Zehn Sendungen, die uns 2010 gefallen haben

Quotenmeter.de lässt das Jahr Revue passieren und hat die Fernsehlandschaft durchforstet: Welche zehn Sendungen konnten sich inhaltlich in diesem Jahr besonders auszeichnen, welche neuen Programme überzeugten auf Anhieb?

2010 war ein mageres Jahr für die neu gestarteten Formate: Nur wenige haben sowohl inhaltlich als auch quotenmäßig überzeugen können. Umso schwerer war es in diesem Jahr, zehn idealerweise neue Programme des deutschen Fernsehens herauszusuchen, die uns Zuschauern wirklich gefallen haben. Insbesondere die Privatsender haben in diesem Jahr mit frischen Formaten nicht überzeugen können – in der Quotenmeter.de-Hitliste taucht mit «Die perfekte Minute» (Sat.1) lediglich eine Show auf, die aus der Masse der Neustarts besonders hervorzuheben ist. Und so gibt es neben einigen neuen Formaten auch mit «Hart aber fair» und «Schlag den Raab» zwei Sendungen, die schon 2009 in unserem Ranking aufgetaucht sind. Am meisten haben uns übrigens zahlreiche TV-Programme der ARD gefallen: Gleich fünfmal sind sie vertreten. Wie immer gilt für diese Liste: Die Meinung ist rein subjektiv, die Reihenfolge der genannten Sendungen willkürlich.

Entweder Broder (Das Erste)
Dort, wo Publizist Henryk M. Broder auftaucht, riecht es immer nach Provokation. Aus seiner Tugend hat er seinen Beruf gemacht und agitiert gegen das Ungerechte, das offensichtlich Makelhafte in unserer Gesellschaft. Um seine Meinung zu vermitteln und den Leuten die Augen zu öffnen, greift er gerne auch zu plakativ-provokanten Mitteln: In einer Folge der hervorragenden Doku-Reihe «Entweder Broder» verkleidete er sich als lebendiges Holocaust-Mahnmal an der Gedenkstätte in Berlin, um darauf aufmerksam zu machen, wie sinnlos dieses Mahnmal eigentlich angesichts der immer noch wütenden Ungerechtigkeit und des in der Welt verbreiteten Antisemitismus ist. Die Sendung ist konzipiert als „Deutschland-Safari“, in der Broder und der islamkritische Autor Hamed Abdel-Samad unser Land auf seine Integrationsfähigkeit überprüfen, alte Ressentiments aufzeigen und auch den sogenannten Gutmenschen der Gesellschaft auflauern. Selten hat es einen solchen Spaß gemacht, seine eigenen Vorurteile zu überprüfen oder zu bestätigen, selten hat eine Sendung die Defizite des interkulturellen Austauschs so prägnant dargestellt wie «Entweder Broder». Fortsetzung bitte!

Die perfekte Minute (Sat.1)
Als Ulla Kock am Brink im Frühjahr mit der Show «Die perfekte Minute» bei Sat.1 ihr Fernsehcomeback feierte, wollte niemand so recht glauben, dass dies funktionieren kann. Doch das tat es: Die Einschaltquoten der zweistündigen Freitagssendung waren meist gut, die inhaltliche Qualität des Formats stimmte ebenso. Die Show, in der Kandidaten bestimmte Geschicklichkeitsspiele innerhalb kurzer Zeit absolvieren müssen, hat einige der spannendsten Momente des TV-Unterhaltungsjahres hervorgebracht – gerade in den Situationen, als der Kandidat eigentlich schon ausgeschieden war, das Spiel aber doch noch in letzter Millisekunde gewann. «Die perfekte Minute» machte vieles von dem richtig, was zahlreiche andere Gameshows im Privatfernsehen in den vergangenen Jahren vermissen ließen. Man ließ meist sympathische Kandidaten antreten, baute richtige Spannung auf, hatte die perfekte Moderatorin und ein simples, aber herausforderndes Konzept. Für die zweite Staffel 2011 sollte höchstens am Timing geschraubt werden, damit sich die Sendung nicht in Leerlauf und punktueller Langeweile verliert.

WM im Ersten (Das Erste)
Noch einmal Netzer und Delling: Schon jetzt denkt man mit Wehmut an die grandiosen Wortgefechte des Fußball-Moderationsduos zurück, wenn man die aktuellen Kommentatoren begutachtet. Diese Hass-Liebe, die stetige Anspannung und Konkurrenz zwischen „Milchbubi“ Delling und Netzer, der aus der Tiefe des Fußballjargon-Raumes stürmt – eine solch gelungene und wirklich unkonventionelle Kombination wird es nie mehr geben. Wenn immer ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft schlecht und einschläfernd war: Wir konnten uns stets darauf verlassen, dass Delling und Netzer anschließend wieder unterhalten würden. Gerade die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika, die das Ende von Netzers Expertenkarriere im Ersten darstellte, zeigte noch einmal das kongeniale Duo in Perfektion. Beispielsweise als Günter Netzer sich beim Eröffnungsspiel über die anhaltenden Tröt-Geräusche der Vuvuzelas kaputtlachte oder als er sich von Delling im letzten Spiel verabschiedete. Vielen Dank für zwölf Jahre beste Unterhaltung abseits des Spielfeldes!

Im Angesicht des Verbrechens (Das Erste)
Die Serie von Regisseur Dominik Graf kam zwar am Freitagabend beim Publikum nicht an – nur circa zwei Millionen sahen durchschnittlich zu –, aber von der Presse und den Kritikern wurde das Format um die Berliner Polizisten Marek Gorsky und Sven Lottner gefeiert. Der Regisseur selber bezeichnete seinen laut der Wochenzeitung DIE ZEIT titulierten „Meilenstein der TV-Geschichte“ als Miniserie oder sogar filmisches Werk. Denn die zehnteilige erste Staffel entfaltete ihr ganzes inhaltliches Konzept, ihre verwobene Story nach und nach, offenbarte ihre Komplexität mit jeder Folge etwas mehr. Dass «Im Angesicht des Verbrechens» gerade auf der technischen Darstellungsebene unkonventionell, manchmal geradezu avantgardistisch daherkommt, ist bei der Arbeit von Graf nicht verwunderlich. Aber gerade die hervorragenden schauspielerischen Darbietungen im Milieu der Russenmafia sind auf der inhaltlichen Ebene genauso würdigungsvoll. Die ARD hat das Format aufgrund der schlechten Einschaltquoten unsinnigerweise mit einer Dreifach-Ausstrahlung eine Woche früher als geplant beendet und eine Kurzschlussreaktion offenbart, die sonst nur vom Privatfernsehen bekannt ist. Für eine weitere Staffel forderte ARD-Programmchef Volker Herres weniger Gewalt, um eine frühere Sendezeit zu rechtfertigen. Dass Graf sich darauf einlässt und seine Vision und künstlerische Freiheit zugunsten der Quote aufgibt, ist nur schwer vorstellbar. Behalten wir «Im Angesicht des Verbrechens» also als wunderbares, zehnteiliges Fernsehepos in Erinnerung.

Schlag den Raab (ProSieben)
2010 war das Jahr des Stefan Raab: Mit Lena Meyer-Landrut schaffte er es, nach 30 Jahren wieder den Eurovision Song Contest für Deutschland zu gewinnen. Nebenbei duellierte er sich auch noch diverse Male am Samstagabend – die Freizeitbeschäftigung Raabs, die von Millionen Zuschauern immer wieder genüsslich bis nach Mitternacht verfolgt wird. Auch 2010 steht «Schlag den Raab» in der Liste unserer Lieblingssendungen wieder ganz oben, weil das Showkonzept auch noch nach Jahren so gut funktioniert wie kein zweites im deutschen Fernsehen. Die Quoten geben uns recht: Gleich zweimal stellte die Sendung 2010 neue Reichweitenrekorde auf – der aktuelle Topwert datiert vom 18. September, als genau 4,00 Millionen Zuschauer sahen, wie Kandidat Thorsten erst im letzten Spiel die Million einheimsen konnte. Auch die Reichweite bei den werberelevanten Zuschauern war mit 2,83 Millionen so hoch wie noch nie. Genau bei dieser Ausgabe war es auch spannend wie selten zuvor. Keine Sendung hat es je geschafft, uns Zuschauer bis nach Mitternacht vor den Fernsehern gespannt ausharren zu lassen - Raab schaffte das in diesem Jahr besser als je zuvor.

Auf der nächsten Seite: Fünf weitere TV-Highlights des Jahres 2010.

Rette die Million! (ZDF)
Jörg Pilawas Rückkehr ins Fernsehen wurde millionenfach verfolgt. Nach zwischenzeitlichen Planungen, im ZDF ein wöchentliches Magazin zu moderieren, blieb der Schuster Pilawa allerdings bei seinen Leisten – und moderierte wieder mal eine Quizshow. Daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen, gehört er schließlich zu den besten Unterhaltungs-Moderatoren im deutschen Fernsehen. Noch besser, wenn er sich vom angestaubten Quizkonzept löst und mit «Rette die Million!» ein wenig frischen Wind ins Genre bringt. Leider wurde die Berichterstattung der ersten Ausgabe von übertriebenen und hochstilisierten Pannen während der Studio-Aufzeichnung überschattet. Was in der ersten Show inhaltlich noch an Unstimmigkeiten und Fehlern bestand, wurde in der zweiten Ausgabe direkt ausgemerzt – so funktioniert Qualitätsmanagement. Ein hervorragend in Szene gesetztes Studio, bisher sympathische Kandidaten und das angesprochene interessante Konzept machten Lust auf mehr. Ein Problem hat die Show noch: Die Kandidaten wissen selbst noch nicht, wie risikoreich sie spielen dürfen und sollen, wie sie die Regeln einzuschätzen haben. Dies wird sich wie bei allen großen Shows erst mit einem regelmäßigen Ausstrahlungsrhythmus einspielen – 20 Ausgaben sind aktuell für 2011 geplant; es dürften gern noch einige mehr werden.

Harald Schmidt (Das Erste)
Der Altmeister kann es ja doch noch. Besonders die erste Staffel der neuen «Harald Schmidt»-Sendung, die von Herbst 2009 bis Frühjahr 2010 gesendet wurde, hielt einige starke Highlights bereit, die man vom 53-jährigen Entertainer Schmidt gar nicht mehr gewohnt war. Er machte die Ankündigung wahr, nur noch das zu tun, wozu er Lust hatte – und dies merkte man ihn in den meisten Sendungen an. Besonders die Interviews mit Gästen – sonst oft ein peinlicher Dialog über die neueste CD oder den aktuellen Film – waren in der ersten Staffel der Show erfrischend und großartig, beispielsweise jene mit den Schriftstellern Sibylle Berg, Rainald Goetz oder dem Kolumnisten Hans Zippert. «Harald Schmidt» wurde zu einer Sendung abseits des Mainstreams, dem sich Schmidt in der Pocher-Zeit verschrieben hatte. Und so erlebten wir den besten Schmidt seiner ARD-Zeit im ersten Halbjahr 2010. Leider baute die zweite Staffel ab: Das Ensemble wurde teils ausgetauscht, Schmidt begrüßte zuletzt auch wieder die „üblichen Verdächtigen“ als Gäste wie die «X Factor»-Gewinnerin oder RTL-Moderator Peter Kloeppel.

Hart aber fair (Das Erste)
Oft ist die Einschaltquote kein Indikator für die inhaltliche Qualität eines Fernsehprogramms. Im Falle von «Hart aber fair», dem Polit-Talk mit Frank Plasberg im Ersten, trifft dieser Umstand gerade 2010 aber zu: Mit hervorragenden Gesprächen, investigativen Beiträgen und kontroversen Debatten talkte sich Plasberg in die Köpfe der Zuschauer und brach eigene Quotenrekorde. Der Höhepunkt: Die Diskussion über die Scientology-Sekte am 31. März, die von 7,47 Millionen Bundesbürgern verfolgt wurde und den Jahresbestwert für einen Polit-Talk aufstellte. Die Entwicklung dieses Formats ist bewundernswert: Jahrelang sträubte man sich dagegen, die WDR-Sendung ins Erste zu verlegen – auch weil die Möglichkeit des Misserfolgs bestand. Doch Qualität setzt sich durch, 2010 ist «Hart aber fair» mehr denn je feste Institution im fernsehtechnischen Polit-Zirkus und nicht mehr wegzudenken. Im Herbst 2011 wird Plasbergs Sendung auf den Montagabend verlegt. Und ein weiteres Kapitel in der spannenden Geschichte dieses Formats beginnt.

Ohne Geld bis ans Ende der Welt (ZDFneo)
Allgemein machte der neue, junge Sender ZDFneo im Jahr 2010 viel Spaß. Besonders unterhaltsam gestaltete sich die Doku-Reihe «Ohne Geld bis ans Ende der Welt», in der Reporter Michael Wigge im Selbstversuch ohne einen Pfennig Geld loszog, um die Welt zu besuchen. Was er auf seiner globalen Reise erlebte, hielt er selbst die gesamte Zeit über mit seiner eigenen Handkamera fest – und diese bewegten Bilder konnten wir später vor den heimischen Fernsehern genießen. Das Eintauchen in fremde Welten mit Wigge machte deshalb so viel Spaß, weil es ein unberechenbares Moment barg: Nie wusste man als Zuschauer, was Wigge sich jetzt einfallen ließ, um weiterzukommen oder im wahrsten Sinne des Wortes zu überleben. Die von 150 Reisetagen zu fünf TV-Episoden komprimierte Abenteuerreise zeigte das gesamte Reporter-Spektrum der Gefühle; von Glück über Trauer bis zur totalen Erschöpfung hielt die Kamera alles fest. Selten war eine Dokumentation so persönlich, deshalb so aufschlussreich bezüglich des Umgangs mit anderen Kulturen wie «Ohne Geld bis ans Ende der Welt».

MTV Home (MTV)
Der Lichtblick im Programm des Alibi-Musiksenders MTV heißt «MTV Home» - die Sendung mit dem Haus. Moderiert wird die Show von Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt. Der Titel ist Programm: Das Studio ist eingerichtet wie das Wohnzimmer einer typischen WG; von Couch, Kommode bis hin zum Kühlschrank ist alles vorhanden. Das Konzept der Sendung: Man empfängt prominente Gäste und einen Musikact pro Show. Der Rest der Sendezeit wird durch amüsante Einspielfilme bestritten. Joko & Klaas sind die Shooting Stars von MTV, da beide rhetorisch auf Zack sind und eine Spontaneität an den Tag legen, die man bei vielen Nachwuchsmoderatoren vermisst. Die Einspielfilme sind jedoch das eigentliche Herzstück der Sendung. In diversen Kategorien wie "Aushalten" oder "Wenn ich du wäre" liefern sich Joko & Klaas absurde Rivalitätskämpfe, wie z.B.: Wer hält es länger aus, ein WM-Spiel der deutschen Mannschaft nicht zu sehen? Die beiden Moderatoren funktionieren perfekt zusammen, und es macht einfach Spaß zu sehen, wie sie sich in ihrer Hass-Liebe gegenseitig übertrumpfen. Bei «MTV Home» findet man all den Mut und die Experimentierfreude, die man bei den Produktionen der großen Sender inzwischen schmerzlich vermisst. Text von Glenn Riedmeier
11.12.2010 09:00 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/46389