Serien-Update: «Nikita»

Die Neuinterpretation der Filmvorlage von 1990 lief auf dem kleinen Network The CW mit knackiger Action und packenden Wendungen schnell zu Hochform auf.

Jede Woche bespricht unsere Serien-Redaktion die aktuelle Entwicklung einer US-Serie. Was ist gut, was ist schlecht, was ist neu? Und wie sind die Aussichten für den deutschen Zuschauer? Auf Spoiler wird natürlich hingewiesen. Heute: Die neue Actionserie «Nikita»

In nur zwanzig Jahren hat dieser Stoff bereits einen bemerkenswerten Lauf in Film und Fernsehen geschafft: Im Jahr 1990 verfilmte Luc Besson den Thriller «Nikita» für die französischen Kinos. Der Film wurde ein Hit und das amerikanische Remake «Codename: Nina» (im Original: «Point of No Return») folgte drei Jahre später. Bereits 1997 erlebte die Idee ihre nächste Interpretation: Für fünf Staffeln wurde «La Femme Nikita» auf dem Network USA zu einem der ganz großen Hits im Kabelfernsehen.

Allen drei Produktionen war die Situation der Hauptfigur gemein: Eine junge Frau, je nach Film bzw. Serie unschuldig oder schuldig wegen Mordes zum Tode verurteilt, erhält von einer geheimen Regierungsorganisation eine zweite Chance: Sie bleibt am Leben, muss dafür aber fortan als Auftragskiller agieren. Seit vergangenen Herbst flimmert in den Staaten die vierte Inkarnation unter dem Titel «Nikita» über die Bildschirme, die in diesem Punkt aber einiges anders macht: Nikita, gespielt von Maggie Q, ist nach vielen Jahren der Organisation - "Division" genannt - entflohen und versucht nun, die korrumpierte Einrichtung von außen zu zerstören.

Das ändert den Charakter des Stoffes auf drastische Art und Weise. Konnten die bisherigen Interpretationen Nikitas Zerrissenheit (bzw. die ihres Alter Egos im US-Remake) in den Mittelpunkt stellen, den inneren Konflikt der beiden Grundsätze, niemandem schaden zu wollen, aber selbst zu überleben, so fällt dies bei der neuen Nikita alles weg. Nikita ist frei und wird hauptsächlich von Rache und Unrechtsbewusstsein getrieben. Wer die Serie aus den 90ern sah und mochte wird die psychologische Thematik in der Pilotfolge vermissen, die versucht, die mangelnde Abgründigkeit ihrer Charaktere durch eine gewollt düstere Stimmung auszugleichen. Doch selbst eine Friedhofszenerie im Schneefall macht das nicht wett.

Wer nach dem etwas enttäuschenden Piloten dranbleibt, wird belohnt: «Nikita» gelingt, was man bei einer Serie auf dem nicht zu Unrecht als Teensoap-Sender verrufenen Mini-Network The CW wohl gar nicht erwartet hätte: Sie entwickelt sich schnell zur stärksten neuen Drama-Serie der Saison. Gegen Ende der ersten Staffelhälfte setzt die Serie ihre Figuren inner- und außerhalb der Division furios in Szene, überrascht mit unerwarteten Wendungen, schärft ihre Charaktere und liefert fast nebenher richtig knackiges Action-Fernsehen. Neben Maggie Q gibt vor allem die zweite Hauptdarstellerin Lyndsy Fonseca eine gute Figur ab, während der restliche Cast, darunter Shane West als Agent Michael, deutlich zurückstecken muss. Es ist eine neue Richtung, die der Stoff einschlägt - und es zeigt sich, dass diese Entscheidung richtig war.

Leider ist «Nikita», das nach dem Ende von «24» die aktuellen Action- und Thrillerserien der übrigen Broadcaster locker in den Schatten stellt, noch nicht der große Erfolg beim Publikum beschienen. In der bei The CW gern gesehenen Zielgruppe der jungen Frauen war die Serie mehrfach die schwächste Sendung der Woche - und das mit «The Vampire Diaries», der mit Abstand stärksten Serie des Senders, im Vorprogramm. Das fällt auch beim Sender unangenehm auf, der im Herbst ankündigte, die Serie diesbezüglich zu "optimieren". Ob sie dabei wie versprochen ihren Stil bewahrt, bleibt abzuwarten und zu hoffen.



Der Zweck heiligt die Mittel. Ein Motiv, das die Rekruten der Division verinnerlichen müssen, das die Autoren in der Pilotfolge aber einfach zu sehr auf die Spitze treiben, wenn sie die Verbindung zwischen Nikita und Alex erst in der letzten Szene auflösen. So hängen beide Charaktere 40 Minuten lang regelrecht in der Luft. Nikita arbeitet isoliert und zu Alex bekommt man als Zuschauer keine Bindung. Das ist der Hauptgrund, weshalb die Pilotfolge noch nicht voll überzeugen kann.

Was sich bis zum Ende der bisherigen Folgen hingegen noch bemängeln lässt, ist eher marginal. Division verfügt offenbar über keinerlei Überwachungskameras, lässt die junge Rekrutin frei durch das Gebäude laufen, überwacht nicht einmal deren Computeraktivitäten und weiß nichts von dem Luftschacht, über den man nach draußen gelangt. Mit anderen Worten: Die interne Sicherheit ist für eine geheime Regierungseinheit einfach peinlich.

Die packenden Stories überdecken diese kleinen Logikfehler mittlerweile mehr als gut und testen durchaus Grenzen aus. Die auf Empathie angelegte Alex einen Freund, gar eine sich anbahnende Liebesbeziehung, aus der Not heraus erschießen zu lassen, um nicht aufzufliegen, und ihn post mortem als Verräter zu brandmarken, ist mutig. Viele andere Serien hätten hier viel zu viel Angst, jene "Shipper" zu verschrecken, die sich jede Episode aufs neue romantische Entwicklungen für ihr Traumpaar erhoffen.

Mut zeigen auch die weiteren Entwicklungen des kleinen Finales zur Staffelmitte: Der Fluchtweg verschlossen, die Kommunikation zwischen Nikita und Alex abgeschaltet - immerhin zwei ganz wichtige Elemente, um die beiden Hauptrollen überhaupt in Kontakt treten lassen zu können. Diese Umwälzungen zeigen aber Potential auf, besonders für die Rolle der Alex, die im Vergleich zur Titelfigur ohnehin der weitaus interessantere Charakter ist, was nicht zuletzt auch Lyndsy Fonsecas Arbeit zu danken ist, die Alex als starke Persönlichkeit mit einem verletzlichen Kern hervorragend porträtiert.

Und damit könnte die Serie doch glatt wieder ein wenig in Richtung ihrer Vorgänger rücken, wenn sie sich trotz Optimierungsmaßnahmen und einem angekündigten Love Interest für Nikita selbst treu bleibt. Ohne Verbündete und ohne Möglichkeit zur Flucht wird auch Alex sich immer mehr damit auseinandersetzen müssen, zu einer Person zu werden, die sie eigentlich nicht sein will, ganz wie die früheren Inkarnationen von Nikita. Mit dem Tod von Thom ist der erste Schritt in diese Richtung bereits getan. Für Alex ein Schritt, den sie niemals hätte gehen wollen.
26.01.2011 15:30 Uhr  •  Stefan Tewes Kurz-URL: qmde.de/47321