Glenns Gedanken: 'Alors, satellite no speak over the tik tok rainbow'

Von David Guetta bis Lena - ein musikalischer Jahresrückblick von Glenn Riedmeier.

Das Jahr 2010 ist vorbei, doch einmal möchte ich noch zurückschauen, und zwar auf die musikalischen High- und Lowlights der vergangenen 12 Monate. Wie in jedem Jahr lassen sich beim Blick auf die erfolgreichsten Songs bestimmte Trends feststellen. Waren es noch vor ein paar Jahren neue deutsche Rockbands wie Wir sind Helden, Silbermond oder auch Tokio Hotel, sowie Weltschmerzjammerlyriker wie Xavier Naidoo und Ich+Ich, die die Charts beherrschten, sieht das diesjährige Bild völlig anders aus.

Das Blatt hat sich gewendet, denn statt langweiligen Radiodudelsongs von James Blunt & Co. standen auf einmal wieder partytaugliche House- und Dance-Songs hoch im Kurs. Dieser Trend hat sich schon 2009 mit dem kometenhaften Aufstieg von Lady Gaga angedeutet, und fand in diesem Jahr schließlich seinen Höhepunkt. Ein Name tauchte dabei besonders häufig auf: David Guetta. Wie aus dem Nichts war der französische DJ plötzlich da und verkaufte fortan seine Platten wie warme Semmeln. Dies tat er jedoch nicht nur in Europa, sondern sogar in den bisher Techno-resistenten Vereinigten Staaten von Amerika. Ehemalige R&B-Künstler wie Akon, Rihanna oder Kelly Rowland wechselten daraufhin ihre Stilrichtung und brachten mit Guetta erfolgreiche House-Kracher wie "Sexy Bitch", "Who's That Girl?" und "Commander" heraus. Auch die Black Eyed Peas vollzogen diesen musikalischen Wandel und sind aktuell mit stampfenden Technobeats erfolgreicher als je zuvor. Hiphop und Black Music hatte dagegen im vergangenen Musikjahr auffallend wenig zu melden. Stattdessen konnten sich Katy Perry ("California Gurls"), Newcomerin Ke$ha ("Tik Tok") und der Belgier Stromae ("Alors on danse") mit ihren elektronischen Partyhits durchaus mit jenen von Lady Gaga messen.

Eine weitere Gewinnerin des Jahres ist mit Sicherheit Lena Meyer-Landrut. Die ESC-Siegerin war zeitweise mit drei Songs gleichzeitig in den deutschen Top 4 vertreten. Lena war damit die erste Künstlerin in der Geschichte der deutschen Singlecharts überhaupt, die es auf Anhieb mit drei Titeln auf einmal unter die besten vier geschafft hat. Dies ist keinem nationalen oder internationalen Künstler zuvor gelungen. Ihr Hit "Satellite" wurde monatelang im Radio und Musikfernsehen rauf und runtergespielt, bis man ihn nicht mehr hören konnte. Ähnlich verlief es mit den Songs zur Fußball-WM. "Waka Waka" von Shakira und "Wavin' Flag" von K'naan zählen zu denjenigen Liedern, die man aufgrund von übertriebener Dauerbeschallung in den nächsten Jahren besser nicht mehr hören möchte. Sie gesellen sich zu anderen totgespielten Songs vergangener Jahre wie "Macarena", "Mambo No. 5", "Dragostea din tei" und "Jungle Drum". Der größte Überraschungshit des Jahres dürfte der Titel "Over The Rainbow" des bereits vor 13 Jahren verstorbenen Hawaiianers Israel Kamakawiwo'ole sein. Seine Interpretation des Songs erschien erstmals im Jahr 1993 und wurde auch schon in mehreren Film-Soundtracks verwendet. Als man das Lied im September 2010 neu veröffentlichte, hat wohl niemand damit gerechnet, dass der Song in Deutschland derart durchstarten und monatelang den ersten Platz der Charts belegen würde. Man hat offenbar unbewusst den Zeitgeist getroffen.

Von musikalischen Totalausfällen wie etwa Schnuffel oder Schnappi wurden wir in diesem Jahr dankenswerterweise verschont. Auf der House-Welle schwammen jedoch einige qualitativ minderwertige Beispiele mit, die ungerechtfertigte Chartserfolge feiern konnten. Hier sind vor allem die einfallslosen und auf Dauer nervtötenden Songs "We No Speak Americano" von Yolanda Be Cool & DCup und "Barbra Streisand" von Duck Sauce zu nennen. Die Castingshow-Sänger Mehrzad Marashi und Mark Medlock brachten den üblichen Einheitsbrei und eine üble Coverversion von "Sweat (A La La La La Long)" heraus, die man aber aufgrund von völliger Irrelevanz sofort wieder vergaß. Die ziemlich schrägen Produktionen "Disco Pogo" von den Atzen und "Nein, Mann!" von Laserkraft 3D mögen bei manchen Menschen für Kopfschütteln sorgen; ich empfand sie als gelungene Spaßhits. Bleibt noch der Rohrkrepierer des Jahres und den stellen für mich diesmal die Trittbrettfahrer von Uwu Lena mit dem zwanghaft bemühten "Schland o Schland" dar.

Alles in allem war ich jedoch mit dem Musikjahr 2010 zufrieden und konnte mich für mehr Songs begeistern als in den vergangenen Jahren. Ich drücke die Daumen, dass es 2011 so weitergeht.
02.01.2011 00:00 Uhr  •  Glenn Riedmeier Kurz-URL: qmde.de/46759