Die Kritiker: «Legenden: Johnny Cash»

Inhalt
Wenn Johnny Cash über unerfüllte Liebe, Einsamkeit oder die Sehnsucht nach dem Tod sang, dann glaubte man ihm das, denn er kannte die Abgründe des Lebens. Immer wieder war Johnny Cash ganz unten und rappelte sich dennoch wieder auf: Er ließ sich bis zur Besinnungslosigkeit gehen, war viele Jahre drogenabhängig, schaffte den Entzug, kämpfte jedoch immer wieder mit Rückfällen. Er ruinierte seine erste Ehe, führte aber danach über 35 Jahre eine Bilderbuchbeziehung mit seiner großen Liebe June Carter. Er wurde von seiner Plattenfirma fallengelassen und feierte auf einem kleinen, unabhängigen Label international ein sensationelles Comeback. In seiner fast 50-jährigen Karriere schrieb der amerikanische Country-Sänger mehr als 500 Songs und verkaufte weltweit mehr als 53 Millionen Tonträger. Sogar seine letzten Aufnahmen, die er sterbenskrank kurz vor seinem Tod 2003 einspielte und die in diesem Jahr posthum veröffentlicht wurden, schafften es in die us-amerikanischen und deutschen Top Ten der Charts.

Johnny Cash war ein charismatischer Charakterkopf und begnadeter Sänger und Musiker, bei dem die Menschen bis heute finden, was sie im Showgeschäft sonst meist vergeblich suchen: Glaubwürdigkeit. Oder, wie es sein ehemaliger Produzent und Freund Jack Clement in „Legenden: Johnny Cash“ sagt: „Niemand wird Johnny Cash und seine Bedeutung in der Welt je ganz erklären können. Es war schlicht magisch. Vielleicht war er einfach - ein Heiliger?“

Die meisten Deutschen kennen Johnny Cashs Leben vor allem aus dem Kinofilm «Walk the Line», der die Ereignisse bis 1968, bis zum Happyend mit June Carter, erzählt. Doch Johnny Cash hat auch danach - insbesondere in den letzten zehn Jahren seines Lebens - noch Musik- und amerikanische Zeitgeschichte geschrieben.

Kritik
«Johnny Cash‘s America» - so lautet der ursprüngliche Titel dieser im Jahre 2008 für den US-Sender A&E entstandenen Dokumentation der Filmemacher Morgan Neville und Robert Gordon. Für die ARD-Reihe «Legenden» wurde der rund 90-minütige Film doch auf knapp 40 Minuten gekürzt. Schade, denn in der ursprünglichen Fassung beinhaltet die Doku Auszüge aus 27 Songs sowie zahlreichen – z.T. auch unveröffentlichten – TV- und Bühnenauftritten des Jahrhundert-Künstlers.

Aber auch in der arg zusammen gestutzten Version der Musiker-Biographie weiß das Werk größtenteils zu überzeugen. Weggefährten, Freunde und nicht zuletzt auch Familienmitglieder erzählen ihre Sichtweise, ihre Erfahrungen und Erinnerungen mit dem „Man in Black“, geben Anekdoten wieder und versuchen die Art und Weise Johnny Cashs aus heutiger Sicht zu bewerten und zu erläutern. Dabei kommen neben all den ernsten Momenten in seinem Leben aber auch lustige Momente zutage, eben wenn Cash in einem Bühnenauftritt den einstigen King of Rock´n´Roll – Elvis Presley – in seiner eigenwilligen Art persifliert.

Angefangen bei den Kindertagen in Dyess, Arkansas, bis hin zu den letzten und wieder sehr erfolgreichen Tagen bis 2003, gibt es einen kurzen und sehr informativen Rundflug durch die durch Höhen und Tiefen gezeichnete Karriere des Künstlers, der sich nie wirklich festlegen wollte und wohl auch nicht konnte. Politisch und religiös stets interessiert, avancierte er schnell vom einstigen Überflieger aus der Country-Szene zum Sprachrohr für die unterdrückte Minderheit der Indianer – ja er fühlte sich gar als einer von ihnen.

Doch auch die Schattenseiten, die Drogensucht, das damit einhergehende Ende seiner ersten Ehe sowie auch der musikalische Niedergang werden thematisiert.

Darum ist es einfach nur schade, dass uns die ARD die vollständige Dokumentation vorenthält und sich nur für die verstümmelte Version entschieden hat. Denn Inhalt und Umfang von «Johnny Cash‘s America» gehen weit über das hinaus, was «Walk the Line» Mitte der 2000er offenbaren konnte.

Das Erste zeigt «Legenden: Johnny Cash» am Montag, den 23. August 2010, um 21:00 Uhr.
22.08.2010 12:00 Uhr  •  Torben Gebhardt Kurz-URL: qmde.de/44024