Quotenmeter.de-Redakteure schauen fern, dieses Mal von 21.00 bis 22.00 Uhr. Alle Eindrücke über die eine Stunde TV-Konsum gibt es hier.
Donnerstag ist einer der ungünstigsten Tage, um sich zum Zappen vor die Glotze zu setzen - nicht nur, dass der Donnerstag der Freitag der Studenten ist und dementsprechend spannenderes Alternativprogramm geboten wird, sondern auch, weil sich die donnerstägliche Programmvielfalt auf fiktionale Serien und Filme beschränkt. Von 21 bis 22 Uhr findet sich der geübte Fernbedienungsartist also inmitten actionlastiger, dramatischer und berührender Geschichten wieder, die beim kurzen Ein- und Weiterschalten keinen Spaß machen. Das hält mich aber trotzdem nicht ab, meine persönliche Stunde Wahnsinn im deutschen Fernsehen pünktlich um 21 Uhr zu beginnen.
Die erste Station auf meiner ungeschriebenen Liste der Abendunterhaltung führt mich zum Quotenkönig RTL. Ernüchtert lande ich im Werbeblock und lasse die neue Generation Fernsehspam über mich ergehen: Goldankauf, Werbung für das hauseigene Internetportal und den digitalen Spartenkanal «RTL Crime», herzverjüngende Margarine und Autoleasing. Im Anschluss sehe ich das Ende von «Cobra 11»; Verfolgungsjagd, Geiselbefreiung, Happy End, alles schon dutzende Male durchgekaut und wiederverwertet. Als ein Vorspann die neue RTL-Serie «Countdown» ankündigt, schalte ich schnell weiter.
Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erwarte ich gehobenere Unterhaltung, doch der Spielfilm «Für immer Afrika» im Ersten wird diesen Erwartungen kaum gerecht; aufgeregt plappernde Aussteiger mit Cowboy-Hüten und Weltverbesserungsattitüde wollen entdeckt haben, dass skrupellose Minenbetreiber Gift in den Fluss leiten - als sie mit wild entschlossenem Gesicht und Allradfahrzeug ins Gefecht ziehen, schalte ich zum ZDF. Auch hier werde ich nicht zum Verweilen eingeladen, denn mit «Olympia live» kann ich nichts anfangen. Ich verfolge weder aktuelle Sportnachrichten noch wusste ich überhaupt, dass die Olympischen Winterspiele in Deutschland eine solche Faszination ausüben, dass sie eine abendfüllende Sendung verdienen würden. Auf Sat.1 sehe ich rot, denn grüner Fußballrasen vermag mich wie Olympia gar nicht zu begeistern.
Der nächste Sender ist ein echter Höhepunkt: RTF1, der baden-württembergische Regionalsender für die Region Neckar-Alb, hat sich nach dem Umzug vom Norden ins tiefste Schwabenland in meine Senderliste geschlichen. Regionalsender sind die Bezirksliga des Fernsehens, für wenige interessant, für noch weniger Menschen relevant und überhaupt: Auf wenige Quadratkilometer beschränkte Nachrichtenauswahl, Reportagen aus dem Schrebergarten und vorsintflutliche Studiotechnik machen wenig Lust, zu verweilen, wenngleich der Identifikationseffekt natürlich nicht zu verachten ist. Bevor ich mich aber vollkommen in provinziellem Pathos verliere oder in ein tiefschwarzes Loch blau-rot-unterlegter Jugendfußballergebnisse des HSV Hirschau falle, schalte ich weiter.
Auf n-tv läuft statt der Nachrichten eine Reportage über die Golden Gate Bridge, die mich mäßig fesselt. Ich informiere mich ein, zwei Minuten über die Anfänge der Brückenbaukunst, dann wage ich mich in unsichereres Gewässer vor: Viva! Hätte ich geahnt, auf was ich mich einlasse, ich hätte diesen Soap gewordenen Musikkanal wohl großräumig von der Fernbedienung elimiert. Doch so finde ich mich inmitten einer quietschfidelen Jugendserie wieder. Ein Blick in den Teletext verrät, dass ich meine grauen Zellen gerade gegen Handlungsansätze der Serie «Zoey 101» eintausche. Mir erschließt sich der Sinn dieser von Miley Cyrus verseuchten Jugendkultur nicht und ich beschließe, neben Viva auch gleich das andere Übel deutschen Musikfernsehens zu besuchen - damit ich es hinter mir habe. MTV macht gegen halb zehn seinem Namen alle Ehre und zeigt - «Family Guy». Musik hatte ich sowieso nicht erwartet, von daher bin ich mit Peter, Lois, Megan, Chris, Stewie und Brian sehr zufrieden. Doch lange hält die Entspannung nicht an, denn schon bald folgt ein Werbeblock. Da MTV-Werbung noch schlimmer ist als Regionalfernsehen, ziehe ich weiter.
Auf kabel eins bin ich im wahrsten Sinne des Wortes «Lost». Ich muss gestehen, dass ich der Inselserie nie etwas abgewinnen konnte und diese weder regelmäßig geschaut noch verstanden habe. Bevor ich weiterschalten kann, mahnt mich ein beißender Geruch aus der Küche, den Fernseher kurzzeitig aus den Augen zu lassen. Mit einem Teller schwarzbraun gebrannter Fischstäbchen und einer Dose Radler mache ich es mir wieder gemütlich und muss nicht lange überlegen, welcher Sender zu meiner aktuellen Situation passt:
Es ist die perfekte Zeit, um mal bei RTL II vorbeizuschauen. Seit «Big Brother» verirre ich mich nur noch selten zum Münchner Sender, aber heute erwische ich das kleinere Übel. Der «It's Fun»-Generation wird eine Folge «Frauentausch» vorgesetzt. Der zusammengecasteten Milieustudie zwischen arbeitslosen, patriarchischen und adipösen Kettenrauchern mit staubiger Wohnung und gut situierten Arbeitnehmern mit Heiler-Welt-Reihenhaus und emanzipierter Ehefrau liegt das schöne Prinzip des Fremdschämens zugrunde. Nicht nur das Format, auch die erzwungene Effekthascherei belustigt für einige Minuten. Als zu den Klängen von Charlie Winstons «Like a Hobo» eine Messiewohnung gezeigt wird, greife ich zur Fernbedienung und zappe weiter.
Auf N24 erwarte ich endlich solide Nachrichten, doch mit einer «Wissen»-Reportage muss ich mich auch hier der Dokumentation hingeben. Gezeigt wird der Bau einer neuen Gleisstrecke; riesige Maschinen schütten Kies in die Landschaft. Als die Spannungskurve mit einem verzweifelten Schrei «Der Kies ist aus!» gen Maximum strebt, bekomme ich eine leichte Gänsehaut und verlasse leicht zitternd den Ort mangelnder Kiesvorräte. Bei ProSieben lande ich mitten im C-Promi-Sumpf, denn «Pizza, Pasta & Amore» lädt zum gepflegten Realityverblöden ein. Während sich Jana-Ina in einem Waisenhaus unter Tränen und zu Begleitung von Geigen- und Klaviermusik verabschiedet, verkünden Giovanni und ein Kumpel, dass sie ihr Restaurant als Weltmarke etablieren werden.
Ich wünsche ihm aus vollem Herzen «Hals- und Beinbruch» auf Super RTL, kann der Geschmackverirrung des «Großen Upps-Windersportspecials» aber leider nichts abgewinnen und schalte weiter. Im BR summt Michl Müller (nie gehört) über Erlebnisse an der Fleischtheke, sein Publikum in einem alten Schlachthof, einer stillgelegten Molkerei oder einem sonstigen Kulturhaus amüsiert sich köstlich. Ich muss die Stimmungskanone leider verlassen, denn die Zeiger der Uhr bewegen sich stetig vorwärts und ich habe mir geschworen, mich einem ganz besonderen Projekt zu widmen. Zum Abschluss des Wahnsinns wage ich mich weiter in die verstaubten Tiefen vor und entdecke einen Sender, den ich noch nie bewusst geschaut habe: 9Live! Eine hibbelige Moderatorin sucht «Tiere mit exakt vier Buchstaben und A an zweiter Stelle» und weist auf den Gewinn von 150€ plus Geldleitung hin - damit ist sicher die horrend teure Telefonverbindung gemeint. Einige Minuten lasse ich Trommelwirbel, Countdowns und Seriositätsbekundungen über mich ergehen, während ich im Teletext der vollen Stunde entgegenfiebere. Als es 22 Uhr ist, bin ich froh, dass ich meine Stunde Wahnsinn überlebt habe.