Die Kritiker: «Kreutzer kommt»

Story
Die Sängerin Dinah wird im Nachtclub eines Nobelhotels tot aufgefunden. Die Umstände ihres Tods sind unklar und genauso mysteriös, hat sie wenige Stunden zuvor noch auf der Bühne gestanden. Eine Schar von Polizisten sichert den Tatort. Den Mordfall wird Kommissar Kreutzer übernehmen, heißt es. Über seine Methoden wird geschmunzelt. Doch er Ermittler ist ambitioniert – und sonderbar. So einen Kommissar gab es noch nie: In exakt vier Stunden, 37 Minuten und 48 Sekunden löst er seine Fälle und das mit ganz eigenartigen Methoden. Kreutzers Assistentin Belinda hat schon alle Verdächtigen registriert. Keiner darf gehen, alle müssen warten, bis Kreutzer kommt – doch der ist längst da und nimmt unverhohlen seine Ermittlungen auf.

Darsteller
Christoph Maria Herbst («Stromberg») ist Kommissar Kreutzer
Rosalie Thomass («Bergfest») ist Assistentin Belinda
Leslie Malton («Unschuld») ist Marga
Natalia Avelon («Kommissar LaBréa») ist Rike
Florence Kasumba («Kongo») ist Dinah
Katharina Müller-Elmau («Vincent will Meer») ist Ute Sauber
Jan Messutat («Tatort», «SOKO Köln») ist Thilo Kopp
Fritz Roth («SOKO Wismar») ist Leo Gögh
Tyron Ricketts («SOKO Leipzig») ist Fats
Ricky Watson («Wir sind die Nacht») ist Rick Egobel
Errol Trotman-Harewood («Lippels Traum») ist Chet
Ludwig Trepte («Aghet – ein Völkermord») ist Roger

Kritik
„Ich bin Kreutzer. Ich löse den Fall hier“ - was ebenso selbstbewusst wie selbstherrlich klingt, grenzt die Spielwiese des neuen Krimis auf ProSieben ab. Der Ermittler, der dem Film seinen Namen gibt, ist dabei ein sonderbarer Fall. Manipulativ, intrigant und fies. Aber auch clever, mit Durchblick und von sich überzeugt. Soweit der Charakter der Hauptfigur – insofern man ihn beschreiben kann. Denn Christoph Maria Herbst macht es dem Zuschauer mit seiner brillanten Darstellung des Kommissar Kreutzer schwer, diese Ermittler-Figur gänzlich zu durchschauen. Denn das würde den sonderbaren Ermittler nur berechnend machen, dabei ist er genau das Gegenteil: Unberechenbar. Ein Genie also, das zu unkonventionellen Methoden greift. Ein Fiesling, dem der Erfolg mit einer überragenden Quote aber Recht gibt. Nicht unüblich in der Fernseh-Realität. Denkt man in der einen Szene noch „was für ein Arsch“, bewundert man nur Minuten später die Fähigkeiten des Kommissar Kreutzer bei der Aufklärung des Mordfalls. Der Spagat zwischen Gut und Böse macht den Charakter gerade so interessant. Wie zum Beispiel bei «Dr. House» - zu allen ist er gemein, doch am Ende löst auch er immer den Fall. Natürlich gibt es auch noch weitere Beispiele in der Filmgeschichte, wo die besten Detektive soziale Unsympathen waren. Doch trotzdem – die Figur des Kommissar Kreutzer bleibt einzigartig. Gerade weil Christoph Maria Herbst ihr eine besondere Note einhaucht. Denn das klassische Krimi-Rezept wird nach einer kurzen Einführung komplett über den Haufen geworfen. Chaotisch anmutende Situationen revolutionieren das Genre, das ab dem ersten Auftritt von Kreutzer auf links gedreht wird.

Von der These „Christoph Maria Herbst kann nur «Stromberg»“ muss und kann man sich getrost verabschieden. Denn sein Schauspiel in «Kreutzer kommt» erinnert sehr wenig an «Stromberg». Auch wenn sich die beiden Charaktere Stromberg und Kreutzer in gewisser Hinsicht auch ähnlich sind, hat der Genrewechsel Christoph Maria Herbst geholfen ein Stück weit vom Image des Versicherungsmanns weg zu kommen. Als Charakterdarsteller stellt Christoph Maria Herbst seine Erstklassigkeit unter Beweis, lässt den Humor weitgehend außen vor und liefert den Beleg dafür, dass er auch mehr kann als nur «Stromberg». Mit Bravour verkörpert er mit Kreutzer eine weitere schillernde Figur, die für ihn maßgeschneidert scheint. Auch weil Kreutzer im Laufe der abwechslungsreichen Geschichte verschiedene Gesichter offenbart. Mal tut er verständnisvoll, mitfühlend oder zeigt sich als guter Freund, der nur helfen will. Dann dreht er sich wieder um 360 Grad, lockt die ahnungslosen Nebencharaktere in seine Fallen oder verführt und verunsichert seine Mitmenschen. Die Geheimnisse, Ängste und seltsamen Verstrickungen spielt der Ermittler Kreutzer so aus. Die Mordverdächtigen werden sozusagen zum Spielball seiner Ermittlungen. Die Methoden selbst würde man in einem «Tatort» nie sehen. Kreutzer greift zu Psycho-Tricks, manipuliert und schürt Intrigen. Sein Ziel hat er ehrgeizig wie besessen immer fest im Blick: Den Fall lösen. Genau in vier Stunden, 37 Minuten und 48 Sekunden! Die zeitliche Maßgabe ist dabei nur ein weiteres Indiz des Selbstbewusstseins des hartnäckigen Kommissars. Zur Seite steht ihm nur seine Assistentin Belinda, alle anderen belächeln den provokanten Kommissar und seine unkonventionellen Methoden. Doch das ist dem Ermittler-Genie ganz egal – denn er löst den Fall, so oder so. Knallhart, echt und abgebrüht setzt Christoph Maria Herbst seinen Kreutzer in Szene – da macht das Zusehen Spaß.

Auch nicht neu, aber bemerkenswert ist eine weitere Eigenheit von «Kreutzer kommt». Die Film-Handlung definiert sich für gewöhnlich durch die Vereinbarkeit von Raum und Zeit. Denn meistens gibt es mehrere Szenen an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Nicht viele Kriminalfilme schaffen es dabei die Handlung nur an einem Ort spielen zu lassen. Dass «Kreutzer kommt» also über die gesamte Länge als Schauplatz nur ein Nobelhotel zu bieten hat, mag auf den ersten Blick eintönig klingen, doch auf den zweiten ringt das gehörigen Respekt ab. Denn keiner der Charaktere verlässt das Gebäude, in dem der Mord geschah und trotz des Umstands, dass kein Ortswechsel stattfindet, bleibt der Kriminalfilm durchgehend spannend und löst absolut keine Langeweile aus.

Die wunderbaren Dialoge zwischen den Krimi-typischen Charakteren, die sogar richtig klischeehaft ausgewählt wurden, und dem abgebrühten Kommissar, verankert im Drehbuch von Christian Jeltsch, schaffen es das Publikum zu elektrisieren. Neben einigen Szenen, wo es auch mal handgreiflich zur Sache geht, sind es aber vor allem die Verhöre des Kommissar Kreutzer, die die Spannung immer wieder zusätzlich anheizen. Ist der Zuschauer einmal warm geworden, hält man ihn keineswegs auf Sparflamme, sondern legt immer mehr nach. Dabei kommt das gute filmische Handwerk von Krimi-Regisseur Richard Huber zum Tragen, der weitere Dynamik in den modernen Krimi bringt. Denn auch die Bilder und Schnittfolgen sind nicht gewöhnlich. Der Mut neue Wege zu beschreiten hat sich bezahlt gemacht, denn am Ende überzeugt das Gesamtwerk, das also auch technisch nicht gerade konventionell, aber umso genialer erscheint.

Einige kleine Schwachstellen bleiben bei so viel Experimentierfreudigkeit aber nicht aus. Manche Nebengeschichte ist vielleicht doch zu dick aufgetragen und mancher Nebendarsteller lässt seine Rolle zu überheblich wirken. Der positive Eindruck und die hohe Qualität von «Kreutzer kommt» überwiegen am Ende, sind die kleinen Fehler doch so marginal, dass sie nicht mal ins Gewicht fallen. Positiv hervorzuheben, weil überdurchschnittlich überzeugend, sind neben Herbst und Rosalie Thomass auch die Schauspieler Natalia Avelon, Tyron Rickets, Errol Trotman-Harewood, Leslie Malton oder Ludwig Trepte.

Konzipiert als Serie oder Reihe ist «Kreutzer kommt» nicht. Das Potenzial ist aber vorhanden – denn aus diesem Projekt kann durchaus mehr werden als ein einmaliges Filmerlebnis. Gerade die Figur des Kommissar Kreutzer sowie die Art und Weise der teilweisen Gemeinsamkeiten mit beliebten Serien-Hits wie «Dr. House» & Co. sollten bei einem zu erwartenden Erfolg des Films zumindest eine Krimi-Reihe bei den ProSieben-Verantwortlichen ins Gespräch bringen. Denn auch der Sender würde gut daran tun, die vorhandenen Möglichkeiten nicht zu verschenken, ist «Kreutzer kommt» doch ein ambitioniertes Projekt. Sollte der Krimi aber in Serie gehen, wird ausschlaggebend sein, ob das hohe Maß an Qualität gehalten werden kann. Wenn Kommissar Kreutzer dann in einem bestimmten Rhythmus seine Fälle löst, müssen auch bei seinen weiteren Ermittlungen die Vorzeichen stimmen, ein guter Cast wird ebenso nötig sein wie die prickelnden Dialoge. Die Kreutzer-Zielsetzung von vier Stunden, 37 Minuten und 48 Sekunden, um Fälle zu lösen, wäre hierfür eine gute Grundlage.

ProSieben zeigt den Krimi-Film «Kreutzer kommt» am Montag, 1. November 2010 um 20.15 Uhr.
30.10.2010 08:32 Uhr  •  Jürgen Kirsch Kurz-URL: qmde.de/45514