Glenns Gedanken: Die Angst vor dem Publikum

Warum Zuschauerfeedback in TV-Shows oft unerwünscht ist, analysiert Glenn Riedmeier.

Erinnern Sie sich noch an die Shows des Altmeisters Rudi Carrell? Er verstand es, nicht nur gute Unterhaltung abzuliefern, sondern war stets am direkten Kontakt mit dem Publikum interessiert. So sprach er regelmäßig überraschend einen Zuschauer an und fragte: "Guten Tag, wie heißen Sie und wo kommen Sie her? Wie gefällt ihnen die Show bisher?" Der nun folgende kurze Small Talk wurde schließlich von Carrell mit einem gelungenen Gag beendet. Karl Dall ging in seinen Sendungen noch einen Schritt weiter und lieferte sich oft heftige Wortgefechte - sowohl mit seinen Stargästen, als auch mit dem Publikum.

Auch Thomas Gottschalk und Günther Jauch scheuten nicht die Konfrontation mit dem Publikum. So ließen sie sich auf ihrer gemeinsamen IFA-Show «Die 2 im Zweiten» von ihren Zuschauern mit Fragen löchern, die sie dann spontan und möglichst humorvoll beantworteten. Bei «Wetten dass..?» sah die Saalwette in den 90er Jahren außerdem noch anders aus: Das Publikum durfte per Applaus entscheiden, welcher Vorschlag eines Zuschauers vor Ort als Wette gespielt wird. Deutlich publikumsnäher präsentierte sich in seiner Anfangszeit darüberhinaus der Musiksender Viva. Es gab jeden Nachmittag die Live-Sendung «Interaktiv», bei der die jugendlichen Zuschauer im Studio und auch die Konsumenten vor der Mattscheibe per Telefon Fragen an prominente Musikgäste stellen konnten.

Ganz anders sieht die Situation heute aus. Es gibt kaum noch Sendungen, bei denen das Publikum miteinbezogen wird. Man muss schon lange suchen, bis man Formate findet, in denen noch die Meinung des Zuschauers im Studio oder per Telefon erwünscht ist. «Interaktiv» ist Geschichte, stattdessen gibt es «Viva Live», jedoch ohne Zuschauerbeteiligung. Auch die Saalwette bei «Wetten dass..?» gibt es in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr, und Gottschalk konzentriert sich lieber auf Michelle Hunziker. Vielmehr scheint es so, als ob die Macher regelrecht Angst vor dem unmittelbaren Feedback, der ungefilterten Konfrontation hätten. Kaum ein Moderator wagt sich noch auf die Zuschauerränge und fragt einen Besucher, wie ihm die Sendung gefällt oder ob er Fragen an die Studiogäste hat. Dabei wäre das gerade in Talkshows wie «Markus Lanz» sehr interessant, wenn polarisierende Personen wie beispielsweise Nina Hagen oder die Super-Nanny Katharina Saalfrank zu Gast sind. Zuschauer stellen gerne Fragen, die dem Moderator "zu heiß" und dem Gast unangenehm sind. Sie haben im Gegensatz zum Gastgeber schließlich nichts zu verlieren. Dies wäre auch für den Polittalk «Hart aber fair» eine Bereicherung. Es werden zwar E-Mails von Zuschauern vorgelesen, noch besser wäre es allerdings, wenn das Studiopublikum live Fragen an die Politiker stellen könnte. Doch auch hier scheut man sich offenbar vor unvorhersehbaren Meinungsäußerungen.

Auch bei mitreißenden, emotionsgeladenen Shows wie «Deutschland sucht den Superstar» oder «Big Brother - Die Entscheidung» wären Publikumsstimmen reizvoll. "Was sagen Sie zu diesem Votingergebnis?" oder "Möchten Sie Kandidat XY noch etwas sagen?" oder gar "Wie gefällt Ihnen die Show?" sind Fragen, die man niemals dort erleben wird. Weder Marco Schreyl noch Aleksandra Bechtel wagen sich in die Nähe der kritischen Stimme des Volkes. Die Furcht vor ungewollten und unfilterbaren Äußerungen, die live über den Äther gehen, ist zu einfach groß, deshalb lässt man es lieber sein. Das Publikum hat brav zu applaudieren, ansonsten soll es sich gefälligst aus allem raushalten. Sehr schade, wie ich finde. Denn so kann es nicht mehr zu solch amüsanten Momenten kommen, wie etwa als ein Zuschauer Hans Meiser in seiner gleichnamigen Talkshow unverblümt ins Gesicht sagte: "Eigentlich wollte ich Ihnen nur mal sagen, dass ich Sie für den schlechtesten Moderator aller Zeiten halte."
29.08.2010 00:00 Uhr  •  Glenn Riedmeier Kurz-URL: qmde.de/44168