«Tron» kehrt nach 3 Jahrzehnten zurück

Am 27. Januar 2011 startet «Tron: Legacy» in den deutschen Kinos. Bereits vor dem Filmstart ist das Interesse an der Disney-Produktion riesig.

«Tron: Legacy». Drei Jahre hintereinander wurde er auf der San Diego Comic Con, Amerikas größter Film- und Comicmesse, beworben. Das Marketingbudget wird auf 120 Millionen Dollar geschätzt. Das Effektspektakel selbst kostete dem Studio rund 150 Millionen. Dadurch, dass die französische Elektronik-Kombo Daft Punk den Soundtrack komponierte, entstand lange im Vorfeld der Veröffentlichung ein enormer Hype um die Filmmusik. Die CD schaffte es als erstes Filmmusikalbum seit fünf Jahren in die Top 10 der US-Charts.

Viel Trubel um eine Fortsetzung eines passabel erfolgreichen Sci-Fi-Films aus dem Jahre 1982, in dem ein Videospielprogrammierer in die digitale Welt der Computer gesogen wird und zusammen mit einigen befreundeten Programmen gegen das herrische Master Control Program auflehnt. Bevor am 27. Januar «Tron: Legacy» auch in die deutschen Kinos kommt, blickt Quotenmeter.de auf die Geschichte hinter diesem Blockbuster und seinem Vorläufer.

Die Inspiration: Die Gladiatoren von «Pong»
Die Wurzeln von «Tron» reichen bis in das Jahr 1976 zurück. Der Animator Steven Lisberger war zu dieser Zeit von der so genannten Backlit Animation begeistert, einem Trickmedium, welches Bilder mittels einer speziellen Belichtungsmethode erzeugt. Ende der 70er und zu Begin der 80er war diese Form der Animation vor allem in Werbespots und Firmenlogos anzutreffen, da sie eine damals als sehr attraktiv und modern empfundene, neonfarben leuchtende Discoästhetik aufwies. Lisberger wollte in diesem Medium einen vollständigen Film drehen, fand aber keine geeignete Handlungsplattform für eine im Backlit-Animation-Stil gehaltene Filmwelt. Das Arcadespiel «Pong» brachte Lisberger schließlich auf die ersehnte Idee: Er sah in dem Videospielklassiker eine Art modernen Gladiatorenkampf und nahm sich vor, einen von «Spartacus» inspirierten Film darüber zu erzählen, wie anthropomorphisierte Programme in der elektronischen Welt hinter dem Bildschirm ums Überleben kämpfen.

Ursprünglich plante Lisberger zusammen mit Geschäftspartner Donald Kushner, «Tron» als unabhängig produzierten Trickfilm zu verwirklichen, der nur für die in der Realität spielenden Buchenden aus diesem Medium ausbricht. Um diese Pläne verfolgen zu können, gründete er ein neues Trickstudio, welches vor allem in der Werbung tätig war, aber auch für den Sender NBC zwei Trickspecials produzierte, die in Deutschland als «Die Dschungelolympiade» veröffentlicht wurden. Als aufgrund des US-Boykotts der Olympischen Spiele 1980 die Ausstrahlung und somit auch die Zahlung für die Produktion aufgeschoben wurde, öffneten sich die Lisberger Studios auch Interessenten von außen. Die Entwicklung an «Tron» schritt voran und man wich vom Plan eines reinen Animationsfilm ab. Stattdessen sollte «Tron» Backlit Animation, Computeranimation und mit Schauspielern gedrehtes Material kombinieren. Unterhaltungen mit Computer- und Videospielexperten änderten unterdessen auch die inhaltliche Gestalt des Projekts. Durch Alan Kay, einem der Miterfinder des Laptops, und seine technischen Visionen beeinflusst, wurde die Thematik von «Tron» über die Videospiel-Gladiatorenkämpfe hinausgehoben. Im endgültigen Skript wurde auch der Wettstreit zwischen Großrechnern (symbolisiert durch den Bösewicht MCP) und Personalcomputern thematisiert, was die Autoren Steven Lisberger und Bonnie MacBird als den Kampf zwischen einem totalitären und einem demokratischen System deuteten. Im gleichen Maße sahen die Macher von «Tron» ihre Geschichte als eine Reflektion des damals unaufhaltsam erscheinenden Aufstrebens des Computerriesen IBM, der andere Mitbewerber und die Subkultur der Hobbyprogrammierer zu verdrängen drohte. Ein weiterer Gedanke, der in den Schreibprozess des endgültigen Drehbuchs für «Tron» einfloss, war das Konzept des digitalen Bürgers. Durch den Computer entstünde, so Steven Lisberger, ein digitales Double jeder Person, die sämtliche bürokratischen Fakten und mehr vereint. Die für die Zukunft entscheidende Frage blieb laut ihm, wer die Kontrolle über diesen Doppelgänger erhält. Ein geistreiches Konzept, welches in «Tron» jedoch, ebenso wie die meisten der angerissenen Grundüberlegungen, bloß marginal zur Geltung kam. Dies dürfte für Mitglieder der Programmiererkultur genügt haben, um in «Tron» einen nicht bloß unterhaltsamen, sondern auch relevanten Kultfilm zu sehen, womit der Grundstein für die spätere Rezeptionsgeschichte des Films gelegt wurde, hinderte «Tron» aber zugleich daran, größere cineastische Ehren zu erhalten.

Mit einem ausgearbeiteten Skript und einem kompletten Storyboardentwurf bot Lisberger «Tron» mehreren Hollywoodstudios an, jedoch zeigte keins Interesse an diesem aufwändigen und ungewöhnlichen Projekt. Als letztes Studio stand Disney an, von dem Lisbergers Team aber überzeugt war, dass es «Tron» ablehnen würde. Als Traditionsstudio mit ausgebildeter Zeichentricksparte wäre es, so Lisberger, sicherlich nicht gewillt, die in «Tron» angedachten modernen Technologien unterstützen wollen. Entgegen aller Erwartungen, fand er bei Disney Gehör.

Der Wunsch: «Star Wars» für die Arcade-Generation
Mit «Tron» kam Lisberger zur richtigen Zeit ins richtige Studio. Walt Disney Productions befand sich seit einigen Jahren in einer schweren finanziellen Krise. Anlass war, dass die Geschäftsführung nach dem Tod des Firmengründers in eine filmstilistische Starre verfiel und sich keine Experimente zutraute. New Hollywood und den ersten Blockbustern wurden konsequent altbackene Familienkomödien entgegengesetzt. Ende der 70er begann in den Disney-Studios daraufhin eine Phase des Umbruchs, hoffend, die verlorenen Kinobesucher wiederzuerlangen. Der Sci-Fi-Thriller «Das schwarze Loch» war die erste Disney-Produktion, die in den USA keine uneingeschränkte Altersempfehlung erhielt. Nicht zuletzt wegen ihres spröden Drehbuchs floppte sie. Ron Miller, Walt Disneys Schwiegersohn und einer weniger konservativen Filmproduktion gegenüber aufgeschlossen, stieg 1980 zum Präsidenten des Konzerns auf und beförderte Tom Wilhite, den damals 27-jährigen Leiter der Publicityabteilung, zum Vorsitzenden der Filmabteilung. Händeringend suchten sie nach weiteren unkonventionellen, mutigen und andersartigen Konzepten, die das jugendliche Publikum zu Disney zurückholen sollten.

In den Augen Millers und Wilhites bot «Tron» exakt das, was Disney in den frühen 80er Jahren benötigte. Weitere Unterstützung erhielt das Projekt von Harrison Ellenshaw, Sohn von Disneys renommierten Matte Painter Peter Ellenshaw und verantwortlich für die Maskenmalereien in «Star Wars», der bei «Tron» letztlich als Associate Producer tätig war und sich bei der Koordination der Effektaufnahmen behilflich zeigte. Befürchtungen, der Film könne in seiner Andersartigkeit Disneys Image ankratzen oder zu wagemutig für einen kommerziellen Erfolg sein, gab es nicht, eher herrschte die gegenteilige Mentalität. Die einzigen Befürchtungen betrafen die technischen Herausforderungen von «Tron» sowie Lisbergers Unerfahrenheit als Kinoregisseur. Das Studio gab Testaufnahmen in Auftrag, nach deren Sichtung «Tron» grünes Licht erhielt. Bloß Disneys Animatorenteam zeigte sich «Tron» gegenüber widerwillig. Viele Zeichner waren von den Möglichkeiten der Computeranimation eingeschüchtert und wollten sich nicht an der Arbeit an einem Film beteiligen, mit dem sie möglicherweise der Zeichentrickkunst das Grab schaufeln könnten. Deswegen versuchte sich zunächst Lisbergers Team im Alleingang an den Effektzeichnungen und der Backlit Animation für «Tron», welche dem Sci-Fi-Film seinen distinktives Äußeres verleihen sollte.

Womit «Tron» bereits während der Produktionszeit das meiste Aufsehen erregte, war sein massiver Einsatz von Computeranimation. Rund zwanzig Minuten des Films enthalten Computeraufnahmen. Es war der erste Film, der in solchen Ausmaßen auf Computertechnologie zurückgriff, zuvor wurden in nur wenigen Hollywoodproduktionen wenige, vereinzelte Effekte am Computer realisiert. Die Computeranimation in «Tron» wurde von insgesamt vier Effekthäusern gestemmt und brachte die damalige Computertechnologie mehrfach an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Um etwa die weitreichenden Computerhintergründe in «Tron» zu ermöglichen, musste ein heutzutage alltägliches Verfahren namens Depth Cloying entwickelt werden. Die Computerbilder waren kristallklar, vollkommen gleich, wie weit entfernt ein Objekt in der Aufnahme erscheinen sollte. Ohne Defokussierung und Abschwächung der Farbe konnte so aber keine Tiefenwirkung erzeugt werden. Durch Depth Cloying wurde eben diese für eine glaubwürdigere Perspektive benötigte Unschärfe simuliert, indem der Computer die Progression der Objekte entsprechend ihrer Entfernung von der digitalen Kamera berechnet.

Aufgrund der Effektlastigkeit von «Tron» und der während der Dreharbeiten bei Jugendlichen weiter gestiegenen Beliebtheit von Arcaden, ging das Studio davon aus, einen sicheren Blockbuster der Ausmaße einer Spielberg-Produktion oder sogar «Star Wars» auf der Hand zu haben.

Die Realität: Nischenkult statt Kassenschlager
Der Sommer 1982 kam, und mit ihm «E.T.», «Star Trek II», «Poltergeist» und «Tron». Die Kinoeinnahmen des für Disney so entscheidenden Sci-Fi-Films, wurden mit gemischten Gefühlen aufgenommen: Bei einem Budget von ca. 17 Millionen Dollar nahm er in den USA ca. 33 Millionen an den Kinokassen ein, was für das Studio zwar einen dringend benötigten Erfolg darstellte, aber weit hinter den Erwartungen zurücklag. In den Kinocharts reichte es nicht einmal für die Top 20 des Jahres. Es genügte allerdings, um mit «Blade Runner» einen anderen Sci-Fi-Meilenstein von 1982 an den Kinokassen zu überholen.

Doch wieso war «Tron» bloß ein sehr mäßiger Erfolg beschieden? Eine Teilschuld lässt sich, neben der harten Konkurrenz in den Kinosälen, gewiss dem Drehbuch zuschreiben: Wie bereits erwähnt, nahm die computeraffine Subkultur «Tron» mit offenen Armen auf, da er für sie relevante Themen behandelte. Mangels Konkurrenz in diesem Filmsektor ließ sich über die teils hölzerne und naive umgesetzte Reflektion über den Einfluss der Computertechnologie auf den Alltag hinwegsehen. Für das Massenpublikum, welches 1982 längst nicht so viel digitale Erfahrungen gesammelt hat, war der Informatikjargon und das generelle Thema jedoch zu abschreckend, insbesondere, da sich die Autoren nicht um massenverständliche Erklärungen kümmerten. Identifikation mit den Figuren war kaum möglich, da sie sehr schwach charakterisiert wurden und man sie ob ihres Designs schnell verwechseln konnte. In der mittlerweile legendären Lightcycle-Rennsequenz ändert sich sogar das den restlichen Film über eingehaltene Farbschema, mit dem sich die Guten von den Bösen unterscheiden ließen. Solche Kleinigkeiten distanzierten in ihrer enormen Häufung das Publikum von der Geschichte. Damalige Marktforschungen des Studios besagten außerdem, dass der Disney-Markenname weitere potentielle Zuschauer verschreckte. Somit war «Tron» wegweisend für die kurz daraufhin von der Geschäftsführung genehmigte Gründung von Touchstone Pictures, eines zweiten Filmstudios, das ohne die Disneyprägung auskam und sich auf Filme für ein älteres Publikum konzentrierte.

Der Zahn der Zeit war derweil sehr gnädig mit «Tron». Kinder und Jugendliche, die ihn im Kino sahen, behielten ihn großteils gut in Erinnerung und machten ihn auf Videokassette zum Kultklassiker. Die zunehmende Computerisierung der Gesellschaft dürfte ebenfalls das Verständnis für «Tron» geweitet haben. Visuell sollte «Tron» einmalig bleiben, und das ungewöhnliche Design des Films erhielt in den 90ern rückblickend einen Retro-Charme. Und einige Cineasten erkannten mit zeitlichem Abstand die Bedeutung von «Tron» als Meilenstein der Computeranimation.

Wie sehr sich nach «Tron» die Bedeutung der Computeranimation änderte, verdeutlicht wohl am eindrucksvollsten seine Oscar-Disqualifikation in der Effektkategorie, weil die Academy den Computereinsatz als Mogelei einschätzte. So etwas war bereits wenige Jahre später undenkbar.

Am 27. Januar 2011 startet «Tron: Legacy» in den deutschen Kinos. Bereits vor dem Filmstart ist das Interesse an der Disney-Produktion riesig.

Das Erbe von «Tron»
In den 90er Jahren wuchs nicht nur der Kultzuschauerkreis für «Tron», auch sein Einfluss auf die Filmwelt zeigte sich mit zunehmender Deutlichkeit. Beispielsweise kam der damaligen Konzeptzeichner und Storyboarder Roger Allers durch seine Arbeit an «Tron» erstmals zu den Disney-Studios. Kurz nach «Tron» versuchte er sein Glück in Animationshäusern außerhalb der USA, bevor er 1985 zu Disney zurückkehrte, nun als Angestellter in Disneys Zeichentrickabteilung. Allers arbeitete an der Story zu «Oliver & Co.» und «Aladdin» mit, bevor er die Regie bei «Der König der Löwen» übernahm, dem bis dato weltweit erfolgreichsten Zeichentrickfilm.

Den umgekehrten Weg nahm hingegen John Lasseter: Dieser war während der Produktion von «Tron» als Zeichner am Kurzfilm «Mickys Weihnachtserzählung», einige befreundete Animatoren waren allerdings an «Tron» beteiligt, weshalb er sich aus Neugier deren Arbeit ansah. Von dem gezeigten Material beeindruckt, drängte er seine Vorgesetzten, sich stärker der Computeranimation zuzuwenden, stieß letztlich aber bloß auf taube Ohren. Lasseter verließ Disney und ging zu dem Animationshaus, welches heute als Pixar Animation Studios bekannt ist, wo er nach einigen Oscar-prämierten Kurzfilmen die Regie bei «Toy Story 1 & 2», «Das große Krabbeln» und «Cars» übernahm und bei sämtlichen anderen Produktionen ebenfalls eine Schlüsselrolle besetzte. Lasseter, nun kreativer Leiter der Disney-Trickstudios, beteuerte in Interviews mehrfach, er hätte ohne «Tron» niemals diesen Weg eingeschlagen.

Während Backlit Animation aus der Mode kam, bewies sich «Tron» selbstredend als Vorreiter intensiver Computereffekte. Doch auch die Dreharbeiten selbst waren eine kleine Pionierleistung: «Tron» wurde nahezu ohne Setbauten auf einer komplett schwarzen Bühne gedreht. Ein damals vollkommen ungewohntes Vorgehen, welches «Tron» die Mitwirkung von Peter O’Toole kostete. Dieser zeigte sich vom Drehbuch begeistert, zog sich aber enttäuscht vom Projekt zurück, als er erfuhr, dass keine aufwändigen Bühnenbauten und Requisiten geplant waren. Mittlerweile gehören komplett oder zumindest großteils vor Blue-/Greenscrenn gedrehte Filme wie «Sin City», «Avatar» oder «Alice im Wunderland» zum Alltag in Hollywood.

Die Entwicklungen hinter den Kulissen Hollywoods und die stetig wachsende Kultgemeinde, die «Tron» zu einem langfristigen Profitbringer für Disney machte, ließen im Studio die Gewissheit aufkommen, dass «Tron» lediglich seiner Zeit voraus war und in der modernen Filmwelt wesentlich besser angekommen wäre. Deswegen wurden in den 90ern erste Pläne für einen neuen «Tron»-Film geschmiedet, wobei Unklarheit bestand, ob ein Remake oder eine die Entstehung des Internets berücksichtigende Fortsetzung der richtige Schritt wäre. Viele unbestätigte Gerüchte entstanden, angeblich soll auch Pixar kurzzeitig über eine animierte Fortsetzung nachgedacht haben. 2002 wurde auf der Jubiläums-DVD von «Tron» in einer ausführlichen Dokumentation bestätigt, dass Steven Lisberger ein Konzept für einen neuen «Tron»-Film habe. Rund drei Jahre später heuerte das Studio zudem zwei Autoren an, die mit einem Drehbuchentwurf beauftragt wurden. 2006 brachte Disney mit hohem Marketingaufwand ein Computerspiel namens «Tron 2.0» sowie dessen Handlung begleitende Comics auf den Markt, in der Hoffnung den Kult um «Tron» weiter anzufachen und basierend auf «Tron 2.0» weitere Software-Titel und einen Film zu veröffentlichen. Ernsthafte Gestalt nahmen Disneys Pläne allerdings erst im Juli 2007 an.

Die Geschichte wiederholt sich: Der Weg zu «Tron: Legacy»
Im Juli 2007 trafen sich Comicautor und Werbefilmer Joseph Kosinski und Produzent Sean Bailey («Gone Baby Gone»), um über mögliche Filmprojekte zu sprechen. Bailey wollte wissen, wie Joseph Kosinski den seit mehreren Jahren erfolglos in der Planungsphase feststeckenden zweiten «Tron»-Film angehen würde. Kosinski legte sofort fest, dass er sich aus Respekt gegenüber dem Original keinesfalls an «Matrix» orientieren würde und auch kein Interesse habe, einen «Tron»-Film zu drehen, der im Internet spielt. Stattdessen wolle er in einer Welt wie der des Originals bleiben und sie dem heutigen technischen Standard anpassen, nicht jedoch dem Mainstream-Geschmack. Bailey und Kosinski vertieften diese Pläne und sahen auch die 3D-Technologie als integralen Teil eines neuen «Tron»-Films. Mit seinem Entwurf trat das Duo an die Disney-Studios heran und bat, statt stundenlang die Pläne für den zweiten «Tron» nachzuerzählen, ein Konzeptvideo drehen zu dürfen. Da das Studio der «Tron»-Fortsetzung eine hohe Priorität einräumte, wurde Kosinski das nötige Geld zur Verfügung gestellt. Er und Bailey gewannen Jeff Bridges für ihr Promovideo, welches auf der San Diego Comic Con 2008 als unangekündigter Testballon im Anschluss an eines der Disney-Panel aufgeführt wurde. Das Studio wollte anhand der Reaktionen das Urteil fällen, ob genügend Publikumsinteresse für eine «Tron»-Fortsetzung und Kosinskis visuell modernisierten Ansatz am «Tron»-Design besteht.

Die Publikumsreaktionen auf der Comic Con waren durchweg positiv, woraufhin das Studio Bailey und Kosinski freies Geleit gab: In einem Interview mit First Showing erklärte Kosinski, dass das Studio ihm gegenüber mehrmals betonte, er dürfe die Definition des Disney-Markennamens mit «Tron: Legacy» neu schreiben und dass er deswegen künstlerische Freiheit genoss. Als Mentor und Berater wurde Steven Lisberger herangezogen, er beteiligte sich außerdem als Produzent.

Die Veröffentlichung des Konzeptfilms auf der Comic Con 2008 war allerdings nicht nur der Startschuss für die Produktion von «Tron: Legacy», sondern lässt sich gleichzeitig als Beginn einer der längsten und aufwändigsten Marketingkampagnen Hollywoods betrachten. Die Kernzielgruppe von «Tron: Legacy» überschneidet sich mit dem Publikum der Comic Con, und so wurden sehr schnell genau diese potentiellen Kinogänger frühzeitig auf den Film aufmerksam gemacht. Das Konzeptvideo hätte auch in einem anderen Rahmen getestet werden können, aber die Comic Con war der wesentlich kommunikativste. Ein Jahr später hielt Disney auf der Comic Con eine Schnitzeljagd ab, die die Messenbesucher in eine Nachbildung der Spielhalle aus «Tron» führte, wo in einem versteckten Raum zu Demoversionen von Daft Punks «Tron: Legacy»-Filmmusik Requisiten aus der anstehenden Fortsetzung ausgestellt waren. Es folgten weitere virale Onlineaktionen, bei denen es Preise zu gewinnen gab, sowie eine gestellte Pressekonferenz der fiktiven Softwarefirma ENCOM. Laut der New York Times meldeten sich insgesamt über 4,5 Millionen Leute auf der Webseite an, über die Disney dieses virale Marketing koordinierte.
In Disney’s California Adventure Park fanden in den letzten Monaten vor Kinostart dreimal wöchentlich «Tron: Legacy»-Themennächte statt und im Herbst 2010 wurden außerdem im Rahmen einer «Tron Night» auf über 500 Leinwänden weltweit 23 Minuten aus dem Film gratis aufgeführt.

Diese Promoarbeit, die fast so viel Geld wie die Filmproduktion verschlang, sollte «Tron: Legacy» über das Nischenpublikum seines Vorgängers hinaus bekannt machen und als Kinoevent des Winters 2010/11 etablieren. Jedoch zeigte sich der Disney-Konzern in Sachen «Tron» schon einmal äußerst selbstbewusst.

Nach der Veröffentlichung: Was bleibt vom Hype?
Wie zufrieden Disney mit den tatsächlichen Kinoeinnahmen von «Tron: Legacy» sein kann, muss sich erst noch zeigen. Die laut manchen Insidern in vorsichtiger Hoffnung vom Konzern gemutmaßte Milliarde Dollar dürfte an den Kinokassen nahezu unmöglich machbar sein. Die realistischeren studiointern gesetzten Erwartungen wurden dagegen in den USA bislang eingehalten, wenngleich im unteren Bereich des Erwartungshorizontes. «Tron: Legacy» startete in den USA mit einem 44 Millionen Dollar schweren Wochenende, außerhalb der Staaten überschritt er innerhalb von 17 Tagen die 100-Millionen-Dollar-Marke. Das genügt immerhin, um Disney derzeit an den Plänen für eine «Tron»-Animationsserie festhalten zu lassen. Wie die Chancen für den angedachten dritten Teil stehen, wird dagegen wohl vom weltweiten Gesamtergebnis und dem weiteren Verlauf des Merchandisingverkaufs abhängig sein. Bislang ist der Konzern laut Insidern wie dem Medien-Blogger Jim Hill mit den Verkaufszahlen von «Tron: Legacy»-Artikeln jedenfalls äußerst zufrieden. Es scheinen also genügend Kinobesucher von «Tron: Legacy» Gefallen an dem gefunden haben, was sie sahen. Auf IMDb steht «Tron: Legacy» derzeit mit einer durchschnittlichen Benotung von 7,4 auch über seinem Vorgänger, der von den Usern trotz seines Kultstatus bloß eine Bewertung von 6,7 aus 10 Punkten erhielt. Gewissermaßen ist «Tron: Legacy» in all diesen Belangen ein berechtigter Nachfolger von «Tron». Nach riesigen kommerziellen Erwartungen entpuppt er sich als für seine Massenuntauglichkeit passabler Erfolg.

Die durch Aktionen wie der «Tron Night» oder dem aufwändigen viralen Marketing implizierten Parallelen zu «Avatar» oder «The Dark Knight» gehen an der Kinokasse gewiss nicht auf. Jedoch zielt «Tron: Legacy» auch auf einen kleineren Publikumsschnitt ab, als James Camerons Mammutwerk. Wie das Original von 1982 kann «Tron: Legacy» sehr polarisieren und obwohl «Tron: Legacy» mit seinen aufwändigeren und ausführlicheren Actionsequenzen einem etwas breiterem Publikumsschnitt zugänglich ist ,als der in dieser Hinsicht etwas zurückhaltender «Tron», so muss der Zuschauer ein recht hohes Maß an Grundakzeptanz für das Sci-Fi-Konzept des Films mitbringen. «Avatar» war für Leute, die keine Science-Fiction mögen hingegen noch leicht verdaulich.

Nicht bloß kommerziell, auch qualitativ gilt für «Tron: Legacy» das Motto: Gelungen, aber nicht die erhoffte Revolution. Wie bereits «Tron», lud sich das Drehbuch zu «Tron: Legacy» mehr auf, als die Autoren und der das Projekt ausführende Regieanfänger stemmen konnten. Im Falle von «Tron: Legacy» mündete dies in einen recht klassischen Sci-Fi-Plot mit zumeist konventionellen Figuren, die sich aber in einem sehr einfallsreichen Setting befinden. Der Verlauf einzelner Szenen übersteigt die Originalität der Gesamthandlung, und durch die sperrigen Übergänge zwischen den Storyakten werden sehr viele «Tron: Legacy» für dümmer halten, als er eigentlich ist. Denn hinter der simplen Handlung verbirgt sich ein komplexes und faszinierendes Gedankenkonstrukt, das das Verhältnis von unserer Gesellschaft zur Computertechnologie kommentiert. Diese Elemente wurden von den «Lost»-Autoren Edward Kitsis und Adam Horowitz jedoch sehr abstrahiert und implizit in «Tron: Legacy» eingewoben, weshalb sie neben dem audiovisuellen Effektspektakel für die meisten Zuschauer leider untergehen dürften. Zugleich ist «Tron: Legacy» aber auch nicht so smart, wie seine Macher ihn offenbar halten. Und obwohl «Tron: Legacy» mehr Wert als «Tron» auf einen emotionalen Bezugspunkt legt, ist es weiterhin ein eher kühl-distanzierender Film.

Wo «Tron: Legacy» jedoch wirklich glänzt, ist sein Status als Kinoereignis. Die Effektarbeit und die Inszenierung der Actionsequenzen sind hervorragend und Daft Punks packende Filmmusik lässt, insbesondere in Zusammenwirkung mit dem gelungenen 3D, den Kinogänger vollkommen in der Sci-Fi-Welt des Films abtauchen. «Tron: Legacy» ist praktisch eine Achterbahnfahrt durch eine ambitioniert gestaltete Kunstinstallation. Die Geschichte mag keine Begeisterungsstürme auslösen, wer aber dem Look von «Tron: Legacy» etwas abgewinnen kann, wird «Tron: Legacy» als Erlebnis wertschätzen und sicher zu den ersten Kinohighlights 2011 zählen.

Nach fast 30 Jahren Wartezeit wäre eine weniger distanzierende Kinoerfahrung erfreulich gewesen und dass die Fernsehautoren Kitsis und Horowitz nicht derart episodenhaft erzählen, ist ebenfalls eine kleine Enttäuschung. «Tron: Legacy» würde spürbar besser funktionieren, käme seine groß angelegte und im Vergleich zum Original auch düstere Geschichte wie aus einem dramaturgischen Guss, statt nach jeder umwerfenden Passage kurz zu einem Halt kommen. Dennoch ist «Tron: Legacy» aufgrund seiner kaum zu übertreffenden Einheit aus Klang und Bild, guten Darstellerleistungen von Jeff Bridges, Olivia Wilde und Michael Sheen als extrovertierter Nachtclubleiter und den überwältigenden Actionsequenzen sehr unterhaltsam. Man sollte bei «Tron: Legacy» also einfach bloß nicht zu sehr über das nach oben offene Potential nachdenken, sondern sich ganz auf das gelieferte Spektakel konzentrieren. Wer mag, kann nach dem Kinobesuch ja immer noch über die verborgene Bedeutung sinnieren.
03.01.2011 09:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/46787