1 Stunde Wahnsinn: Geisterstunde

Quotenmeter.de-Redakteur Manuel Nunez Sanchez sah in der Nacht von Freitag auf Samstag eine Stunde lang den deutschen Wahnsinn an.

Punkt 0 Uhr Mitternacht hat wieder einmal das Wochenende begonnen. Der Samstag leitet ein weiteres Wochenende ein und ich darf mich zur Feier des Tages gleich einmal durch die tiefsten Abgründe des deutschen Free-TVs quälen. Beginnen möchte ich dann aber doch lieber erst einmal mit öffentlich-rechtlichem Fernsehen. Während in der ARD gerade im Zuge der zweiten Themennacht zur vierteiligen Geburtstagsreihe «60 Jahre ARD» der 40 Jahre alte Fernsehfilm «Das Millionenspiel» über die TV-Geräte flimmert, sieht man im Zweiten Deutschen Fernsehen eine neue Ausgabe von «Lanz kocht». Dort möchte gerade ein dunkelhäutiger Koch namens Nelson etwas zu seinem Gericht sagen, als Horst Lichter ihm mit der freudigen und (zumindest für ihn selber) offensichtlich unwahrscheinlich lustigen Anmerkung ins Wort fällt, dass er seinem geliebten Johann doch soeben etwas Sahne geklaut habe. Da sich in mir schon jetzt wieder eine gewisse negative Grundstimmung aufgrund der unqualifizierten und nervigen Äußerungen des Herrn Lichter anzubahnen drohte, höre ich dem weiteren Geplauder nicht mehr zu und wechsele stattdessen zu den privaten Sendeanstalten.

Die erste Adresse dort ist selbstverständlich RTL, wo das «Nachtjournal» gerade über die Auswirkungen der ominösen Dampfwolke berichtet, die ein Vulkanausbruch in Island nach sich zog. Ich erfahre nicht nur zum wiederholten Male, dass der Flieger unserer verehrten Frau Bundeskanzlerin einen unerwarteten Zwischenstopp in Lissabon einlegen musste, sondern bekomme anhand einer Karte auch noch gezeigt, dass der Luftverkehr derzeit nur noch in Südeuropa möglich ist. Eine durchaus interessante Information, die allerdings nicht mit dem „Megablockbuster“ auf RTL II mithalten kann. Dort läuft ein weiterer Film der «American Pie»-Reihe, nämlich mit «Nackte Tatsachen» laut meiner Programmzeitschrift einer der schlechtesten und niveauärmsten. Zwei nackte Tatsachen bekomme ich auch direkt zu Gesicht, bis unerwartet der Vater die beiden bei ihrem aufgrund mangelnder schauspielerischer Qualität der Akteure nur bedingt erotischen Geschlechtsakt stört. Schnell versteckt sich der Junge in der Waschmaschine und ergreift schnellstmöglich die Flucht. Nach nur vier Minuten kann ich der miesen Bewertung meiner Programmzeitschrift bereits uneingeschränkt zustimmen und schalte dementsprechend weiter. Da ich gerade in Spielfilmlaune bin, schalte ich einfach einmal auf Verdacht nach ProSieben. Wie sich herausstellt, ist auch diesmal auf den Münchener Sender Verlass, denn dort läuft gerade der US-Thriller «Tödliches Vertrauen» mit John Travolta. In einer durchaus spannenden Szene sieht man zwei Männer in einem Auto, die sich scheinbar verirrt haben. Als sich jedoch der Beifahrer umdreht, um nach einer Landkarte Ausschau zu halten, wird er erstochen. Normalerweise würde ich hier alleine schon aus Mangel an Alternativen jetzt wohl dranbleiben, aber ich ringe mich dazu durch, weiter durch die TV-Landschaft zu grasen.

Auf VOX sehe ich die Wiederholung von «CSI: New York». Durchaus nicht uninteressant, aber völlig zusammenhanglos ist es ebenso unspannend wie «Practice» auf dem Konkurrenzsender kabel eins. Bei letzterer Serie sehe ich gerade noch, wie ein Rechtsanwalt gerade mit einem seiner Zeugen die Verhandlungstaktik bespricht, bevor ich schnurstracks zu Sat.1 wechsele. Dort wird gerade eine Folge von «Was guckst du?» wieder einmal versendet. Während ich gerade noch überlege, wie oft diese Ausgabe wohl schon auf dem Sender aufgrund mangelnder Alternativen zur Füllung leidiger Programmslots lief, läuft bereits ein Sketch mit Ranjid, der gerade ein Osama Bin Laden-Double zu einem Hitler-Double umfrisiert. Danach philosophieren noch zwei Prolls darüber, ob sie lieber "voll viel Power und so" mit der E-Gitarre machen oder doch lieber als Blockflöte "immer einen geblasen kriegen" möchten. Nachdem auch der letzte Sketch dieser Folge gelaufen ist, frage ich mich, wieso ich diese Comedy-Sendung in meiner Pubertät so gerne gesehen habe und schalte erwartungsvoll zu Eurosport. Überraschenderweise läuft dort keine Dauerwerbesendung, sondern Snooker. Was für mich letztlich aber aufs gleiche hinausläuft, denn dank der wenig enthusiastischen Intonation des Kommentators vermag mich das sicherlich hochklassige Spiel zwischen Ding Junhui und Mark Williams nicht so recht zu begeistern. Den Zahlen des unteren Bildschirmrandes zufolge führte Letzterer zumindest mit 7:6.

Quotenmeter.de-Redakteur Manuel Nunez Sanchez sah in der Nacht von Freitag auf Samstag eine Stunde lang den deutschen Wahnsinn an.

Zur Halbzeit möchte ich mir richtige Entspannung gönnen und schalte auf Super RTL, wo mir die Programmzeitschrift das «Master Quiz» verspricht. Dies ist es zwar nicht, was ich zu sehen bekomme, aber die Alternative ist mindestens genauso hochklassig. Man wirbt für das vierteilige CD-Set "Partyalarm", mit dem man angeblich der Renner auf jeder Party sein soll. Und dass diese Ankündigung nicht nur ein leeres Versprechen ist, zeigt mir bereits der kurze gesehene Ausschnitt. Mit Peter Wackel, einem "Y.M.C.A."-Cover der Village People names "A.L.D.I." und Schäfer Heinrichs "Schäferlied" wird einem hier wirklich die Creme de la Creme der Musikgeschichte geboten. Da ich gar nicht erst wissen möchte, womit man die restlichen 77 verfügbaren Plätze der CD verschwendet hat und ich mir keine Bereicherung für die hauseigene Musiksammlung verspreche, schaue ich mir schnell das «RTL Wetter» an. Ein sonniger Samstag steht uns also bevor, von der Aschewolke bekommt der Durchschnittspöbel auch weiterhin nichts mit und bis Dienstag soll sich auch nicht groß etwas daran ändern, teilt mir die nette Stimme des Wetteransagers mit. Danach begrüßt auch schon Dirk Bach bei «Frei Schnauze XXL» seine prominenten Improvisationstalente. Da ich unter den handelnden Protagonisten Hennes Bender, Mirja Boes und Paul Panzer nur wenig Talent erkenne, präferiere ich doch eher das Intellektuellenprogramm auf arte.

Doch statt aufwändiger Dokumentationen über antike Kriegshelden in Nicaragua läuft dort ein japanischer Actionfilm, der natürlich nur mit Untertiteln unterlegt ist. Durchaus löblich, aber sich über eine Stunde lang japanisch anzuhören, ohne auch nur ein Wort zu verstehen, ist dann für diese Uhrzeit doch keine adäquate Unterhaltung in meinen Augen, zumal man dem Streifen auch ansieht, dass er nicht mehr zur allerjüngsten Garde der japanischen Filmproduktion gehört. Ich schalte zu den Dritten, wo im Westdeutschen Rundfunk statt der Verfilmung des sehr interessanten Orwell-Romans «1984» ein mich eher peripher tangierender Krimi in schwarz-weiß läuft und auf dem Südwest-Rundfunk gerade eine gewisse Yael Dayan interviewt wird. Entspannung jedoch hole ich mir kurzfristig im NDR, wo die Band Selig bei «Inas Nacht» performt. Obwohl Ina es sich nicht nehmen lässt, den Song "Wir werden uns wiedersehn" mitzusingen, ist es doch eine willkommene Abwechslung. Nach akustischen Wohltaten möchte ich daraufhin die letzte Viertelstunde mit optischen Genüssen einleiten. In dem Fall konsultiere man bitte Sport1, das auch mit dem neuen Sendernamen die «Sport Clips» ausstrahlt und etlichen sexuell frustrierten Männern mit Softpornos die Nacht versüßt. Offensichtlich läuft aber gerade eine Werbeunterbrechung, denn ich erfahre, dass es mitlerweile sogar Telefonsex-Flatrates in Höhe von 9,90 Euro am Tag gibt. Ob sich dies wohl für mich rechnen würde, überlege ich und entschließe mich, alte Telefonrechnungen einmal herauszukramen.

Noch ganz in Gedanken vertieft, bediene ich meine Fernbedienung und schaue einmal, was uns denn die Musiksender zu bieten haben. Zwar keine Musik, aber immerhin eine einigermaßen bekannte Serie bietet MTV mit seinem «Family Guy», wo gerade skandalöserweise der Song "Never gonna give you up" von Rick Astley als schwul bezeichnet wird. Bei VIVA erwarte ich eigentlich heiße Beats dank der «Club Rotation», doch stattdessen sendet man wie so oft in den letzten Wochen den Clip "Geboren um zu leben" von Unheilig. Sehr einsam fühlen sich mit Sicherheit die Damen von QVC, die um kurz vor 1 Uhr nachts auf ihrem Sender noch ein "Collagen Miracle" verkaufen möchten. Das größte Geheimnis für mich bleibt jedoch, wo für den Konsumenten genau der Unterschied zwischen dem "Angebot des Tages", dem "Joker der Woche" und dem "Tagesangebot" liegt. Ein letzter Blick zu Eurosport verrät mir mit Erleichterung, dass Mark Williams inzwischen etwas souveräner mit 8:6 führt, bevor ich mir in Ruhe auf WDR «Domian» ansehe und mich zu Bette lege.
21.04.2010 10:39 Uhr  •  Manuel Nunez Sanchez Kurz-URL: qmde.de/41477