82. Academy Awards: 5 Nominierungs-Tops und -Flops

Film-Experte Sidney Schering beleuchtete die Entscheidungen der Academy Awards. Wer wurde zu Recht nominiert, wer nicht?

Am Dienstag wurden die Nominierungen für die diesjährigen Academy Awards bekannt gegeben. Der Film mit den meisten Nominierungen ist, ganz wie erwartet, James Camerons «Avatar - Aufbruch nach Pandora». In der Kategorie für den besten fremdsprachigen Film konnte sich der Kritikerfavorit «Das weiße Band» aus Deutschland eine Nominierung sichern und die Nominierung für «Oben» in der Animationsfilm-Kategorie dürfte wohl niemanden überrascht haben.

Neben solchen schon im Vorfeld recht sicher stehenden Nominierungen trafen die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts & Sciences durchaus überraschende Entscheidungen. sowohl der erfreulichen, als auch der ärgerlichen Art.

Lesen Sie, welche fünf Dinge an den Oscar-Nominierungen dieses Jahr besonders gefallen, und womit die Academy uns verärgert hat.

5 freudige Überraschungen

- Die Anerkennung für «Oben»
Bis vor kurzem war «Die Schöne & das Biest» aus dem Jahr 1991 der einzige Animationsfilm, der mit einer Nominierung für den besten Film bedacht wurde. Dass selbst solche zeitlosen Meisterwerke wie «Der König der Löwen» jäh übergangen wurden brachte dem Oscar unter Animationsfans längst einen schlechten Ruf ein. Die Einführung der Kategorie “Bester Animationsfilm” im Jahr 2002 heizte die Diskussion weiter an. Werden Animationsfilme dadurch gesondert geehrt oder hält man sie auf diesem Wege von den “richtigen Filmen” fern? Immer wieder betonten Insider, dass Academy-Mitglieder aufgrund der Animationskategorie zögerten, Filme wie «Ratatouille» oder «Wall•E» zu nominieren. Dass «Oben» aus dem “Animationsghetto” ausbrechen konnte und neben Nominierungen als bester Animationsfilm und für das beste Originaldrehbuch, die beste Musik sowie den besten Tonschnitt auch als bester Film nominiert wurde ist ein wertvoller Schritt für die Akzeptanz des Animationsfilms als gleichwertiges Medium neben Realfilmproduktionen.

- Die Nominierungen für «Avatar - Aufbruch nach Pandora» in den Kategorien “Beste Kamera” und “Bestes Szenenbild”
Einige passionierte Oscar-Experten hielten es für äußerst unwahrscheinlich, dass «Avatar - Aufbruch nach Pandora» in diesen Kategorien berücksichtigt wird, weil der Großteil dieses Films virtuell verwirklicht wurde. Obwohl es dort ebenso sehr zu bewertende Kameraarbeit zu sehen gibt und das Design des Films genauso von jemandem gestaltet wurde, wie bei klassischen Filmen, so ist es keine Selbstverständlichkeit, dass dies überhaupt realisiert wird. In Pixars Animationserfolg «Wall•E» wurde jede Menge Arbeit gesteckt, um die Kamera perfekt einzusetzen, man zog sogar Kameralegende Robert Deakins zu Rat. Dennoch erhielt der Film keine Oscar-Nominierung für seine Kameraleistung. «Avatar - Aufbruch nach Pandora» öffnete jetzt nicht nur die Augen für Filme mit digitalen Sets, er gilt neben dem deutschen Schwarz-Weiß-Film «Das weiße Band» sogar zu den Topfavoriten in der Kamerakategorie.

- Es gibt weniger nominierte Oscar-Klischeefilme
Es gibt regelmäßig Filme die selbst ohne die notwendige Qualität nach einem Nominierungsreigen schreien. Filme, die sogar ungesehen und lange vor Erscheinen auf dem Prognosenzettel landen. Dramatische Biopics, Holocaustdramen, aufwendig produzierte Kostümfilme und ernste Musicals. Solche Oscarklischees, gerne auch Oscarköder genannt, zogen in der Vergangenheit immer wieder Kritik auf sich, die Academy ließe sich von ihren Verpackungen blenden und ignoriere dabei Filme, die es mehr verdient hätten, nominiert zu werden. Vor allem letztes Jahr machte sich viel Unmut breit, als die bei Kritikern bloß überdurchschnittlich gut ankommende Literaturverfilmung «Der Vorleser» dem Kritiker- und Publikumsliebling «The Dark Knight» vorgezogen wurde. Dieses Jahr hingegen sucht man solche Klischeenominierungen für den besten Film vergebens. Sicherlich, die meisten Filme wären auch vergangenes Jahr mit im Rennen gewesen, aber es gibt keinen Ausrutscher, der von den Kritikern vergleichsweise kühl aufgenommen wurde, wie etwa das Musicaldrama «Nine» von «Chicago»-Regisseur Rob Marshall. Stattdessen erhielten Produktionen wie «Oben» oder der günstig produzierte Sci-Fi-Blockbuster «District 9» eine Nominierung in der Hauptkategorie. Eine sehr erfreuliche Entwicklung.

- Die zahlreichen Nominierungen für «Inglourious Basterds»
Selbst, wenn «Inglourious Basterds» noch die eine oder andere Nominierung mehr verdient gehabt hätte, sind die insgesamt acht Nominierungen für Quentin Tarantinos unkonventionelles Kriegsdrama ein Anlass zur Freude. Selbst sein zum Kultklassiker aufgestiegener «Pulp Fiction» erhielt nicht so viele Vorschläge, und vom Ende der 90er-Jahre an schien es für solche kultigen Semi-Independentfilme, wie Tarantino sie dreht unmöglich, eine Oscar-Nominierung zu erhalten. Mit «Inglourious Basterds» kehrt die frech grinsende Untergrundkultur Hollywoods mit einem lauten Knall zurück zu den Oscars, und zwar vollkommen verdient. Ein originelles Drehbuch, das der Bedeutsamkeit von Sprachfertigkeiten Tribut zollt, eine technisch superbe Umsetzung und jede Menge wagemutige Einfälle machten «Inglourious Basterds» zu einem der besten Filme der letzten Jahre, und es wäre eine Schande gewesen, hätte er aufgrund seiner Unkonventionalität keinen Anklang bei der Academy gefunden.

- Hans Zimmers Nominierung in der Kategorie “Beste Musik”
Hans Zimmer gehört zu den gefragtesten Komponisten Hollywoods und erhielt bereits einen Academy Award sowie sechs zusätzliche Nominierungen. In jüngster Vergangenheit entwickelte er seinen Stil konsequent weiter und erhielt zunehmendes Kritikerlob. Dennoch wurde er seit neun Jahren nicht mehr nominiert. Unter anderem ist dies dem Umstand verschuldet, dass er einige seiner besten Kompositionen für Fortsetzungen ablieferte, die sich bloß schwer für einen Academy Award qualifizieren können, weil in ihnen neben neuen Themen auch prägnante Reprisen bereits etablierter Melodien zu hören sind, wie etwa in den Fortsetzungen von «Fluch der Karibik». Die besonders beliebte Hintergrundmusik zu «The Dark Knight», eine Zusammenarbeit Zimmers mit James Newton Howard, litt unterdessen an einem stetigen Hin und Her, ob sie aufgrund der zahlreichen Assistenzkomponisten disqualifiziert werden muss. Aber dieses Jahr lagen Zimmer keine Steine im Weg: Für «Sherlock Holmes» schrieb Zimmer einen sehr exzentrischen und eingängigen Filmscore und hat sich diese Nominierung redlich verdient. Selbst nachdem er einmal sagte, ihm sei der Trubel zur Oscarsaison zu stressig.

Auf Seite zwei folgen die fünf größten Ärgernisse.

Film-Experte Sidney Schering beleuchtete die Entscheidungen der Academy Awards. Wer wurde zu Recht nominiert, wer nicht?

5 Ärgernisse bei den Nominierungen

- Keine Nominierung für Mélanie Laurent
Christoph Waltz’ Darstellung des SS-Standartenführers Hans Landa in «Inglourious Basterds» überschattete weitestgehend die Rezeption der anderen Schauspielleistungen in Tarantinos jüngster Produktion. Dabei gab auch die französische Schauspielerin Mélanie Laurent eine wundervolle Performance ab und spielte die Rolle der Shosanna Dreyfus mit sehr viel Ausdruckskraft. Dass sie bislang bei nahezu allen Preisverleihungen übergangen wurde, ist möglicherweise nicht allein der harten Konkurrenz zuzuschreiben, sondern auch der Politik hinter den Filmpreisen. Mit Empfehlungsanzeigen versuchen die Studios die Nominierungen zu lenken, und wie manche fragwürdigen Kategorienplatzierungen in der Vergangenheit zeigten, lenken die Studios vor allem bei den Schauspielerkategorien das Geschehen. Darsteller werden, je nachdem wo man sich die größeren Gewinnchancen verspricht, in der Haupt- oder Nebenkategorie vorgeschlagen. Ob Mélanie Laurent eine Haupt- oder Nebenrolle spielt, ist aufgrund der ungewöhnlichen Dramaturgie von «Inglourious Basterds» schwer zu bestimmen. In diesem Fall wäre eine klare Ansage der produzierenden Studios vielleicht sogar ganz hilfreich gewesen. Jedoch änderten The Weinstein Company und Universal nach einigen Monaten die Strategie und hoben Laurent von der Kategorie für Nebendarsteller zur weiblichen Hauptdarstellerin empor, weshalb sich mit großer Wahrscheinlichkeit die Stimmen für sie über zwei Kategorien verteilten.

- Keine Nominierung für «Hangover»
Dieser Punkt ist nicht wirklich sonderlich überraschend, dennoch ist es ein kleines Ärgernis. Während bei den Golden Globes Komödien genug Respekt erhalten, um gleichberechtigt neben den Dramen behandelt zu werden, schaffen es reine Komödien nur selten zu Ehren bei den Academy Awards, und wenn, dann sind es keine sonderlich publikumsträchtigen. Selbstverständlich ist es vollkommen in Ordnung, wenn «American Pie» und Co. bei dieser Veranstaltung außen vor bleiben, jedoch gibt es auch massentaugliche Komödien, die nicht auf Geschmacklosigkeiten beruhen und sogar ein ganz cleveres Drehbuch aufweisen. «Hangover» fällt in exakt diese Kategorie. Nicht zu Unrecht wurde er mit dem Golden Globe für die beste Komödie ausgezeichnet und die Autorengewerkschaft nominierte «Hangover» in der Kategorie “Bestes Originaldrehbuch”. Bei den Academy Awards dürfen die chaotischen Freunde dagegen nicht mitmischen.

- Keine Nominierung für «(500) Days of Summer»
Anders als «Hangover» gehörte «(500) Days of Summer» durchaus zu den Favoriten auf eine Nominierung für das beste Originaldrehbuch oder sogar als bester Film. Die anspruchsvolle, fröhliche Independent-Komödie gehörte zu den erfrischenderen Filmen des Jahres und erzählt vom Auf und Ab einer jungen Liebesbeziehung. Der besondere Clou an «(500) Days of Summer» ist seine Erzählperspektive: Nachdem seine Geliebte mit ihm Schluss machte, denkt der Protagonist über die gescheiterte Beziehung nach. Der Film bleibt in der Perspektive des Verlassenen und springt assoziativ von einem Fragment der Liebesbeziehung zum anderen. «(500) Days of Summer» ist eigentlich ganz Oscar-kompatibel, und umso mehr verwundert es, dass er völlig ausgeschlossen wurde.

- Keine Nominierungen für «Wo die wilden Kerle wohnen»
Die frühen Reaktionen auf diese Kinderbuchadaption von Spike Jonte («Being John Malokovich») waren geradezu euphorisch, weshalb sie schnell in einigen Oscarprognosen auftauchte. Nach seinem Kinostart geriet «Wo die wilden Kerle» überraschend schnell wieder aus dem Fokus, was möglicherweise auch seinem unter den Erwartungen liegenden Einspielergebnis zu verdanken ist. Eventuell dürften die zuvor in unerreichbare Höhen getriebenen Erwartungen weiteren Schaden verursacht haben. Aber vollkommen gleich, ob man in «Wo die wilden Kerle wohnen» das versprochene Meisterwerk oder “bloß” einen sehr guten Familienfilm sieht, der sich besondere Mühe gibt einem älteren Publikum zu gefallen, das herausragende Kritikerlob für die Kameraarbeit von Lance Acord sowie das fabelhafte Szenenbild kann man schwer ignorieren. Dennoch wurde das fantastische Kinderdrama bei den Nominierungen schlichtweg vergessen. Äußerst schade.

- Christoph Waltz erhält eine Nominierung als “Bester Nebendarsteller”
Der aufmerksame Leser wird jetzt sicherlich verwundert seinen Bildschirm anstarren. Die Nominierung des viel gelobten Österreichers soll ein Ärgernis darstellen?
Nun, in einer idealisierten Filmwelt durchaus. Tarantino selbst mag sich zwar in seinen Interviewaussagen über die Hauptfigur von «Inglourious Basterds» widersprechen, aber wenn man den Filmtitel und sämtlichen Starrummel außer Acht lässt, so gilt es zu notieren, dass Christoph Waltz’ Rolle Hans Landa ein bedeutsamer Motor für die Handlung ist und in den wichtigsten Szenen das Ruder ans ich reißt. Mit Landa beginnt der Film, er bildet den roten Faden in Tarantinos dramaturgische und strukturelle Konventionen ignorierenden Geschichte. Oft betonte der Kultregisseur, dass er «Inglourious Basterds» beinahe aufgegeben hätte, weil er ausgerechnet für diese Rolle nicht die geeignete Besetzung finden konnte, doch dann begegnete er Waltz. Eigentlich hätte Christoph Waltz eine Nominierung als bester Hauptdarsteller zugestanden, inklusive anschließendem Gewinn. Weil er dessen ungeachtet in Hollywood zuvor ein unbeschriebenes Blatt war und noch dazu einen Bösewicht spielt, landete er automatisch in der Nebenkategorie. Es war nicht einmal eine diese Richtung angebende Kampagne der Studios von Nöten. Schon bevor die ersten Webeanzeigen in Hollywoods Branchenblätter geschaltet wurden, erhielt Waltz die ersten Auszeichnungen als Nebendarsteller. Und das Studio wäre dumm gewesen, dies ändern zu wollen. Ausländische Darsteller sowie Bösewichter haben es in der Nebenkategorie wesentlich leichter zu gewinnen. Dennoch müsste Waltz im Filmparadies eigentlich den Preis für den besten Hauptdarsteller erhalten.
03.02.2010 14:51 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/40001