Von surrealer Filmkunst zu «The Green Hornet»: Verrät Michel Gondry mit der Actionkomödie seine Ideale?
Auf der Spitze der deutschen und amerikanischen Kinocharts macht es sich derzeit ein hierzulande kaum bekannter Superheld bequem: «The Green Hornet». Basierend auf einer 1936 gestarteten Radioserie, die später in Comicform und für das Fernsehen adaptiert wurde, nimmt der maskierte Kämpfer fürs Recht in diesem neuen Kinohit die Form von Seth Rogen an. Der Star aus «Beim ersten Mal» und «Zack and Miri Make a Porno» versuchte als Autor, ausführender Produzent und Hauptdarsteller schon jahrelang, diesen Film zu stemmen, doch der Weg zur Kinoveröffentlichung war verworren und steinig. Der asiatische Regisseur und Schauspieler Stephen Chow («Kung Fu Hustle») war lange als Darsteller des Sidekicks Kato eingeplant und sollte Seth Rogens Actionkomödie inszenieren, aber es entstanden kreative Differenzen zwischen Chow und Rogen. Als bekannt wurde, wen Seth Rogen und die produzierenden Sony Studios als Ersatzmann ansprachen, war das Staunen groß: Die Wahl fiel auf Michel Gondry, einen ehemaligen Werbefilmer und gefeierten Kino-Surrealisten. Blödelkumpel Seth Rogen, ein Superhelden-Blockbuster und Arthouse-Liebling Michel Gondry, für den besorgten Cineasten war schnell klar, welche Variabel in dieser Gleichung klein gehalten wird.
Michel Gondry feierte sein Kinodebüt im Jahr 2001, mit der philosophischen Grotseke «Human Nature» von Drehbuchautor Charlie Kaufmann. Drei Jahre später folgte «Vergiss mein nicht!», sein wohl bekanntester Film und Stammgast in Kritikerbestenlisten des vergangenen Kinojahrzehnts. Die surreale Tragikomödie mit Jim Carrey und Kate Winslet steht mit ihrer Verschachtelung von Traum und Wirklichkeit, ihren obskuren Kamerawinkeln und den unwirklichen Bildeinfällen in den Augen vieler prototypisch für Michel Gondrys Stil. Sein autobiographisch angehauchtes Nachfolgewerk «Science of Sleep» schloss sich sehr gut an «Vergiss mein nicht!» an, während die mit Jack Black in der Hauptrolle besetzte Komödie «Abgedreht» nicht gänzlich in dieses Bild passt. Es kann aber auch nicht jeder Michel-Gondry-Film in einer Traumwelt spielen. Stattdessen sind es die skurrilen Marotten dieser Komödie und ihr verschroben-melancholischer Ton, die sie in den Gondry-Kanon einreihen. Aber wie fügt sich die Actionkomödie «The Green Hornet» in dieses Bild ein? Haben die besorgten Zweifler Recht, musste sich Gondry für einen Scheck verkaufen und sein Licht unter den Scheffel stellen?
Ganz im Gegenteil. Michel Gondry ist, so kurios es klingen mag, die perfekte Wahl für Seth Rogens Ausflug ins Superheldenfach. Und er durfte sogar seinen Stil beibehalten, auch wenn er, genauso wie der Hauptdarsteller und Co-Autor, sich zu Gunsten des Materials etwas zurückhalten musste. Zugegeben, inhaltlich wird man die eher flache Actionkomödie nicht mit anderen Filmen des französischen Regisseurs verwechseln. Aber Gondry bringt der Actionkomödie, die schnell in reinste Comic-Blödelei hätte abgleiten können, mit seiner Inszenierung einen skurrilen, selbstverständlichen Flair. Statt «The Green Hornet» zu einer Superheldenparodie werden zu lassen, schuf er eine lockere Actionkomödie, die mit den Regeln des Genres spielt und trotzdem einfach “nur” angenehm schräg, statt völlig überdreht wirkt.
Gondry beweist, wie so oft, ein feines Gespür dafür, vollkommen abstruse Ideen so zu verankern, dass sie vom Publikum als schrullig erkannt werden, sei es nun mal die Traumwelt aus «Vergiss mein nicht!» oder die überzeichneten Talente Katos, das aufgemotzte Auto und verflucht noch eins, ausgerechnet Seth Rogen als Hauptdarsteller in «The Green Hornet». Diese “unwirkliche Plausibilität” ist entscheidend, um die Actionkomödie ernst nehmen zu können und neben ihrem Grundkonzept und dessen Staffage weiterhin die Figuren zu akzeptieren. Käme «The Green Hornet» zu überdreht rüber, hätte niemand mehr Interesse an seiner sehenswerten Dynamik zwischen Held und Sidekick, der Dialogwitz würde von der Prämisse völlig überschattet, er wäre eine reine Superheldenparodie. Was es in diesem Fall zu bedauern gälte.
Auch visuell ist Michel Gondrys Handschrift deutlich zu erkennen: Die Kampfszenen des agilen Mechanikers Kato beinhalten stets eine einfallsreiche Zeitlupensequenz, die zum Scannen der Umgebung und Suchen effizienter Angriffspunkte dient. Spurtet Kato über ein Auto, vervielfacht es sich, um seine adrenalingetränkte Wahrnehmung sichtbar zu machen. In einer anderen Sequenz teilt sich der Bildschirm immer weiter auf, so als wäre Gondry kurz von «Ocean‘s Eleven»-Regisseur Steven Soderbergh besessen. Und wenn bei Seth Rogens Figur endlich einmal der Groschen fällt, wird sich selbst der pingeligste Liebhaber von Gondrys früheren Filmen eingestehen müssen, dass der Franzose von der Hollywood-Maschinerie nicht völlig glatt gebügelt wurde.
Gondrys zielsichere Inszenierung hat einen sehr offensichtlichen Grund: Er hatte ehrliches Interesse an diesem Stoff. Als 1997 die Rechte an «The Green Hornet» noch bei Universal lagen, wollte Michel Gondry mit der grünen Hornisse sein Leinwanddebüt feiern!
Man muss es nun mal einsehen: Ab und zu wollen Regisseure aus ihrer von Fans vordiktierten Schublade ausbrechen, insbesondere, wenn es um Projekte geht, für die man sie eine besondere Passion hegen. Und so lange die Ergebnisse befriedigend sind, sollte man sich keinesfalls päpstlicher als der Pabst benehmen und jemandem wie Michel Gondry vorschreiben, was er machen würde und was nicht.