Loriots Erben

Eine Momentaufnahme der deutschen Comedy-Szene.

Fragt man die Deutschen nach den besten Komikern ihres Landes, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass auch heute noch Namen wie Loriot, Heinz Erhardt oder Otto Waalkes fallen. Nun muss man sagen, dass deren Schaffenszeit schon einige Jahre bis Jahrzehnte zurückliegt, und es längst andere Gesichter gibt, die sich auf Deutschlands Kabarettbühnen und auf dem heimischen TV-Bildschirm tummeln. Warum werden also trotzdem immer wieder die alten Hasen genannt?

Wohl jeder kennt Loriots Nudelsketch oder Ottos Hänsel und Gretel-Variationen. Auch heute noch werden die beliebten Sketche in schöner Regelmäßigkeit wiederholt, wie z.B. jährlich an Silvester in sämtlichen dritten Programmen. Doch rein quantitativ weisen sowohl Otto als auch Loriot ein recht überschaubares Werk auf. Neben verschiedenen Kinofilmen gibt es die 6-teilige «Loriot»-Serie und 7 «Otto-Shows». Verglichen mit den unzähligen Ausgaben der «Harald Schmidt Show» ein Klacks. Doch es gibt einen einfachen Grund, weshalb diese Sketche bis heute Kultstatus genießen: Es gab in den 1970er Jahren noch kein Privatfernsehen. Lediglich drei Sender standen zur Auswahl und die Chance war groß, dass der Nachbar, Arbeitskollege oder beste Freund die gleiche Sendung schaute, über die man sich am nächsten Tag austauschen konnte. Aufgrund mehrmaliger Wiederholungen kam praktisch kein Zuschauer um Loriot, Otto, Dieter Hallervorden oder Rudi Carrell herum. Ein erfreulicher Umstand, der ihnen ungeahnte Popularität einbrachte.

Die 1990er Jahre waren die kreativen Jahre des Privatfernsehens, die Kult-Comedy-Shows wie «RTL Samstag Nacht» oder «Die Wochenshow» hervorbrachten. Auch diese Sendungen waren ein Sprungbrett für Komiker wie Wigald Boning, Olli Dittrich, Anke Engelke oder Bastian Pastewka, und Sketchreihen wie «Sex TV mit Brisco Schneider» oder «Ricky's Pop Sofa» wurden zum Gesprächsthema auf den Schulhöfen und in den Büros. Ebenso «TV total» sollte in den ersten beiden Sendejahren zum absoluten Kultformat werden - das Letzte seiner Art.

Denn kurz darauf setzte der große Comedy-Boom in Deutschland ein, der bis heute andauert. RTL und Sat.1 legten fest, dass ab sofort am Freitag gelacht werden sollte, und zeigten fortan stundenlang bis nach Mitternacht unzählige austauschbare Sketchformate und Sitcoms, die sich gegenseitig in Unlustigkeit überboten. Auch die Stand-Up-Comedy - ehemals ein Nischengenre - gewann mit Comedians wie Michael Mittermeier und spätestens Mario Barth an nie zuvor dagewesener Popularität. Heute gibt es zahlreiche Stand-Up-Comedy-TV-Shows, in denen immer mehr Komiker versuchen, die Zuschauer zum Lachen zu bringen - mehr oder weniger erfolgreich. Viele Menschen sind aufgrund dieser inflationären Entwicklung inzwischen der Comedy überdrüssig und meiden gezielt solche Formate. Dies hat zur Folge, dass sich Qualität immer schwieriger durchsetzen kann. Aufgrund der Vielfalt an Sendern und Formaten kann sich nur schwerlich ein Kultstatus einstellen. Denn es gibt sie noch, die gute Comedy. Doch ein gelungener «Ladykracher»-Sketch oder eine lustige «switch»-Parodie wird trotzdem nie die nachhaltige Bekanntheit von Herrn Müller-Lüdenscheidt erreichen. Dies wird sich erst wieder ändern, wenn auch die Fernsehsender erkennen, dass weniger manchmal mehr ist. Denn eine gut durchdachte Comedy-Show mit einem stimmigen Konzept kommt bei den Zuschauern mit Sicherheit besser an, als Cindy aus Marzahn und Mirja Boes durch sämtliche RTL-Formate zu scheuchen.
31.01.2010 00:00 Uhr  •  Glenn Riedmeier Kurz-URL: qmde.de/39912