Juwelen des Fernsehens: «Das Sandmännchen»

Kaum ein Format lebt die deutsche Wiedervereinigung so sehr wie die beliebte Kindersendung. Die bisher 50-jährige Geschichte symbolisiert sowohl die Teilung des Landes als auch die Zusammenführung beider Systeme. Quotenmeter.de begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit und trifft dabei auf viele alte Bekannte.

Die Geschichte des «Sandmanns» beginnt am 22. November 1959 mit der ersten Ausgabe im ostdeutschen Fernsehen. Die Idee dahinter war jedoch schon älter. Rund ein Jahr zuvor begann der Deutsche Fernsehfunk der DDR (DFF) mit der Ausstrahlung von kurzen Gute-Nacht-Geschichten für Kinder. Nachdem der «Abendgruß» zunächst ohne wiederkehrende Figur auskam, erfuhren die Verantwortlichen des DFF, das die westdeutsche Konkurrenz vom Sender Freies Berlin (SFB) eine Sendung namens «Sandmännchen» vorbereitete. Es folgte ein deutsch-deutscher Wettlauf um eine schnellere Ausstrahlung, den der DDR-Funk für sich entscheiden konnte. Rund eine Woche vor den westlichen Widersachern erblickt die Ost-Variante das Licht der Welt. Um sich vom feindlichen Rivalen abzuheben, erhielt die Sendung den Titel «Unser Sandmännchen». Erst am 01. Dezember 1959 flimmerte «Sandmännchens Gruß für Kinder» über die SFB-Bildschirme.

Die literarische Vorlage für beide Versionen ist übrigens der Sandmann aus dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen. In dieser Geschichte tauchte die Figur des „Ole Lukøje“ auf, der vor dem Schlafengehen stets kleine Geschichten erzählte. Nachdem er diese beendet hatte, sprühte er den Kindern süße Milch ins Gesicht, um sie so zum Einschlafen zu bringen. In den Fernsehvarianten wurde die Milch in beiden Fällen durch Schlafsand ersetzt.

Während beim SFB das «Sandmännchen» lediglich eine einfache, kleine Handpuppe (entworfen von Ilse Obrig) war, produzierte man in Berlin-Adlershof (im Ostteil der Stadt) die Folgen mit aufwendiger Tricktechnik. Den typischen Bart erhielt das Ost-«Sandmännchen» von seinem Schöpfer Gerhard Behrendt erst im Sommer 1960. Das bekannte Titellied der DFF-Edition war eigentlich nur als Notlösung geplant, weil es als zu kompliziert eingestuft wurde. Doch aufgrund des hohen Zeitdrucks und in Ermangelung anderer Alternativen, schaffte es die Komposition von Wolfgang Richter dennoch auf den Sender und wurde schon nach kurzer Zeit legendär.

Neben dem «Sandmännchen» erfreuten sich in der DDR auch viele Figuren der Gute-Nacht-Geschichten größter Beliebtheit. Der bekannteste dürfte unter ihnen wohl der Kobold «Pittiplatsch» sein, der mit seinem berühmten Satz „Ach Du meine Nase!“ seit 1962 die Kinder in der Regel am Samstagabend zum Lachen brachte. Seit dieser Zeit tauchte er fast eintausend Mal im Abendgruß auf. An seiner Seite trieben regelmäßig der Hund Moppi und die Ente Schnatterinchen ihr Unwesen. Letztere tauchte erstmals im Sommer 1959 in der DDR-Kindersendung «Schneiderstube» mit Meister Nadelohr auf. Erst im Oktober wechselte sie zum «Sandmann». Im Jahr 1964 wurde sie dann noch einmal umgestaltet, als die Sendung erstmals in Farbe aufgenommen wurde.

Kaum ein Format lebt die deutsche Wiedervereinigung so sehr wie die beliebte Kindersendung. Die bisher 50-jährige Geschichte symbolisiert sowohl die Teilung des Landes als auch die Zusammenführung beider Systeme. Quotenmeter.de begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit und trifft dabei auf viele alte Bekannte.

Mit 1300 Folgen gehören die Geschichten von «Herr Fuchs und Frau Elster» zu den längsten Fernsehserien Deutschlands. Bis 1991 zankten sich die beiden Figuren am Sonntagabend im Programm des «Sandmanns» und verschlangen dabei über 25 Autoren. Noch heute zählen sie zu den beliebtesten Charakteren.

Etwas jünger, aber vor allem von Trickliebhabern verehrt, ist der Kobold «Plumps», der in einem Teich lebt und sich in eine Kugel verwandeln kann. Von ihm gibt es bisher rund 70 gesendete Ausgaben, die meist donnerstags laufen.

Außer für ihre liebevollen Kindergeschichten war, die Sendung auch für den Fuhrpark des Ost-«Sandmanns» bekannt. Es gab kaum ein Fahrzeug, das er nicht benutzte, um den Kindern auf der ganzen Welt einen Abendgruß zu übersenden. So tauchten im Laufe der Jahre neben Autos, Kutschen und Fahrädern auch Raumfähren, Hubschrauber und Boote auf. Da er seine Auftritte im staatlichen Fernsehen der DDR hatte, durften auch Visiten bei der Nationalen Volksarmee, bei den deutsch-polnischen Grenztruppen und in einem Pionierlager nicht fehlen. Seine Reiselust wurde 1978 Realität, als der erste Deutsche im All Sigmund Jähn eine kleine «Sandmann»-Puppe mit in den Weltraum nahm.

Das westliche «Sandmännchen» wurde hingegen von den Zeichentrickschweinen «Piggeldy und Frederick», Janoschs Figuren sowie zahlreichen Charakteren aus der «Augsburger Puppenkiste» (z.B. Tintenfisch Klecksi und Ritter Kunibert) unterstützt. Es war bis 1985 im SFB, NDR, HR und WDR auf Sendung, bevor es nach nur rund 80 Folgen eingestellt wurde. In dieser Zeit brachten es die Macher jedoch auf über 1500 Gute-Nacht-Geschichten, die zwischen den wenigen Rahmenhandlungen eingebettet waren. Kurzfristig produzierte der WDR in den 60er und 70er Jahren sogar eine eigene und damit dritte Version der Kindersendung. Diese erlangte jedoch nie die Beliebtheit und Aufmerksamkeit der anderen Vertreter.

Als 1989 die Mauer fiel und sich ein Ende des DDR-Fernsehens ankündigte, stand auch das ostdeutsche «Sandmännchen» vor dem Aus. Durch den großen Widerstand der Zuschauer wurde es aber vor der Absetzung verschont und wechselte zum 01. Januar 1992 lückenlos vom DFF zum ORB (später RBB) und MDR. Noch im selben Jahr übernahmen der NDR und auch der einstige Konkurrent SFB die Ausstrahlung des Ost-«Sandmanns».

Die Produktion der neuen Folgen übernahm nun die „Sandmannstudio Trickfilm GmbH“, die anfangs in Berlin-Mahlsdorf arbeitete. Später zog sie an ihre ehemalige Wirkungsstätte nach Adlershof zurück. Heute werden die aktuellen Ausgaben im gläsernen Gebäude des Filmparks direkt am Studio Babelsberg in Potsdam im Auftrag des RBB hergestellt. Ab 1997 erhielt der kleine Mann zudem einen festen Sendeplatz beim KI.KA und damit eine tägliche, bundesweite Ausstrahlung. Seit 2007 ist die traditionelle Sendung sogar im 16:9-Format zu empfangen und damit endgültig in der heutigen Zeit angekommen. Im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung werden mittlerweile viele Teile der Episoden mithilfe von Computeranimationen anstatt der aufwendigen Stop-Motion-Technik realisiert. Pünktlich zum 50. Geburtstag im November 2009 wird zudem ein Kinofilm mit dem Titel «Der Sandmann und der verlorene Traumsand» starten.

Noch heute werden in Potsdam-Babelsberg neue Ausgaben des beliebten Kinderprogramms für den RBB, MDR und KI.KA hergestellt. Damit ist das «Sandmännchen» eines der wenigen DDR-Formate, das die Wendezeit überlebt hat. Zu den aktuellen Gute-Nacht-Geschichten des vereinigten «Sandmännchens» gehören dabei neben den Ost-Klassikern «Pittiplatsch», «Herr Fuchs und Frau Elster» und «Plumps» auch Figuren der Westversion wie «Piggeldy und Frederick». Am Ende wuchs also doch noch das zusammen, was zusammen gehört.
03.10.2009 10:00 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/37614