Die Kino-Kritiker: «Vergebung»

Die schwedischen Thrillerromane des Journalisten Stieg Larsson verhalfen ihrem Schöpfer zu posthumen Ruhm und der europäischen Kriminalliteratur-Szene zu neuen Bestsellern. Die so genannte «Millennium-Trilogie» begeisterte nicht nur Kriminalfans auf der ganzen Welt, sondern lieferte außerdem die Vorlage zu gelungenen Kinofilmen, die dem stetigen Trend zu lauteren, knalligeren und hochtrabenderen Actionkrimis konträr liefen und den durchdachten, ruhigen und dennoch spannenden Kriminalfall zurück in die Lichtspielhäuser brachten.

Mit «Vergebung» findet die Kinoreihe nach ihrem im Oktober vergangenen Jahres gestarteten ersten Teil «Verblendung» und dessen Fortsetzung «Verdammnis» vom Februar dieses Jahres ihren Abschluss. «Vergebung» schließt inhaltlich direkt ans Ende des Vorgängers an: Die soziale Außenseiterin und für unmündig erklärte Hackerin Lisbeth Selander (Noomi Rapace) wird nach ihrem gewaltsamen Aufeinandertreffen mit ihrem Vater Alexander "Zala" Zalatschenko schwer verletzt ins Krankenhaus eingewiesen. Auch ihr verbrecherischer Vater (Georgi Staykov) überlebte die Konfrontation und liegt nun wenige Zimmer weiter im selben Krankenhaus. Lisbeth ist kaum aus dem Operationssaal heraus, schon verlangt die Polizei von ihrem Arzt ein Gespräch mit der zuvor unschuldig wegen Mords gesuchten Hackerin.

Erneut interessiert sich kaum jemand für die Stellungnahme der seit ihrer Kindheit als Spielball der Mächtigen missbrauchte Lisbeth, und so wird sie für versuchten Mord an Zalachenko angeklagt. Unterstützung erhält Lisbeth vom mit ihr befreundeten Investigativjournalisten Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist), der eine Sonderausgabe seines Enthüllungsmagazins „Millenium“ über Lisbeths Fall plant und zu beweisen versucht, dass der Psychiater Teleborian (Anders Ahlbom Rosendahl) bei seiner Patientin paranoide Schizophrenie diagnostiziert, um sich selbst zu decken. Denn hinter Lisbeths Fall steckt eine ganze Schar mächtiger, älterer Strippenzieher, die bis in schwedische Regierungskreise reichen, die keinerlei Grenzen kennen und alles dafür tun, um die zu ihnen führenden Spuren zu verwischen.

«Vergebung» führt die stilistische Entwicklung innerhalb der «Millennium-Trilogie» konsequent weiter. War «Verblendung» noch ein spannender Ermittlungskrimi, der sich durch seine komplexen Protagonisten Salander und Blomkvist von vergleichbaren Stoffen besonders emporhob, rückte «Verdammnis» die Figur der Lisbeth Salander und ihre geheimnisvolle Vergangenheit stärker in den Fokus. Der eigentliche Kriminalfall wurde nicht weiter extern an Blomkvist herangetragen, stattdessen nahm der begabte Journalist aus Eigeninitiative die Recherchearbeit auf, um die Unschuld Salanders zu beweisen. Im Finale der «Millennium-Trilogie» wird der Kriminalanteil der Geschichte weiter heruntergefahren, da der Kinozuschauer nicht nur bereits weiß, dass Lisbeth unschuldig ist, sondern auch, weil er direkt zu Beginn des Films die Hintermänner der Verschwörung und ihre Motive gezeigt bekommt. «Vergebung» ist hauptsächlich als ein dramatischer Thriller anzusehen, bei dem sich der Zuschauer fragen soll, ob (und wenn ja, wie) Blomkvist den Behörden die Wahrheit nahe bringen kann. Auf diesem Wege behandelt das Drehbuch von Jonas Frykberg auf der Basis des Romans aus der Feder Stieg Larssons ein zentrales Thema der «Millennium-Trilogie», nämlich die rechtliche Ohnmacht unmündiger Person. Dadurch, dass Lisbeth Salander in ihrer Kindheit wegen eines Angriffs auf ihren Vater als psychisch krank eingestuft wurde, verliert sie vor dem Staat sämtliche Glaubwürdigkeit, was sie zum rechtlich hilflosen Spielball abscheulicher Männer macht. «Vergebung» handelt, wie auch schon seine beiden Vorläufer, von Frauenhass und Machtmissbrauch. Denn Salanders folgenschwere Attacke auf ihren Vater diente als Schutz für ihre Mutter, die von Zalatschenko misshandelt wurde, was die Behörden dem damals jungen Mädchen allerdings nicht glauben wollten. Statt Hilfe zu erhalten, wurde Salander ebenfalls in die Opferrolle gedrängt, bis sie als Erwachsene die Gelegenheit erhielt auf eigene Weise zurückzuschlagen.

Als abschließender Teil einer Trilogie profitiert «Vergebung» davon, dass die Darsteller der Hauptrollen mittlerweile nahezu mit ihren Figuren verschmolzen sind. Vor allem Noomi Rapace, die schon in «Verblendung» hervorragend war und die weit reichende emotionale Bandbreite Salanders nachvollziehbar und glaubwürdig rüberbrachte, versinkt vollkommen in ihrer Rolle und zementiert Salanders Position als eine der denkwürdigsten Figuren des jüngeren europäischen Kinos. Aber auch Michael Nyqvist überzeugt ungebrochen als ambitionierter Journalist mit komplizierter Beziehung zu Salander. Nyqvist tritt in «Vergebung» auch wieder etwas aus Rapaces Schatten heraus, nachdem er in «Verdammnis» von seiner populäreren Leinwandpartnerin vollkommen an den Rand gedrängt wurde, was den Film auch spürbar schwächte. Die bodenständigere Figur des Mikael Blomkvist stellt nämlich ein wichtiges Gegengewicht gegen Salander dar, weshalb es ein Fehler war, seine Leinwandzeit zu reduzieren. Auch in «Vergebung» wird er nicht optimal ausgespielt, denn obwohl Nyqvist sein bestes gibt, bleibt seine Figur aufgrund seiner gegenüber «Verblendung» weiterhin runter gespielte Rolle in der Geschichte hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Bei der Inszenierung bleibt der Regisseur Daniel Alfredson, der mit «Verdammnis» den Staffelstab vom Dänen Niels Arden Oplev übernahm, der zuvor eingeschlagenen Richtung treu und verzichtet auf hektische Kamerafahrten, schnelle Schnitte oder sonstigen Pomp. «Vergebung» erzeugt seine Spannung allein durch das intensive Spiel seiner Darstellerriege, welches von den ruhigen Kameraaufnahmen nahezu ungefiltert aufgenommen wird. Trotz des zurückhaltenden audiovisuellen Stils ist «Vergebung» der optisch gelungenste Teil der Reihe, da er nicht wie «Verblendung» zu stilisiert für sein eigenes Wohl ist, noch so uninspiriert wirkt wie «Verdammnis».

Obwohl «Vergebung» ein spannender und intelligenter Thriller der angenehm altmodischen Sorte ist und die Darsteller durch die Bank weg großes Lob verdient haben, ist der Abschluss der «Millennium-Trilogie» bloß für Fans der ersten zwei Filme zu empfehlen. Für eine uneingeschränkte Empfehlung an Thriller-Liebhaber beruht die Handlung von «Vergebung» zu stark auf seinen Vorgängerfilmen, Nichtkenner der bisherigen Geschichte Lisbeth Salanders dürften zu große Probleme haben, diesem Thriller zu folgen oder sich auf seine Figuren einzulassen. Für Fans bietet der eine gute Portion Jusizdrama enthaltene Thriller hingegen einen gelungenen und würdigen Abschluss der Trilogie.

«Vergebung» ist seit dem 3. Juni in einigen deutschen Kinos zu sehen.
04.06.2010 07:15 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/42383