Der Fernsehfriedhof: Waschen, Schneiden, Spannern

Christian Richter erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 87: Die erste, aber erstaunlicherweise nicht letzte Real-Life-Soap aus einem Friseursalon.

Liebe Fernsehgemeinde, manchmal ist es nicht zu glauben, welche schlichten Ideen es zu eigenen Sendungen bringen.

«Der Frisör» wurde am 07. Januar 2001 bei RTL geboren und entstand zu einer Zeit, als die TV-Branche noch immer von den überraschend starken Einschaltquoten der ersten Staffel von «Big Brother» verblüfft war. Die Zuschauer schienen also ein großes Interesse an den banalen Geschichten einfacher Menschen gehabt zu haben. So lautete zumindest die Schlussfolgerung der damaligen Fernsehmacher. Was lag somit näher, als einen Friseursalon – die Hochburg alltäglicher Privatplauderein – in den Mittelpunkt einer eigenen Reihe zu rücken? Das Prinzip hätte nicht simpler sein können: In einem echten Friseurgeschäft wurden 19 Kameras installiert, welche acht Friseure bei ihrer Arbeit und im Gespräch mit ihren Kunden filmten. Nicht mehr und nicht weniger. Dahinter stand mit Endemol jene Produktionsfirma, die bereits für das Original «Big Brother» verantwortlich war.

Die acht beteiligten Hairstylisten waren höchstunterschiedliche Charaktere, die neben Identifikationsmöglichkeiten auch für Farbe im Format sorgen sollten. Von männlich bis weiblich, von alt bis jung, von schrill bis brav oder von hetero bis schwul waren im Cast alle Spektren vertreten. Zusätzlich zu den Arbeitsplätzen wurde außerdem ihr Pausenraum überwacht, sodass ihre Gespräche untereinander ebenso festgehalten werden konnten. Das war insofern wichtig, als dass sie nicht nur Kollegen, sondern auch Konkurrenten waren. Alle vier Wochen wurde nämlich ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin von den Zuschauern via Internet herausgewählt und durch einen neuen Kandidaten ersetzt. Wer also lang in der Öffentlichkeit stehen und die entsprechende Gage einstreichen wollte, musste möglichst viele interessante Szenen anbieten. Helfen sollten regelmäßige Auftritte von prominenten Persönlichkeiten, die allerdings mit Figuren wie Alida und Zlatko auffallend oft aus dem Reality-Bereich stammten.

Für die Zuschauer wiederum bestand die Möglichkeit, sich jederzeit über eine Hotline einen Termin im Salon und damit in der Show reservieren zu lassen. Damit standen die Kunden in einem ähnlichen Konkurrenzkampf wie die Friseure, denn von den Dutzenden Menschen, die tagtäglich das Geschäft besuchten, schaffte es nur eine Handvoll in die endgültige Sendung. Also hatten diese ebenfalls, wenn sie im Fernsehen ausgestrahlt werden wollten, möglichst interessante Auftritte vor den halbdurchsichtigen Friseurspiegeln anzubieten. Entweder mit besonders skurrilen Anekdoten oder mit äußerst tragischen Geschichten. Gefühlt überwog aber stets der banale Klatsch über Promis, Krankheiten, Urlaubserlebnisse und natürlich Frisuren. Umso verstörender war es dann, wenn ein Kunde doch von einem traumatischen Erlebnis berichtete und dabei ständig ungeschickt durch Nachfragen zur neuen Frisur unterbrochen wurde. Eine wirkliche Nähe zu den Menschen und ihren Schicksalen konnte so nie entstehen. Von einem ähnlich mangelndem Feingefühl ist in einem Blogeintrag aus jener Zeit zu lesen, in dem beschrieben wird, dass ein junges Mädchen vom Stylisten direkt zum Anfang der Sitzung danach befragt wurde, wie ihr erstes Mal abgelaufen sei. Die ganze Produktion war folglich erschreckend exhibitionistisch und furchtbar trivial zugleich.

Diese Einschätzung teilten offenbar die meisten Zuschauer, denn die Reichenweiten der halbstündigen Ausgaben, die werktäglich um 17.00 Uhr gezeigt wurden, waren von Anfang an unterdurchschnittlich - obwohl die Eröffnung des Salons noch am Sonntagvorabend von Frauke Ludowig höchstpersönlich vorgenommen wurde. Mehr als 1,2 Millionen Schaulustige waren an den Bildschirmen selten dabei, wodurch sich der Marktanteil meist im knapp zweistelligen Bereich bewegte. Als nach anderthalb Monaten keine Trendwende in Sicht war, folgte die Verlegung der Ausstrahlungen um eine Stunde nach vorn. Doch auch diese brachte keine Verbesserung, sodass wenig später die endgültige Einstellung des Geschäftsbetriebs folgte. „Die Sendung hat zu keinem Zeitpunkt die Quotenerwartung erfüllt“, lautete schließlich das ehrliche Fazit eines zuständigen Pressesprechers.

«Der Frisör» wurde am 30. März 2001 beerdigt und erreichte ein Alter von 61 Folgen. Die Show hinterließ buchstäblich nichts außer ein paar Haaren auf dem Fußboden. Übrigens, die Bruchlandung hielt weder RTL noch andere Kanäle davon ab, bereits drei Wochen nach dem verkorksten Start mit einer weiteren Staffel von «Big Brother» sowie den Neuzugängen «House of Love», «II Club» und «Girlscamp» gleich vier Real-Life-Konzepte innerhalb einiger Tage zu starten. Wenig überraschend, dass sich all diese Projekte ebenfalls zu Misserfolgen entwickeln sollten. Doch damit noch immer nicht genug, denn im April 2012 belebte der öffentlich-rechtliche Digitalsender EinsPlus die Idee, Friseure und ihre Kunden zu zeigen, unter dem Titel «Waschen, schneiden, reden» wieder.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann Stefan Raabs Talentschmiede.
20.05.2010 09:25 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/42083