nominiert, und zwar zusammen mit seinem Kollegen Dave Elsey für den von der Kritik verrissenen Monsterhorror «Wolfman». Aufgrund Bakers Beteiligung und der Offensichtlichkeit der Make-Up-Leistungen gilt dieser nun auch als Favorit für den Oscar. Die anderen zwei nominierten Filme sind das Comedy-Drama «Barney‘s Version» (welches auf einen ansehnlichen Alterungseffekt zurückgreift) sowie Peter Weirs «The Way Back».
Unter den fünf nominierten Kameramännern hat Roger Deakins (Bild, nominiert für «True Grit») die längste Wartezeit auf einen Oscar-Sieg. Er wurde bisher neun Mal nominiert und blieb bislang sieglos. Das ist die zweitgrößte Nominierungsstrecke ohne Gewinn, die ein Kameramann bei den Oscars bis dato zurücklegte, nur George Folsey («Die schwarze Perle») blieb mit dreizehn Nominierungen glückloser. Roger Deakins, 1949 in England geboren, zählt mittlerweile zu den lebenden Legenden hinter den Kameras Hollywoods. Der passionierte Maler und studierte Grafikdesigner ist insbesondere für seine regelmäßige Zusammenarbeit mit Joel & Ethan Coen bekannt, für die er unter anderem «Fargo», «O Brother, Where Art Thou?» und «No Country for Old Men» in denkwürdigen Bildern einfing.
Außerdem drehte er den mit ikonischen Momenten durchsetzten «Die Verurteilten» (laut IMDb der beste Film aller Zeiten), sorgte für die bedrückende Atmosphäre in M. Night Shyamalans unterschätzten «The Village» und zeichnete sich für die mitunter poetischen Westernbilder in «Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford» verantwortlich. Deakins’ Anerkennung in Hollywood stammt jedoch nicht allein von seiner qualitativ hochwertigen Arbeit, sondern auch von seiner Menschlichkeit: Deakins ist eine sehr bescheidene Person, die sich nie zu schade ist, mit Fans über jedes noch so winzige technische Detail zu diskutieren oder angehenden Kameramännern hilfreiche Tipps zu geben. Seine geduldigen Ratschläge brachten Deakins letztlich sogar eine zweite Karriere als visuellen Berater im Animationsfilm ein: Pixars «WALL•E» und Dreamworks «Drachenzähmen leicht gemacht», zwei der optisch beeindruckendsten Computeranimationsfilme, profitierten beide von seinen Mentorenqualitäten und bestechen mit von ihm beeinflussten, dem Realfilm entliehenen Kamerabewegungen und einer malerisch-natürlichen Szenenbeleuchtung, die diese dunkleren sowie greifbareren Trickfilme von ihren knalligeren Mitbewerbern abheben.
Deakins’ wohl größter Mitbewerber ist dieses Jahr der 1961 geborene Chicagoer Wally Pfister (Bild), der für «Inception» nominiert wurde. Seit einschließlich «Memento» war er als Kameramann an sämtlichen Filmen von Christopher Nolan beteiligt und erhielt für diese Kollaborationen insgesamt vier Oscar-Nominierungen. Neben «Inception» wurden auch seine hypnotischen Bilder für «Batman Begins», «Prestige» sowie «The Dark Knight» mit einer Nominierung geehrt. Die enge Zusammenarbeit zwischen Nolan und Pfister war ausschlaggebend für den finalen Look von «Inception»: Da sich Regisseur/Autor Christopher Nolan und Pfister einig waren, dass sich die Traumwelten von «Inception» real und glaubwürdig anfühlen sollten, schoss Pfister in Paris, England, Japan, Kanada und Marokko zahlreiche Standfotos, die er daheim durch minimale Photoshop-Manipulation, wie durch einen blaugrauen Farbfilter, verfremdete. Somit entstand der Farbcode für die ineinander verschachtelten Traumwelten in «Inception», von der bläulich-grauen Umgebung der verregneten Auto-Verfolgungsjagd, über das warme Orange des Hotels in dem der ikonische, die Schwerkraft besiegende Faustkampf stattfindet, bis zur beinahe monochromatisch-weißen Umgebung der Schnee-Festung.
Neben den beiden berühmten Kameramännern Deakins und Pfister einerseits, «The King‘s Speech» andererseits, gehen die anderen zwei Nominierten fast schon unter. Dabei könnte es durchaus sein, dass Darren-Aronofskys Stammkameramann Matthew Libatique (einzig «The Wrestler» musste ohne ihn auskommen) für die beklemmenden und albtraumhaften Bilder in «Black Swan» prämiert wird. Oder es gewinnt vielleicht doch Jeff Cronenweth, der für die Einprägsamkeit von «The Social Network» unerlässlich war und zuvor schon bei «Fight Club» mit Regisseur David Fincher zusammenarbeitete. Man sieht schon, 2010 war ein großartig fotografiertes Jahr, wenn Filme wie «Black Swan» bestenfalls Außenseiterchancen zugesprochen bekommen.
Die Schnitt-Kategorie ist generell viel wichtiger und interessanter, als der Gelegenheitszuschauer denken mag. So werden die Nominierungen zwar von Spezialisten bestimmt, es ist allerdings die gesamte Academy, die den Gewinner dieser Kategorie wählt. Und seit 1981 war jeder Gewinner des Oscars für den besten Film auch für den Schnitt-Oscar nominiert. Dieses Jahr können sich die Cutter von «127 Hours», «Black Swan», «The Fighter», «The King‘s Speech» und «The Social Network» Hoffnungen auf den begehrten Preis machen. Fans von «True Grit», «Toy Story 3» oder «Inception» können dagegen eigentlich schon jegliche Hoffnung auf einen Sieg ihres Favoriten in der Hauptkategorie begraben. Weshalb aber soll nun ausgerechnet dieses Jahr der Verlauf des restlichen Abends anhand der Schnittkategorie vorherbestimmt werden?
Dieses Jahr ging der Hauptpreis bei den Eddies an Angus Wall und Kirk Baxter, die Cutter des einstigen Überfavoriten und mehrfach mit dem Golden Globe ausgezeichneten «The Social Network». Wenn also recht früh in der Oscar-Nacht Tariq Anwar für den Schnitt von «The King‘s Speech» auf die Bühne gerufen wird, dann hat die Filmwelt einen statistischen Ausreißer miterlebt und der weniger gebannte Fernsehzuschauer könnte im Falle großer Müdigkeit ausschalten. Der Erdrutschsieg von «The King‘s Speech» wäre damit nämlich besiegelt.