Serienlexikon: «Deadwood»

Im wilden Westen wurde scharf geschossen, geflucht, gestritten und gepokert. Dass der Westen aber viel mehr war, erzählt die Serie «Deadwood» mit ihrer Geschichte der gleichnamigen Siedlung, in der nur das Recht des Stärkeren galt. «Deadwood» ist ein verkanntes Drama-Meisterwerk unserer Fernsehzeit.

«Into the West». «Comanche Moon». «Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford». Oder «3:10 to Yuma». Es ist ja nicht so, als ob das Western-Genre völlig ausgestorben wäre. Der geneigte Fan findet Jahr für Jahr einige qualitativ hochwertige Perlen, um den Hunger auf wilde Schießereien, schöne Frauen, Cowboys und Saloon-Spiele mit anschließenden Prügel-Orgien zu stillen. Doch all diese Western haben eines gemeinsam: Sie kommen nicht so an die Wirklichkeit des Goldgräber-Zeitalters heran wie die Serie «Deadwood», die vom US-Pay-TV-Sender HBO zwischen 2004 und 2006 in drei Staffeln produziert wurde. «Deadwood» ist anders, ist noch nicht einmal ein typischer Western, weil es nicht die typischen Klischees bedient, die das oft als stereotyp geltende Genre verlangen. Und trotzdem, oder gerade deshalb, ist «Deadwood» dem wilden Westen näher als alles andere, was auf die Leinwand oder den TV-Bildschirm gebracht wurde. Und ist nicht nur aus diesem Grund eine beispiellose, vor Genialität strotzende Drama-Serie, die leider viel zu früh enden musste.

Dass im Wilden Westen ausgiebig geflucht wurde, ist nicht nur hinlänglich bekannt, sondern auch faktisch erwiesen. Doch in welchen uns bekannten Western bediente man sich realitätsgetreu der vulgären Sprache? Bei «Deadwood» ist der Authentizitätsanspruch hier zunächst am plakativsten: Allein in der ersten Episode wird 55 mal das vulgäre, in den USA aber durchaus gebräuchliche Schimpfwort „Fuck“ benutzt; die komplette Serie kommt auf 2980 „Fucks“, das sind 1,56 pro Minute. Keine Serie, kein Film traute sich dies vorher – und ehrlicherweise funktionieren solche Tabu- und Konventionsbrüche nur bei HBO, wo vieles erlaubt ist. Doch gerade dieses Privileg ist für «Deadwood» nicht nur in dieser Hinsicht ein Segen. Denn durch ihre Freiheiten kann die Serie eine Geschichte erzählen, die sich wirklich so oder ähnlich historisch zugetragen hat. Eine Geschichte über mutige Helden, skrupellose Saloon-Paten, naive Gutmenschen, engagierte Bürger, verkommene Charaktere, gesuchte Verbrecher und den schonungslosen Westen in einem Land ohne Gesetze.

«Deadwood» spielt in der gleichnamigen Siedlung im heutigen South Dakota (USA), das ab 1868 allerdings im Zuge des Red-Cloud-Krieges den Indianern zugebilligt und damit aus den Vereinigten Staaten ausgegliedert wird, somit praktisch gesetzloses Territorium ist und folgerichtig der ideale Nährboden für illegale Geschäfte, Outlaws und Menschen sein kann, die sich ein neues Leben aufbauen wollen – hier gilt also wirklich noch das Recht des Stärkeren. Mit dem Goldrausch in den 1870er Jahren wächst das anfängliche Camp zur Stadt und zieht immer mehr Bürger an – einer der ersten ist Al Swearengen (gespielt von Ian McShane), ein Saloon- und Bordellbesitzer, der heimlicher Herrscher über Deadwood werden will, bald schon die Fäden im Hintergrund zieht und schließlich seinen Machtstatus im Laufe der Serie immer wieder verteidigen muss. Ein Dorn im Auge ist ihm dabei zum Beispiel Seth Bullock (Timothy Olyphant), ein ehrlicher und aufrichtiger Bürger, der für Recht und Gesetz in Deadwood kämpft und daher zum Sheriff avancieren will. Der Konflikt zwischen Bullock mit seinen Freunden und Swearengen mit seinen Helfern ist ein zentraler Plot in der ersten Staffel, die im Jahr 1876 spielt. Die beiden weiteren Seasons sind zeitlich in den zwei folgenden Jahren angesiedelt.

«Deadwood» inszeniert meisterhaft die vielen kleinen Geschichten einiger Bürger der Stadt, die alle irgendwie miteinander verküpft sind. Jede Folge steht für sich, doch jeder einzelne Storystrang zieht sich wie ein roter Faden durch die jeweilige Staffel und wird mit der finalen Folge abgeschlossen. Außerdem steht über all den einzelnen Geschichten auch eine alles überspannende Hauptstory in jeder Season, die wiederum diese einzelnen Plots beeinflusst. An einem solch komplizierten Konzept scheiterten viele Serien; diese allerdings bewältigt die selbst gesteckten Ziele mit einer beispiellosen Genialität und einem großen Abwechslungsreichtum. Und genau deswegen funktioniert «Deadwood» nicht nur als Western, sondern auch als höchst intelligente Drama-Serie hervorragend.

Im wilden Westen wurde scharf geschossen, geflucht, gestritten und gepokert. Dass der Westen aber viel mehr war, erzählt die Serie «Deadwood» mit ihrer Geschichte der gleichnamigen Siedlung, in der nur das Recht des Stärkeren galt. «Deadwood» ist ein verkanntes Drama-Meisterwerk unserer Fernsehzeit.

Die Serie vermischt historische Gegebenheiten mit fiktionalen Elementen. Nahezu alle Charaktere, Geschäfte und Orte basieren auf der wahren Geschichte der Stadt und werden akkurat nachgestellt, auch die Grundstory um die Machtkämpfe und Politik in Deadwood, die Territoriums-Streitigkeiten und bedeutende Ereignisse wie eine Seuche wird in der Serie korrekt erzählt. Denn nichts ist spannender als die wahre Geschichte dieser Stadt.

Der Zuschauer trifft im Laufe von «Deadwood» nicht nur auf Swearengen und Bullock, sondern auch auf bekannte Western-Legenden wie Calamity Jane (Robin Weigert) und Wild Bill Hickok (Keith Carradine), die in dem gesetzlosen Territorium ihr Glück finden wollen. Er trifft das Ehepaar Garret (Molly Parker und Jim Beaver), das als Besitzer eines wertvollen Gold-Claims nach Deadwood reist und von da an um sein Leben fürchten muss. Oder Cy Tolliver (Powers Boothe), den pompösen Casino- und Bordellbetreiber, der in der Stadt eine weitere Einnahmequelle sieht und damit in direkte Konkurrenz zum feindseligen Swearengen tritt. Reverend Smith (Ray McKinnon), der die Religion in diese gottlose Stadt bringen will und nicht nur mit unethischen Bürgern, sondern auch mit einer eigenen, zermarternden Krankheit fertig werden muss. Und die Hure Trixie (Paula Malcomson), die zwar ein herzensguter Mensch ist, aber als Arbeiterin von Swearengen das harte Geschäft im Wilden Westen versteht wie keine zweite – bis die Liebe alles durcheinanderwirft.

All diese Charaktere haben mehreres gemeinsam: Sie sind erstens wunderbar von den Autoren geschrieben, sodass dem Zuschauer jede Figur und ihre eigene Geschichte sehr schnell unglaublich real und wirklichkeitsgetreu vorkommt. Al Swearengen beispielsweise ist der Anti-Held der Serie und eine Figur, wie sie das Fernsehen sonst nicht gesehen hat. Er ist gerissen, intelligent, gefühlslos und doch auf eine Weise anziehend und interessant, weil er zwar das Böse des illegalen Westens verkörpert, aber doch ein Charakter ist, den man grundlos mögen muss – vielleicht gerade weil er derjenige ist, der uns den Westen so schonungslos und ehrlich zeigt, wie wir ihn bisher nicht kannten. Und zweitens hat inhaltlich jeder eine latent ambivalente Charakterstruktur – das heißt, dass die Western-Gesetze des guten Helden und des bösen Schurken nicht mehr unbedingt gelten. Wer böse ist, bleibt auch böse, doch jede einzelne Figur hat ihr eigenes kleines, schmutziges Geheimnis, das in einer Stadt wie Deadwood ein wahrer Zündstoff sein kann.

«Deadwood» stammt aus der Feder von Produzent David Milch, der zuvor mit «NYPD Blue» eine der erfolgreichsten Krimiserien der 90er Jahre erschaffen hatte. Im Laufe seiner Ausstrahlung gewann «Deadwood» acht Emmys bei 28 Nominierungen sowie einen Golden Globe und war besonders bei Kritikern hochgelobt. Bei der Produktion wurde neben der inhaltlich historischen Korrektheit besonders auch bei den Sets, Kostümen und den Dialogen auf die Authentizität geachtet. Die Aussprache ist daher jener des 19. Jahrhunderts angepasst.

In den USA wurde die Serie zwischen 2004 und 2006 in drei Staffeln mit insgesamt 36 Folgen auf dem Pay-TV-Sender HBO ausgestrahlt und war zu ihrer Zeit eines der erfolgreichsten Programme nach den «Sporanos» auf diesem Sender. Die erste Staffel wurde durchschnittlich von 4,5 Millionen Zuschauern verfolgt – ein enorm hoher Wert für HBO. Der Pilotfilm begeisterte 5,76 Millionen Menschen. Das Ende der Serie ist so überraschend wie verwirrend gekommen: Noch vor dem Beginn der dritten Staffel wurde übereinstimmend von vielen Medien berichtet, dass HBO der Serie definitiv eine vierte Season bestellen werde. Doch monatelang passierte nichts, sodass es schließlich kein Wunder war, dass der Sender die Option für die Vertragsverlängerungen mit den Darstellern verstreichen ließ.


Im wilden Westen wurde scharf geschossen, geflucht, gestritten und gepokert. Dass der Westen aber viel mehr war, erzählt die Serie «Deadwood» mit ihrer Geschichte der gleichnamigen Siedlung, in der nur das Recht des Stärkeren galt. «Deadwood» ist ein verkanntes Drama-Meisterwerk unserer Fernsehzeit.

Auch durch massiven Protest der Fans von «Deadwood» einigten sich der Sender und David Milch schließlich auf die Herstellung zweier Spielfilme zum Abschluss der Saga und zur Auflösung offener Handlungsfäden. Doch dazu kam es ebenfalls nicht, auch wenn monatelang beteuert wurde, dass sich die Filme noch auf dem Plan befänden. Im Herbst 2007 wurden die Sets der Serie abgerissen – somit war klar, dass «Deadwood» gestorben war. Nicht aufgrund mangelnden Erfolges, sondern wegen zu hoher Produktionskosten, geschätzten 5 Millionen Dollar pro Episode. Ein unrühmliches Ende für eine hochkarätige Serie. Und ein Tiefpunkt in der Geschichte des sonst vorbildlichen Networks HBO, das den Wegfall einstiger Hitprogramme wie «Sex and the City», «The Sopranos» und eben «Deadwood» erst jetzt mit dem neuen Erfolg «True Blood» allmählich kompensieren kann.

In Deutschland wurde die komplette Serie auf Premiere ausgestrahlt und ist damit wie in den USA nur im Pay-TV zu sehen gewesen. Kein deutscher Free-TV-Sender war bisher an der Sendung interessiert. Dass das Western-Drama-Konzept aber auch hierzulande funktioniert, zeigen die guten Verkaufszahlen der DVD-Boxen. Alle drei Staffeln wurden in Deutschland auf DVD veröffentlicht, weiterhin wurden Deluxe-Editionen mit der kompletten Serie hergestellt.

«Deadwood» ist so einzigartig wie die Geschichte der Stadt und seiner Bewohner. Die Serie hat einen unglaublichen Cast mit hervorragenden Schauspielern und einem Drehbuch, das trotz seines komplexen Konzepts perfekt funktioniert. Wer sich auf sie einlässt, bekommt mitreißendes Fernsehen, das anders ist als alles uns Bekannte. Und er bekommt mit der ersten Season eines der besten, wenn nicht sogar das beste Staffelfinale, das die TV-Welt je hervorgebracht hat. So wie «Watchmen» nur formal eine Comicserie ist, so wie «The Sopranos» nur formal eine Mafiaserie ist, so ist «Deadwood» nur vordergründig eine Westernserie. Auf den Punkt gebracht ist sie einfach hervorragendes Fernsehen mit spannenden, authentischen Geschichten und großartigen Bildern. «Deadwood» ist echt. Ein Privileg, das nur noch wenigen Serien zugestanden werden kann.
19.09.2009 09:12 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/37355