Die Kritiker: «Lie to Me» (1x01)

Story
Dr. Cal Lightman ist der Gründer und Leiter der «Lightman Corporation», einem Unternehmen mit einem höchst ungewöhnlichen Aufgabenfeld: Lightman und seine Mitarbeiter Dr. Gillian Foster und Eli Loker sind menschliche Lügendetektoren. Durch genaue psychologische und anthropologische Studien sind sie zu Spezialisten geworden, die anhand der Analyse von Gestik, Mimik und Körpersprache ihres Gegenübers mit großer Wahrscheinlichkeit feststellen können, wer lügt und wer die Wahrheit sagt. Staatliche Behörden und Ministerien wie die NASA und das FBI zählen zu den Kunden der 'Lightman Corporation' - und da diese immer zahlreicher werden, benötigt Lightman zusätzliche Unterstützung, die er in der ehemaligen Flughafenpolizistin Ria Torres findet. Sie ist ein wahres und seltenes Naturtalent in Sachen Lügenerkennung und beherrscht ohne Studium das, was Lightman und seine Kollegen mühsam lernen mussten.

Gleich in ihrem ersten Einsatz stellt Ria ihre Begabung unter Beweis. Gemeinsam mit Dr. Gillian Foster befragt sie den Kongressabgeordneten Zeb Weil, der unter Verdacht steht, regelmäßig in einem teuren Sexclub zu verkehren. Da Weil der Vorsitzende der Ethikkommission seiner Partei ist, fürchten seine Parteifreunde um den Ruf ihrer Fraktion. Ria trifft sich unter einem Vorwand mit dem Callgirl Melissa und entlockt ihr die Information, dass Weil tatsächlich zu ihren Kunden zählt. Als die Affäre kurze Zeit später an die Öffentlichkeit gerät, analysieren Gillian und Ria die Pressefotos von Weil - und kommen zu einer überraschenden und unerwarteten Erkenntnis.

Unterdessen beginnt Dr. Cal Lightman im Auftrag der Staatsanwaltschaft mit der Beurteilung des 16-jährigen Highschool-Schülers James Cole. Ihm wird vorgeworfen, seine Lehrerin Susan McCartney ermordet zu haben. Bereits bei seiner ersten Unterredung mit dem Jungen kommen Cal allerdings Zweifel an James' Täterschaft. Seine Eltern gehören der strengen Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas an - und James' Vater Gerald war mit den pädagogischen Methoden der getöteten Lehrerin offenbar nicht einverstanden. Doch auch in Gesprächen mit dem Schuldirektor Castle und James' Mitschülern fallen Cal einige Ungereimtheiten auf.

Darsteller
Tim Roth («Pulp Fiction», «Funny Games US») ist Dr. Cal Lightman
Kelli Williams («The Practice», «Men in Trees») ist Dr. Gillian Foster
Brendan Hines («Terminator») ist Eli Loker
Monica Raymund («Law & Order: SVU») ist Ria Torre

Kritik
Lügen haben kurze Beine und der Nepper ist schnell an der langen Nase zu überführen - ganz so einfach ist es zwar nicht, Unwahrheiten zu entlarven, aber anhand der Analyse der Körpersprache ist es auch nicht unmöglich. Das FOX-Format «Lie to Me» wagt sich an ein hochspannendes Gebiet der Anthropologie und angewandten Psychologie und hievt ein Team von Täuschungsexperten in den Mittelpunkt einer Krimiserie, die Kriminellen, Ehebrechern oder dem wollüstigen Freund der Tochter buchstäblich an der Nasenspitze ablesen können, ob sie lügen. Natürlich wartet ein amerikanisches Format der Nullerjahre nicht mit grauer Theorie oder stubenhockenden Professoren auf; zum guten Ton der neuen Seriengeneration gehört ein extraordinärer Charaktermix und ein so individueller Hintergrund, dass die Masse an Individualität fast schon wieder dem Mainstream huldigt. Aber auch wenn das amerikanische Fernsehen vom verkannten Mentalisten über den arbeitslosen Geheimagenten bis hin zum rachsüchtigen Multimillionär im Polizeidienst zur Genüge exzentrische Protagonisten von Krimiserien hervorgebracht hat, so ist dennoch Platz für weitere ihrer Art. Zu Patrick Jane, Michael Westen, Charlie Crews und Co. gesellen sich dank «Lie to Me» ein, nein, gleich mehrere weitere Kämpfer des Guten, die sich natürlich dennoch von ihren exaltierten Artgenossen unterscheiden.

An erster Stelle sei Dr. Cal Lightman zu erwähnen, ein ausgewiesener Experte in Sachen Körpersprache und Mikroausdrücke, der mit seinem Unternehmen, der «Lightman Corporation», Strafverfolgungsbehörden und Privatpersonen bei der Wahrheitssuche unterstützt. «Statistisch gesehen erzählt ein normaler Mensch durchschnittlich drei Lügen pro zehn Minuten Gesprächszeit», berichtet Lightman auf einem Vortrag, bevor ein wenig später eine Tasse gegen die Wand schmettert, um den Gesichtsausdruck der Überraschung am lebenden Exempel der Teilnehmer zu statuieren. Die Besetzung des charismatischen Lügenbarons Lightman mit Tim Roth ist ein Glücksfall, von dem das Format zum großen Teil lebt. An seiner Seite stehen Dr. Gillian Foster und Ria Torres, gespielt von Kelli Williams und Monica Raymund, sowie der durch Brendan Hines besetzte Eli Loker, dessen Credo der «radikalen Wahrheit» für manchen Lacher sorgen, sagt er doch immer, was er gerade denkt - vornehmlich drehen sich seine Gedanken dabei um Sex.

Die Charaktere bilden ein erfrischend lockeres und humorvolles Quartett, ohne oberflächlich zu wirken. Familiäre Details, etwa Fosters unaufrichtiger Ehemann oder Lightmans Tochter, geben den Protagonisten zusätzlichen Hintergrund und sorgen für Abwechslung, ohne allzu tief in die Serie involviert zu werden. Dem starken Cast wird eine abwechslungsreiche und überaus spannende Handlung entgegengestellt, die zudem angenehm unkonventionell inszeniert ist. Standbilder und Slow Motion-Aufnahmen von Körperpartien, an denen die Protagonisten Lügen oder Unsicherheiten wahrnehmen, illustrieren die Gedankengänge und lassen den Zuschauer bald selbst auf Reaktionen der Angeklagten achten und diese deuten; in die Handlung integrierte Vorträge oder humorvolle Beispiele an Kollegen und Mitmenschen lassen den Zuschauer die Kunst des Lügendeutens verstehen, ohne ihn zu belehren.

Ohne lügen zu müssen, hat sich VOX mit «Lie to Me» ein weiteres Qualitätsformat gesichert, das seine Anhänger finden und sich in das bestehende Repertoire an Krimiserien einfügen wird. Auch wenn die gezwungene Außergewöhnlichkeit jeder amerikanischen Serienproduktion nicht einer gewissen Ironie entbehrt, so ist es erstaunlich und höchst erfreulich, dass sich auch das Außergewöhnliche immer neu erfinden lässt. Mit «Lie to Me» wurde eine neue Idee zu einer spannenden Serie mit interessanten Charakteren ausgebaut, die zwar seinesgleichen durchaus finden mag, die sich Krimifans in dieser Form aber auf keinen Fall entgehen lassen dürfen.

VOX zeigt «Lie to Me» ab dem 10. März 2010 immer mittwochs um 21:15 Uhr.
09.03.2010 09:16 Uhr  •  Jakob Bokelmann Kurz-URL: qmde.de/40630